Keine Gymnasialstufe an der Gemeinschaftsschule?

Rottenburgs Oberbürgermeister Neher gegen die Tübinger Schulpläne

Stephan Neher (CDU) bat Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) darum, den Tübinger Antrag auf eine Gymnasialstufe an der Gemeinschaftsschule abzulehnen.

20.07.2017

Von Ulrich Eisele

Rottenburgs OB Stephan Neher. Archivbild

Rottenburgs OB Stephan Neher. Archivbild

Im April dieses Jahres hat der Tübinger Gemeinderat nach langer Diskussion mit grün-rot-roter Mehrheit beschlossen, beim Kultusministerium einen Antrag auf Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe an der Gemeinschaftsschule West zum Schuljahr 2018/19 zu stellen. Der Antrag ist noch nicht entschieden; würde er genehmigt, hätte Tübingen die erste Gemeinschaftsschule im Kreis, auf die Kinder von der 1. Klasse an bis zum Abitur gehen könnten.

Dagegen wendet sich Rottenburgs Oberbürgermeister Stephan Neher mit einem Offenen Brief an Kultusministerin Susanne Eisenmann. Als Anlass gibt Neher einen Schlichtungstermin des Regierungspräsidiums am 11. Juli an, bei dem Vertreter der Abteilung Schule und Bildung, des Landkreises, der Stadt Tübingen und Rottenburgs über ihre unterschiedlichen Interessen verhandelt hätten. Dabei sei kein Konsens erzielt worden, schreibt Neher. Nun werde die Entscheidung dem Kultusministerium vorgelegt (was die dortige Pressestelle bestätigt).

Sechs Argumente

Sechs Argumente sprechen aus Nehers Sicht gegen die Einrichtung einer gymnasialen Oberstufe in Tübingen: Allem voran befürchtet der Rottenburger Oberbürgermeister, dass dadurch „Profile der beruflichen Gymnasien verloren gehen“. Warum? In den vergangenen zehn Jahren sei das Angebot an beruflichen Gymnasien in Rottenburg stark ausgebaut worden, schreibt Neher. Die Privatschule St. Klara habe 2007 ein Wirtschaftsgymnasium erhalten und 2014 ein Sozialwissenschaftliches Gymnasium. An der Berufsschule in Rottenburg, die vom Landkreis getragen wird, seien 2012 ein Wirtschaftsgymnasium und 2015 ein Technisches Gymnasium eröffnet worden.

Wenn es nun eine Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe gebe, so Neher, würden weniger Schüler auf die Beruflichen Gymnasien gehen. Die Anmeldezahlen würden einbrechen. Folge wäre laut Neher, dass die Beruflichen Gymnasien nicht mehr alle Profile an allen Standorten anbieten könnten – in Tübingen und Rottenburg. Und damit an Attraktivität verlieren würden.

Ein weiteres Argument ist für Neher, dass mit der Einführung der gymnasialen Oberstufe an der Gemeinschaftsschule Schülerinnen und Schüler mit speziellem Förderbedarf benachteiligt würden. Weshalb das? Dadurch würden mehr „Schüler/innen mit E-Niveau“ zum Besuch dieser Schulart ermutigt, schreibt Neher. Das sind nach dem neuen Bildungsplan diejenigen mit den höchsten Kompetenzen. Darunter aber würden andere leiden, die einen größeren individuellen Förderbedarf hätten. Es sei nämlich von den Lehrer/innen grundsätzlich nicht zu leisten, in einer Jahrgangsstufe alle Niveaus „gleich umfänglich und fachspezifisch zu unterrichten“. Die Orientierung an den Leistungsträgern werde dazu führen, sagt Neher vorher, „dass Lernziele im Bereich des G- (grundlegenden) und M- (mittleren) Niveaus nicht ausreichend gefördert werden können“.

Eine Gefahr sieht Neher mittelbar auch für die Realschulen. Denn wenn das Angebot an den beruflichen Schulen geschmälert werde (wie er voraussetzt), würden vielen Eltern bereits beim Übergang an die weiterführende Schule dazu neigen, ihre Kinder an der Gemeinschaftsschule anzumelden – damit der Übergang zur Oberstufe gesichert sei.

Gymnasien – Schule der Eliten?

Nicht zuletzt aber würden Gymnasien zur „Schule der Eliten“, prognostiziert Neher. Schon jetzt würden die besonders guten Schüler beim Übergang auf die weiterführenden Schulen zu G8 tendieren. Dieser Trend werde sich durch ein weiteres G9-Angebot wie die Gemeinschaftsschule noch verschärfen, meint Neher. Schließlich, so prognostiziert er, würde sich durch die gymnasiale Oberstufe der Gemeinschaftsschule auch die Zahl der Abbrecher nicht vermindern, die in ihrer Schulzeit von einer auf die andere Schulart wechseln müssen.

Fazit: „Wir lehnen die Einführung einer Oberstufe an den Tübinger Gemeinschaftsschulen aufgrund der zu erwartenden negativen Folgen für den gesamten Schulraum im Landkreis Tübingen ab“, schreibt Neher. „Wir bitten darum, den Antrag der Stadt Tübingen abzulehnen.“

Palmer widerspricht

Und was sagt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) zum Offenen Brief seines Rottenburger Kollegen? „Es ist legitim, dass sich ein OB für die Interessen seiner Stadt beim Land einsetzt.“ Insofern könne er an Nehers Brief nichts Schlimmes finden. In der Sache hält Palmer jedoch entgegen, dass die Stadt Tübingen vor ihrem Antrag eine wissenschaftliche Studie über die Auswirkungen der gymnasialen Oberstufe an der Gemeinschaftsschule West in Auftrag gegeben habe. „Und die sagt eindeutig: Das hat keine Auswirkungen auf die Rottenburger beruflichen Schulen.“ Nehers Hauptargument sei also „wissenschaftlich widerlegt“, meint Palmer. „Wir machen die gymnasiale Oberstufe für Tübinger Gemeinschaftsschulen, nicht für jemand anders“, stellt er klar.

Auch die Gefahr der Elitenbildung hält der Tübinger Oberbürgermeister nicht für gegeben. „Die Gemeinschaftsschule funktioniert nicht, wenn sie nur Hauptschule mit anderem Türschild ist“, sagt er. Daher müsse es möglich sein, an der Gemeinschaftsschule alle Bildungsabschlüsse zu erwerben – bis hin zum Abitur.

Gleichwohl sehe er auch die Ängste, die das bei den Interessenvertretern anderer Schularten auslöse. „Ich versuche, darzulegen, dass diese unbegründet sind. Aber wir werden die damit nicht wegbekommen“, sagt er. Nur die Wirklichkeit werde weisen, ob sie begründet seien oder nicht.

Zum Artikel

Erstellt:
20.07.2017, 22:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 22sec
zuletzt aktualisiert: 20.07.2017, 22:30 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!