Maulkorb gegen Politologen

Rolf Frankenberger: Massiver Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit

Kann ein Richter einem Wissenschaftler das Wort verbieten? Dass das Dresdner Landgericht gegen den Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Steffen Kailitz einen Maulkorb verhängte, beunruhigt auch dessen Tübinger Fachkollegen. Das TAGBLATT befragte Prof. Rolf Frankenberger.

21.05.2016

Von Hans-Joachim Lang

Rolf Frankenberger: Massiver Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit

Tübingen. „Die Zeit“, in der vor einem Monat ein Beitrag des Dresdner Politikwissenschaftlers Steffen Kailitz über die NPD erschien (siehe Kasten), spricht von einem Justizskandal. Wie auch im überregionalen Teil unserer Zeitung berichtet, hatte Kailitz im März im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht als Sachverständiger für ein Verbot der Partei plädiert.

Der Tübinger Politikwissenschaftler Rolf Frankenberger kennt Kailitz aus jahrelanger Zusammenarbeit. Wie sein Dresdner Kollege betreibt er Diktatur- und Extremismusforschung als einen Schwerpunkt. Gemeinsam mit Kailitz war er bei der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) über mehrere Jahre hinweg Sprecher des Arbeitskreises „Vergleichende Diktatur- und Extremismusforschung“. Von daher wisse er, sagt Frankenberger im Gespräch mit dem TAGBLATT, dass sich Kailitz „auf dessen jahrelange wissenschaftliche Auseinandersetzung mit politischem Extremismus im Allgemeinen und mit der NPD im Speziellen“ beziehe.

Frankenberger sieht in dem Gerichtsbeschluss einen massiven Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Dass der damit befasste Richter am Landgericht Dresden, indem er die einstweilige Verfügung erlassen habe, auch noch eine Dringlichkeit für seine Entscheidung sehe, vermag der Tübinger Politikwissenschaftler nicht nachzuvollziehen. „Hier handelt es sich um wissenschaftliche Befunde, die Kailitz anhand des NPD-Parteiprogramms belegt hat.“ Sie seien von ihm schon vielfach veröffentlicht und im Kern auch vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragen worden.

Frankenberger, gegenwärtig auch Vorstandsmitglied der DVPW, betont als eine der zentralen Aufgaben der Wissenschaft, Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. So wie ihm selbst der Begriff „Staatsverbrechen“ in dem von seinem Kollegen verwendeten Kontext nicht gefalle, könnten Forschung und darauf beruhende Folgerungen selbstverständlich kritisiert werden. „Aber deren Veröffentlichung gerichtlich zu unterbinden, schränkt die Freiheit der Wissenschaft unzulässig ein.“

Unverständlich findet der Tübinger Politikwissenschaftler, dass entgegen der Zivilprozessordnung nicht die dreiköpfige Kammer, sondern ein Einzelrichter die einstweilige Verfügung entschied. Pikant zusätzlich, dass dieser Richter aktives Mitglied der AfD Sachsen ist. Frankenberger: „Letztlich vertraue ich aber dem Rechtsstaat und bin sicher, dass dieser Beschluss noch korrigiert wird.“

Darum geht es

In einem Gastbeitrag für die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ hatte der Dresdener Politikwissenschaftler Steffen Kailitz dargelegt, dass die NPD „in ihren Programmen keinen Zweifel daran lässt, dass sie die demokratische Grundordnung Deutschlands durch eine völkische Diktatur ersetzen würde“, wenn sie an die Regierung käme. Und: „Unmissverständlich“ plane die NPD „rassistisch motivierte Staatsverbrechen“ und sie wolle „acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben, darunter mehrere Millionen deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund“. Nach der Publikation des Beitrags verlangte die NPD eine einstweilige Verfügung, dem Wissenschaftler seine NPD-kritischen Äußerungen zu verbieten. Die zuständige Zivilkammer am Landgericht Dresden übertrug den Fall dem nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen Berichterstatter. Dieser folgte dem NPD-Antrag.

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Erstellt:
21.05.2016, 05:14 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 19sec
zuletzt aktualisiert: 21.05.2016, 05:14 Uhr

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Frohmund Wiedmann 04.06.201621:04 Uhr

Skandalös empfinde ich hier auch, dass Redakteur Lang nicht Vornamen und Namen des Richters nennt und kein Foto von ihm beschafft hat. Die Öffentlichkeit hat ein dringendes Anrecht darauf, zu wissen, mit welchen Richtern sie es zu tun hat. Es ist eben nicht das anonyme große Dresdner Landgericht, sondern ein Einzelrichter mit Vor- + Zunamen und AfD-Zugehörigkeit. Auch für dessen Zugehörigkeit wäre ein Nachweislink angemessen, wenn dieser Richter jedenfalls lokal konkrete Politfunktionärs-Aufgaben wahrnimmt. Insgesamt weist der Mangel an essentiellen Angaben im Falle dieses Tagblatt-Artikels überhaupt auf ein grundsätzlichen Manko, dass nämlich fälschlich vorausgesetzt wird, dass Richter vorurteilsfrei urteilten - das Gegenteil stimmt, alle treten mit ihren "Vorverständnissen" an und daher sollte im Internet über jeden Richter und Staatsanwalt mindestens eine lückenlose und laufend fortgeschriebene Berufs-Vita + Zugehörigkeiten zu Organisationen jedweder Art abrufbar sein!

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