Tierbeobachtung

Rotwild denkt mit

Der Rottenburger Forststudent Juriaan Zandvliet untersucht, ob denn Schönbuchbesucher gerne mehr Rotwild zu Gesicht bekommen würden.

22.04.2017

Von Frank Rumpel

Im niederländischen Nationalpark De Hoge Veluwe sind die Hirsche nicht sonderlich schreckhaft. Besucher kommen nahe an die Tiere heran. Bild: Zandvliet

Im niederländischen Nationalpark De Hoge Veluwe sind die Hirsche nicht sonderlich schreckhaft. Besucher kommen nahe an die Tiere heran. Bild: Zandvliet

Juriaan Zandvliet mag den Wald. Allein: In seiner Heimat, den Niederlanden, gibt es nicht allzu viel davon. Gerade mal elf Prozent der Landesfläche sind bewaldet, in Deutschland sind es knapp 33 Prozent. Das war mit ein Grund, für’s forstwirtschaftliche Studium nach Rottenburg zu kommen. Zwei Jahre hatte er zunächst in Arnheim auf der einzigen Forst-Hochschule des Landes studiert. Allerdings, sagt er, sei das Studium dort eher Richtung Naturschutz ausgerichtet, eben weil es dort so wenig Wald gibt. Eine Exkursion brachte den heute 23-jährigen im Sommer 2015 nach Rottenburg. Und es gefiel ihm so gut, dass er blieb.

Scheues Wild im Schönbuch

Die Begeisterung für den Wald ist das Eine, die Verwunderung über scheues Wild das Andere. Bei einem mehrwöchigen Praktikum im Südschwarzwald, erzählt er, habe er nach zwei oder drei Wochen zum ersten Mal eine Hirschkuh mit Kalb gesehen - durch ein Fernglas mit großer Brennweite. „Und dabei waren da gerade Rotwildtage“, sagt Zandvliet. In den Niederlanden gibt es einige Nationalparks. „Da zahlen die Leute Eintritt und die wollen dann auch Tiere sehen.“ Die Chancen stehen gut, weil sich die Hirsche etwa im Nationalpark De Hoge Veluwe von Besuchern nicht unbedingt stören lassen. Da kommt man durchaus bis auf ein paar Meter an die Tiere heran. „Das ist schon eindrucksvoll“, sagt Zandvliet. Für Tierfotografen sind das gute Bedingungen, die freilich auch dazu führen, dass die Hirsche etwa zur Brunftzeit an bekannten Plätzen richtiggehend belagert werden.

Diese Erfahrung brachte Zandvliet auf die Idee, für seine Bachelorarbeit die wissenschaftlich untersuchten Gründe für dieses unterschiedliche Verhalten der Tiere am Beispiel des Schönbuchs und des niederländischen Parks zusammen zu tragen. Den Schönbuch wählte er, weil es im Rammert keine Hirsche gibt. Die Rotwild-Bestände sind in Baden-Württemberg nur in ausgewiesenen Gebieten angesiedelt.

An der zur Verfügung stehenden Fläche liegt es wohl nicht, dass die Tiere hier so scheu und dort eher unempfindlich sind. Im Schönbuch leben im etwa 4000 Hektar großen Rotwildgehege rund 150 Hirsche, im De Hoge Veluwe-Nationalpark sind etwa 200 Tiere auf 5500 Hektar zuhause. Es sei vor allem die Art der Bejagung, die sich auf das Verhalten der Tiere auswirke, sagt Zandvliet. Im Schönbuch gibt es Drückjagden, in den niederländischen Parks die Ansitzjagd. Das spielt wohl eine Rolle, doch ganz so einfach ist der Schluss nicht.

Rotwild, sagt Thorsten Beimgraben, Professor für Wildökologie und Jagdwirtschaft an der Rottenburger Hochschule für Forstwirtschaft, kann Wissen über Generationen weitergeben. So sei im Schönbuch lange vom Hochsitz aus gejagt worden. Doch mit der Zeit wurde es immer schwieriger, Hirsche zu erlegen. Denn die wussten genau, wann von wo Gefahr drohte. Die Population stieg, die Fraßschäden nahmen zu. Dann stellte man auf die Treibjagd um. „Das war eine neue Methode, mit der das Rotwild keine Erfahrung hatte“, sagt Beimgraben. Das hat sich längst geändert. Das Wild weiß inzwischen, zu welchen Zeiten und unter welchen Vorzeichen es besser ist, das Weite zu suchen.

Störungen minimieren

Der Jäger, sagt Beimgraben, „ist für das Rotwild ein Störfaktor“, ein gefährlicher dazu. Es gibt weitere: Pilz- und Stangensammler, Waldarbeiter oder Spaziergänger. Generell gelte: Je weniger Störung, desto eher ist Rotwild zu sehen. Das heißt für Beimgraben nun nicht, die Bejagung einzustellen, sondern eben das Bejagungskonzept zu verbessern.

Im niederländischen Nationalpark sind die Spaziergänger und Wanderer stets auf denselben Wegen und zu ähnlichen Zeiten unterwegs. Das wissen die Hirsche dort, und sie wissen auch, dass von diesen Leuten keine Gefahr ausgeht. „Das Rotwild ist in der Lage zu lernen“, sagt Beimgraben.

Bleibt die Frage, ob Schönbuch-Besucher denn überhaupt mehr Rotwild sehen wollen. Juriaan Zandvliet hat eine Umfrage gestartet. 130 haben den Fragebogen bisher ausgefüllt. Die Ergebnisse haben Zandvliet, der nach seiner Bachelorarbeit im noch waldreicheren Finnland Europäische Forstwirtschaft studieren will, dann doch überrascht. Die meisten der Schönbuch-Besucher sehen auf ihren Spaziergängen selten bis nie Hirsche – sind damit aber vollauf zufrieden. Wenn sie denn welche sehen wollten, so gaben viele an, besuchen sie das Schaugehege am Saurucken.

Juriaan Zandvliet Bild: Rumpel

Juriaan Zandvliet Bild: Rumpel

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Erstellt:
22.04.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 07sec
zuletzt aktualisiert: 22.04.2017, 01:00 Uhr

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