Tod in Leipzig

Ruben Sturm eröffnete den Orgelsommer

Der nunmehr 20. Tübinger Orgelsommer begann wie immer an Bachs Todestag, der sich am Donnerstag zum 266. Mal jährte. Ebenfalls in Leipzig verstarb vor 100 Jahren Max Reger. Programmatisch und perspektivisch verschränkt beleuchtete beide der Rottenburger Domorganist Ruben Sturm beim Eröffnungskonzert. Den 60 Zuhörern gab Sturm einführend hilfreiche Hinweise zu den Werken an die Hand.

30.07.2016

Von ach

Tübingen. Gleich im ersten Stück spiegelte sich Reger in Bach: ein Konvergenzpunkt, in dem sich beide Ästhetiken brachen. Bachs Chromatische Fantasie und Fuge d-moll BWV 903, komponiert für Cembalo, hat Reger für Orgel bearbeitet. Einstimmige Passagen unterlegte er dabei mit Harmonien; vor allem aber überformte er die barocken Linien mit einer romantisch feindifferenzierten, ständig an- und abschwellenden Dynamik. Das ohnehin schon recht konstruktivistische, lehrbuchhafte Werk wird dadurch noch künstlicher. Sturm spielte es mit zügigem Schwung, um die zerfasernden Phrasen zusammenzuhalten und größere Zusammenhänge zu schaffen. Die nervös unstete Schwellwerk-Dynamik verfremdete die Musik aber sehr stark, ließ den Ablauf auch mühsam wirken.

Im direkten Vergleich Bach/Reger spielte Sturm die drei Choräle „Herr Jesu Christ, dich zu uns wend“, „Jesu, meine Freude“ und „O Lamm Gottes, unschuldig“ jeweils in einer Bearbeitung von Bach („Kirnberger-Choräle“ und „Orgelbüchlein“) und Reger (Choralvorspiele op. 67). Während Bach die Kenntnis der Melodien voraussetzt und sie teils stark dehnt, um über die entzeitlichten Einzeltöne zu meditieren, bringt Reger die Melodien summarisch kompakt, um sie mit bewegten Gegenstimmen und potenzierter Komplexität aufzuladen.

Dazwischen zwei kurze Hommagen von Zsolt Gárdonyi: postmoderne Anverwandlungen und Übermalungen. Die „Hommage an Bach“ (2000) zitierte dessen G-Dur-Orgelpräludium, konterkariert durch Jazz-Harmonien und B-A-C-H-Einsprengsel. Die „Hommage an Reger“ (2002) zitierte dessen Orgelfantasie über „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ sowie typische Reger-Elemente wie die fußstapfenartig gesetzten, dröhnenden Schlussakkorde.

Eine meisterhafte Leistung legte Sturm vor mit Regers 18-minütiger Fantasie und Fuge d-moll (ungekürzte Fassung op. 135b): ein ungeheuer schweres Werk, „das letzte große Orgelwerk dieser Epoche“, so Sturm. Neben der transparenten Durchhörbarkeit und konsistenten Stimmführung begeisterte vor allem die atmosphärisch dichte Gestaltung der Doppelfuge, an deren Ende sich ein choralhaft düsteres Thema und ein scherzoartig quecksilbriges Thema ineinander verzahnen.

Nahtlos anknüpfend „Drei Metamorphosen“ des Stuttgarter Orgelprofessors Werner Jacob über die Themen dieses Reger-Werks. Donnernde Cluster-Ballungen und berstende Klang-Eruptionen, dass im Mittelschiff Bretterboden und Bänke zu vibrieren begannen. Zuletzt lässt Jacob den Interpreten bei abgeschaltetem Orgelmotor weiterspielen, bis den Windladen auch noch die letzte Balgluft ausgeht, die Töne immer verzerrter klingen und die Obertöne wie zerrinnend kreischen und pfeifen.