Schlagstöcke und Messer verboten

Rocker-Urteil zu erlaubnispflichtigen und nicht erlaubnispflichtigen Waffen

Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat das Verbot des Erwerbs und Besitzes von nicht erlaubnispflichtigen Waffen gegen zwei Brüder aus einem Rottenburger Teilort bestätigt.

09.02.2017

Von Fred Keicher

„Einer für alle, alle für einen“: Screenshot eines Youtube-Videos, das Rapper Sinan Canay am 22. Juni 2015 eingestellt hat. Dass dies die offizielle Selbstdarstellung des Chapters Tübingen sei, wird vom Präsidenten und seinem Bruder bestritten. Sie hätten versucht, das Video zu löschen, sagte sie vor Gericht aus, aber das sei gar nicht so einfach. Bild: Sreenshot Youtube

„Einer für alle, alle für einen“: Screenshot eines Youtube-Videos, das Rapper Sinan Canay am 22. Juni 2015 eingestellt hat. Dass dies die offizielle Selbstdarstellung des Chapters Tübingen sei, wird vom Präsidenten und seinem Bruder bestritten. Sie hätten versucht, das Video zu löschen, sagte sie vor Gericht aus, aber das sei gar nicht so einfach. Bild: Sreenshot Youtube

Anlass für das Verbot war ein Hinweis des baden-württembergischen Innenministeriums vor einem Jahr: Die Stadt als untere Waffenbehörde solle Waffenverbote gegenüber Mitgliedern so genannter Outlaw Motorcycle Clubs in ihrem Einflussbereich prüfen. Allein die Mitgliedschaft in einer solchen Gruppierung, so hatte es zuvor der Bundesgerichtshof festgestellt, rechtfertige die Annahme, dass Personen ungeeignet zum Tragen von Waffen (im Sinne des Waffengesetzes) seien – auch von nicht erlaubnispflichtigen Waffen wie Schlagstöcken, Messern oder Pfefferspray.

Bei Verkehrskontrolle ins Visier

Anlässlich einer Verkehrskontrolle bekam das Rottenburger Ordnungsamt Kenntnis von der Mitgliedschaft der beiden Brüder aus dem Teilort im MC Gremium Chapter Tübingen. Darauf verbot es ihnen am 23. Februar 2016 den Erwerb und Besitz von erlaubnispflichtigen und nicht erlaubnispflichtigen Waffen. Dagegen klagten die Brüder vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen. Am Dienstag fand die mündliche Verhandlung statt. Die Stadt Rottenburg wurde von Ordnungsamtsleiter Markus Braun vertreten.

Fünf solcher Verfügungen habe die Stadt Rottenburg damals erlassen, berichtete Braun dem Gericht. Von zwei der Betroffenen sei der Aufenthaltsort nicht bekannt, eine der Verfügungen sei inzwischen rechtskräftig. Die zwei Brüder hätten dagegen geklagt. Einer der beiden ist seit zehn Jahren Präsident des Tübinger Chapters, er gab zu Protokoll: „Ich habe gleich gesagt, das lassen wir uns nicht bieten.“ Auch weil dafür 89 Euro Gebühren fällig wurden.

Der Vorsitzende der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts, Josef Milz, erklärte am Dienstag den Klägern freundlich: „Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Mitgliedschaft in einem Bikerclub grundsätzlich ein Indiz für die Unzuverlässigkeit ist. Für uns heißt das, es gibt Ausnahmen, und die haben wir hier zu prüfen.“

„Wir sind ordentliche Bürger, die sich an die Gesetze halten“, sagte der Präsident vor Gericht aus. Er und sein Bruder seien nicht vorbestraft, „ein paar Punkte in Flensburg, aber nie den Führerschein weg“. Seit sie ihn hätten, seien sie Mitglied in einem Bikerclub gewesen, seit 38 oder 39 Jahren. Früher bei den Tübinger Stones, seit 2006 beim MC Gremium mit Clubheim in Mähringen.

