Gleichstellung

Raus aus dem Schatten

Homosexualität ist unter Profisportlern immer noch ein Tabuthema. Auf einem Podiumsgespräch forderten Experten mehr prominente Vorbilder und ein Engagement der Verbände.

29.07.2017

Von ANNA WITTMERSHAUS

Die ehemalige Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens ist selbst lesbisch und weiß, mit welchen Problemen homosexuelle Profisportler zu kämpfen haben.  Foto: Getty

Die ehemalige Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens ist selbst lesbisch und weiß, mit welchen Problemen homosexuelle Profisportler zu kämpfen haben. Foto: Getty

Stuttgart. Im Fußball gibt es immer noch typische Rollenbilder, sagt Tanja Walther-Ahrens auf bei dem Podiumsgespräch des baden-württembergischen Lesben und Schwulenverbands zum Thema sexuelle Identität im Sport. „Fußballspielen können nur richtige Männer und die sind nicht schwul, sonst wären sie Weicheier“, nennt die ehemalige Bundesliga-Spielerin ein weit verbreitetes Vorurteil. „Und ich wiederum bin ein Mannsweib, denn ich kann Fußball spielen und daher bin ich auch per se lesbisch.“ Gerade diese Vorurteile würden es vielen Fußballerinen schwer machen, sich als lesbisch zu outen. „Sie haben Angst den Frauenfußball dadurch kaputt zu machen“, erklärt Walther-Ahrens, die selbst homosexuell ist.

Frauen im Zwiespalt

Um nicht als lesbisch abgestempelt zu werden, würden sich die Kickerinnen durch Schminke und für Frauen typische Frisuren (lange Haare, Zopf) betont weiblich zeigen, sagt Dr. Jörg-Uwe Nieland von der Sporthochschule in Köln. „Gerade in Männersportarten müssen Frauen ihren Körper sportlich und auf der anderen Seite weiblich präsentieren“, berichtet der Sportwissenschaftler von dem Zwiespalt, in dem sich die Frauen befinden.

Während es bei den Frauen unter anderem mit Bundestrainerin Steffi Jones und Nationaltorhüterin Nadine Angerer einige Beispiele für offen gelebte Homosexualität gibt, muss man diese bei den Herren lange suchen. Statistisch lässt sich nur schwer errechnen, wie viele schwule Fußballer es in Deutschland geben müsste. Denn es gibt allgemein kaum Zahlen, wie viele Männer in der Bundesrepublik homosexuell sind. Laut statistischem Bundesamt soll es 2016 in Deutschland 54 000 gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften unter Männern gegeben haben.

Dass es vermutlich auch unter Fußballern einige Schwule gibt, dafür könnte auch die Aussage des ehemaligen Bundesliga-Schiedsrichters Babak Rafati ein Indiz sein. In der Schweizer Boulevardzeitung Blick sagte er Anfang des Jahres: „Ich kenne schwule Fußballer und Schiedsrichter in der Bundesliga, es gibt in jeder Mannschaft drei bis vier Spieler.“ Das bekannteste Beispiel in Deutschland ist bisher Thomas Hitzlsperger, früher unter anderem beim VfB Stuttgart unter Vertrag. Er „gestand“ seine sexuelle Orientierung jedoch erst nach seiner Karriere – auch weil ihm mehrere Journalisten davon abgeraten hatten.

„Ich finde es erschreckend, dass Menschen, die nicht in dem Business tätig sind, einem davon abraten, sich zu outen“, sagt Christian Deker, Gründer der Stuttgarter Junxx, einem Fanclub des VfB Stuttgart für Lesben und Schwule. Mit dem Fanklub will Deker die Homosexuellen im Stadion sichtbarer machen. Für ihn ist klar: „Die Fans sind nicht das Problem. Wir stellen fest, dass die Fußball-Anhänger bei diesem Thema offen sind.“ Das Problem sahen die Podiumsteilnehmer dagegen bei den Verbänden und im Umfeld der Spieler. „Im Fußball wird viel unternommen gegen Rassismus und Drogen, aber gegen Homophobie wird nichts getan“, beklagt Deker. Die Sportpolitik müsse mehr Druck machen, fordert Nieland: „Von alleine werden sich die Verbände nicht darum kümmern.“

Immerhin: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat eine AG Vielfalt, die sich um das Thema Homosexualität kümmern soll. „Wir müssen Symbolpolitik betreiben, aber wir müssen auch etwas tun“, weiß Sven Wolf, Mitglied der AG Vielfalt. „Wir müssen auch an die Basis gehen“, erklärt der ehrenamtliche DFB-Funktionär. Neben Trainern müssten auch Erzieher und Lehrer für das Thema sensibilisiert werden, sagt Wolf.

Um den Druck auf die Verbände zu erhöhen, brauche es mehr Vorbilder, so der Tenor der vier Podiumsteilnehmer. Diese würden auch andere Spieler ermutigen sich ebenfalls zu outen. „Es muss eine Atmosphäre da sein, in der ich mich wohlfühle, damit ich mich traue und auf der anderen Seite braucht es Vorbilder, die vorangehen“, findet Ex-Profifußballerin Walther-Ahrens.

Reaktionen sind unvorhersehbar

Wie Fans, Vereine, Mitspieler und die Medien in Deutschland auf ein Bekenntnis eines männlichen Spielers zur Homosexualität reagieren würden, könne man nicht grundsätzlich beantworten, sagt Nieland. Man könne aber beobachten, dass sich in anderen Ländern immer mehr schwule Sportler outen würden – mit negativen Folgen: „Die Erfahrung ist vor allem in den amerikanischen Sportarten wie American Football, dass die Sportler, die sich während ihrer Karriere geoutet haben, es nicht in die erste Mannschaft schaffen“, so der Sportwissenschaftler.

Eigentlich ging es bei dem Podiumsgespräch in Stuttgart nicht nur um den Fußball, sondern generell um Homosexualität im Sport. Dennoch wurde das Thema vor allem anhand dieser Ballsportart abgehandelt. „Es gibt kein besseres Medium als Fußball“, findet Walther-Ahrens. „Man kommt an dieser Sportart nicht vorbei.“

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Erstellt:
29.07.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 16sec
zuletzt aktualisiert: 29.07.2017, 06:00 Uhr

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