Auch Täterinnen sichtbar machen

Regisseur Florian Eichinger präsentiert Film über sexuellen Missbrauch

Männer und Jungen als Opfer von Frauen sind noch ein Tabuthema, sagt der Regisseur Florian Eichinger, der das ändern möchte.

09.12.2016

Von Dorothee Hermann

Regisseur Florian Eichinger im Kino Arsenal. Bild: Sommer

Regisseur Florian Eichinger im Kino Arsenal. Bild: Sommer

In seinem Film „Die Hände meiner Mutter“ wird ein Mann bei einer Familienfeier von einer Erinnerung überwältigt: Wie sich seine Mutter an ihm zu schaffen machte und auch ihn zu Berührungen zwang, als er noch ein Junge war. Bei sexueller Gewalt sind nur 10 bis 20 Prozent der Täter Frauen. Für den Hamburger Regisseur Florian Eichinger ist das ein vergleichsweise hoher Anteil: „Weil Täterinnen fast gar nicht in der öffentlichen Wahrnehmung auftauchen.“ Das sagte der 45-Jährige am Rande der Tübinger Premiere am Donnerstagabend im Kino Arsenal.

Wenn sie von sexuellem Missbrauch durch Frauen hörten, fragten manche: „Geht das überhaupt?“ Für die Betroffenen verschärfe das die Belastung noch. „Sie finden keine Ansprechpartner. Man glaubt ihnen nicht.“ Dazu tragen überkommene Rollenbilder bei, so Eichinger: „Ein Mann hat kein Opfer zu sein. Frauen werden zu Opfern stigmatisiert.“ Das Motiv „Gewalt in der Familie“ durchzieht bereits seine beiden früheren Filme „Bergfest“ und „Nordstrand“.

Der vom Theater kommende Schauspieler Andreas Döhler hat die Rolle des jungen Familienvaters Markus übernommen. „Er ist scheu, aber auch sehr aufbrausend“, sagte der Regisseur. Das sei bei allen Menschen so. „Er wird gleich verdächtigt. Von den Therapeuten und vom Zuschauer vielleicht auch“, so Eichinger. „Man wird immer sofort verurteilt: Ja, dem ist ja das und das passiert.“

Der Film nimmt sich auch die Berufsgruppe der Therapeuten vor. Markus muss sich lange quälen, bis er eine findet, die ihm zu helfen versucht. Die ersten sind überfordert, finden keinen freien Termin, und einer fragt tatsächlich, ob Markus damals nicht selbst Lust empfunden habe.

Als er bei einer Beförderung übergangen wird, kann man sich fragen, ob es an der frühen Traumatisierung liegt, dass er nicht offener auf andere zugehen kann. Der Film möchte zu solchen Fragen anregen: „Wie gehe ich damit um, dass mir so etwas passiert ist? Was passiert mit meiner Familie, meiner Frau?“

Die Erzählweise bleibt eher zurückhaltend. „Es ist schon schlimm genug, was passiert. Ich wollte das nicht durch Schnitt und Musik zusätzlich dramatisieren“, sagt Eichinger. Er wolle nicht zu Verurteilung oder moralischer Bewertung auffordern. „Man sollte nicht außer Acht lassen, das es um sehr komplexe menschliche Wesen geht.“

Der Regisseur hat vorab mit drei betroffenen Männern gesprochen und einzelne Drehbuchsituationen mit Psychoanalytikern abgestimmt. „Viele reden aus Scham nicht darüber“, sagt Eichinger. „Bei männlichen Opfern wird eine riesige Dunkelziffer vermutet.“ Sein Film richte sich auch gegen den Rückschluss, dass Opfer quasi zwangsläufig selbst zum Täter werden müssen. Das Drama mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ wurde beim Filmfest München mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet.

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Erstellt:
09.12.2016, 20:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 21sec
zuletzt aktualisiert: 09.12.2016, 20:00 Uhr

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