„Dieser Film ist so entspannt“

Regisseur Wim Wenders über sein neues Werk „Die schönen Tage von Aranjuez“

Er ist der einzige deutsche Regisseur im Wettbewerb von Venedig: Wim Wenders stellte „Die schönen Tage von Aranjuez“ vor – ein Film nach Peter Handke.

02.09.2016

Von ALIKI NASSOUFIS, DPA

Jens Harzer als Schriftsteller in einer Szene des Films „Die schönen Tage von Aranjuez“. Foto: dpa

Jens Harzer als Schriftsteller in einer Szene des Films „Die schönen Tage von Aranjuez“. Foto: dpa

Venedig. „Die schönen Tage von Aranjuez“ basiert auf einem Theaterstück von Peter Handke. Es erzählt von den unterschiedlichen Vorstellungen, die ein Mann und eine Frau vom Leben haben. Warum genau dieses Stück?

WIM WENDERS: Weil ich das für einen schönen und wichtigen Text halte. Der Diskurs zwischen Männern und Frauen findet ja kaum statt?.?.?. Peter hatte mir das Stück schon geschickt, bevor es veröffentlicht wurde, mit der Frage, ob ich interessiert sei, das als Uraufführung im Theater zu machen. Das habe ich mir reiflich überlegt und mich dann entschieden, dass ich dem Text besser gerecht werden könnte, wenn ich ihn draußen in der Natur inszenieren könnte, als Film. Auf einer Bühne, da war ich mir sicher, könnten andere das besser.

Mit Handke sind Sie eng befreundet, Sie haben für mehrere Filme zusammengearbeitet. Wie arbeiten Sie gemeinsam?

WENDERS: Das war jedes Mal anders, wir haben da kein Procedere. Für „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ hat mir Peter seinen Roman gegeben und gesagt: „Mach mal!“ Ich war gerade mit der Filmschule in München fertig und war dank dieses „Geschenks“ oder „Auftrags“ dann der Erste – und einzige – dieses ersten Jahrgangs der HFF (Anm.: Hochschule für Film und Fernsehen), der dann tatsächlich einen Film gedreht hat. Das Drehbuch habe ich alleine geschrieben, ohne Peters Hilfe, und habe mich dabei sehr streng an den Roman gehalten. Bei unserer nächsten Zusammenarbeit „Falsche Bewegung“ war es umgekehrt, da hat Peter komplett allein das Drehbuch geschrieben, nachdem wir uns darüber unterhalten hatten, wie man Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ in die Jetztzeit übertragen könnte.

Wie war es bei „Der Himmel über Berlin“?

WENDERS: Da war noch mal alles anders. Da habe ich Peter angetragen, mit mir das Drehbuch zu schreiben, und habe ihm meine Geschichte von den beiden Engeln und von der Trapezkünstlerin erzählt. Aber Peter hatte gerade einen Roman angefangen, wollte diese Arbeit nicht unterbrechen und hat mir mit Bedauern abgesagt. Also musste ich die Suppe, die ich mir eingebrockt hatte, alleine auslöffeln. Was ich dann auch getan habe. Aber ein richtiges Drehbuch wollte dabei nicht herauskommen. So haben wir schließlich einfach angefangen zu drehen, ohne festes Buch. Gleichzeitig kamen dann diese dicken Briefe, einer nach dem anderen, über mehrere Wochen. Absender: Peter Handke. Er schrieb, er habe nachträglich doch bedauert, mich so mit leeren Händen wieder fortzuschicken, und weil meine Geschichte irgendwie in ihm nachgehallt hatte, habe er angefangen, auf gut Glück Dialoge und Monologe zu schreiben. (.?.?.) Der Dreh war im Großen und Ganzen wie ein Flug ohne Instrumente, aber zwischendrin gab es diese Fixpunkte der Texte von Peter, auf die wir immer zugeflogen sind. Diese Handke’schen Texte waren wie unsere Leuchttürme.

Die weibliche Hauptrolle in „Die schönen Tage von Aranjuez“ spielt Sophie Semin, die Ehefrau von Peter Handke. Das klingt so, als sei es am Set sehr familiär zugegangen?