Der Club mache keine Geschäfte im Rotlichtmilieu oder mit Drogen, er diene nur der Freizeitgestaltung: Ausfahrten mit dem Motorrad und „Party machen“, klärte der Präsident auf. Beim Clubheim kämen Freunde vorbei, man lege ein paar Würste auf den Grill und trinke Bier, „aber nur so viel, dass man noch nach Hause fahren kann“. Die Kameradschaft gehe über alles: „Bei uns hat jeder immer einen Schlafplatz und kriegt ein warmes Essen.“

Schlägereien: „Nie im Leben!“

Der Vorsitzende Richter fragte nach Schlägereien: „Nie im ganzen Leben“, sagte der Präsident. Aber da sei doch ein Vorfall auf dem Neckarfest gewesen, hakte der Vorsitzende nach, 2010, als Reutlinger Hells Angels ihn überfallen hätten. „Das war keine Schlägerei, da habe ich mich nur gewehrt“, stellte der Präsident das ziemlich blutige Scharmützel klar. Bei seinem Bruder flog damals ein recht massiver Stein durchs Wohnzimmerfenster, das Clubheim in Gomaringen wurde abgefackelt. Dass es eine Auseinandersetzung mit den Hells Angels aus Reutlingen gewesen sei, behaupte die Polizei, erklärte der Präsident. Er wisse bis heute nicht, wer damals die Angreifer gewesen seien.

Als Sachverständigen hörte das Gericht Kriminalhauptkommissar Matthias Wenz vom Landeskriminalamt. Der hielt es für grundsätzlich möglich, dass rivalisierende Clubs Gebietsstreitigkeiten mit Waffengewalt austragen. „Wer auf seine Kutte ,Tübingen‘ drauf schreibt, der erhebt auch einen Gebietsanspruch“, sagte er. Allerdings seien die Verhältnisse im Landkreis Tübingen geordnet. Das martialische Auftreten der Mitglieder des MC Gremium in einem im Netz kursierenden Rapper-Video (siehe Bild) sage wohl mehr über die Phantasien des Rappers, der es hochgeladen habe, als über die beiden Kläger. Grundsätzlich gelte jedoch für alle MC-Mitglieder die Verpflichtung, anderen Clubs bei Konflikten beizustehen.

Ob er einmal eine solche Aufforderung bekommen habe, wollte der Vorsitzende Richter vom Präsidenten wissen. „Nein“, sagte der, „in all den Jahren nicht.“ Sein Bruder versuchte, den Sinn des Waffenverbots grundsätzlich in Zweifel zu ziehen: „Wenn meine 17-jährige Tochter ihren Pfefferspray bei mir im Auto vergisst, bin ich dran“, schimpfte er. Und der Präsident verwies darauf, dass er zu Hause einen gut gefüllten Messerblock mit Küchenmessern habe.

Vor allem abschreckend

Der Sachverständige erklärte darauf, dass das Verbot vor allem abschrecken solle. Wer trotz Verbots einen Schlagstock einsetze, wandere dafür ins Gefängnis. Zwar könne man sich auch mit bloßen Fäusten verletzen. Aber das wirke de-eskalierend, weil es auch dem Schläger wehtue.

Vom Gericht liegt bisher nur ein Urteils-Tenor vor: Demnach wird das Waffenverbot der Stadt Rottenburg für den Erwerb und Besitz erlaubnispflichtiger Waffen aufgehoben, die Klage gegen das Verbot nicht erlaubnispflichtiger Waffen indes abgewiesen. Das klingt paradox, da letztere doch weniger tödlich sind, macht aber aus rechtlicher Sicht dennoch Sinn: Für Schusswaffen muss man sich die Erlaubnis der Waffenbehörde holen, und die bekommt man nicht ohne triftigen Grund, schon gar nicht, wenn Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bestehen. Den Besitz nicht erlaubnispflichtiger Waffen hingegen muss man lediglich anzeigen, nicht genehmigen lassen.

Der Club mit den schwarz-weißen Farben

Der MC Gremium wurde 1972 in Mannheim gegründet, ist heute einer der größten Bikerclubs in Deutschland mit weltweiten Ablegern. In Baden-Württemberg war er eine Zeitlang verboten, in einigen Bundesländern, Sachsen etwa, ist er verboten wegen seiner Verwicklung in Geschäfte wie Menschenhandel, Prostitution und Rauschgift.

Zum Artikel

Erstellt:
09.02.2017, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 43sec
zuletzt aktualisiert: 09.02.2017, 19:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!