WENDERS: Es ging in der Tat sehr familiär zu, aber aus anderen Gründen. Wir haben wochenlang geprobt, hauptsächlich mit Sophie und Reda Kateb, der die männliche Hauptrolle spielt. Und diese Proben haben wir weitgehend schon an dem Ort gemacht, an dem wir dann auch gedreht haben: ein altes Landhaus in der Île-de-France, zur Jahrhundertwende von Sarah Bernhardt bewohnt, die auch den Garten selbst geplant hatte. Das Haus liegt auf einer Anhöhe, dem höchsten Punkt der Île-de-France, und von da aus hat man einen weiten Blick und sieht Paris in der Ebene liegen, mit der Skyline von La Défense und dem Eiffelturm. Diese Proben in diesem traumhaften Garten, mit diesem Blick, das durchweg schöne Sommerwetter, all das hat ein Klima geschaffen, in dem wir wirklich familiär und ganz ohne Stress gearbeitet haben. Ich habe selten einen so total entspannten Set gehabt.

Hatten Sie Sorgen, dass die Nähe zu der Familie Handke Sie als Regisseur in Konflikt bringt?

WENDERS: Keinen Moment lang. Peter hat das Stück für Sophie geschrieben, und ich halte große Stücke auf sie als Schauspielerin. Ich habe mit ihr schon einmal gearbeitet, in meinem Teil des Films „Jenseits der Wolken“ von Michelangelo Antonioni. Für „Aranjuez“ habe ich eine Rolle dazugeschrieben, nämlich die des Schriftstellers. Peter Handke selber hat sich aus der ganzen Vorbereitung des Films völlig herausgehalten. Auch beim Dreh war er nur an einem Tag dabei. Da hat er dann einen kleinen Gastauftritt als Gärtner gehabt. Aber er hat weder beim Drehbuch noch beim Schnitt in irgendeiner Weise Einfluss genommen.

Und warum haben Sie nach „Every Thing Will Be Fine“ nun erneut einen Spielfilm in 3D gedreht?

WENDERS: Der Film ist so entspannt, und diese drei Figuren, der Mann, die Frau sowie der Autor, sind so präsent und „wirklich“, dazu dieser eine Schauplatz, das Haus der Sarah Bernhardt mitten in diesem Garten, mit Paris am Horizont, so „wahr“ und selbstverständlich, dass ich von Anfang an nie an ein anderes Medium gedacht habe als an 3D. Ich war mir sehr sicher, dass 3D in der Lage ist, Charaktere und ihre Geschichten in einen Raum zu stellen, der absolut hyper-realistisch ist und dadurch den Zuschauer so in die Situation hinein versetzt, wie es das zweidimensionale Medium einfach nie konnte. Dieser Film hier, „Die Schönen Tage von Aranjuez“, zeigt meinen Traum von dieser neuen Filmsprache. Und ja, dieser Film ist sicher ganz weit von jedem anderen 3D-Film entfernt, der je gemacht wurde. Dies hier ist wirklich ein natürliches Sehen, das der gängigen Filmgrammatik nichts mehr schuldet.

Wie wichtig ist eine Premiere bei einem Filmfestival wie Venedig?

WENDERS: Unter den zahlreich eingereichten Filmen am Ende tatsächlich in den Wettbewerb eines der großen Filmfestivals wie Cannes, Venedig oder Berlin eingeladen zu werden, ist allein schon eine Auszeichnung und gerade für Arthouse Filme lebenswichtig. Hier bekommt jeder Film auf einen Schlag die Aufmerksamkeit einer weltweiten Presse und eines internationalen Publikums, wie es sonst kaum möglich wäre.

Regisseur Wim Wenders hat einen stimmungsvollen Film gedreht. Foto: afp

Regisseur Wim Wenders hat einen stimmungsvollen Film gedreht. Foto: afp

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Erstellt:
02.09.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 07sec
zuletzt aktualisiert: 02.09.2016, 06:00 Uhr

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