Lobbyarbeit für den Luchs

Raubkatze Tello lässt sich die Woche über bis zu drei Rehe schmecken

Luchs Tello streift weiterhin am Albtrauf entlang zwischen Hechingen und Bad Urach. Am liebsten frisst er Reh. Das bringt einige Jäger auf die Palme.

30.09.2016

Von Mario Beisswenger

Auf der Nachtaufnahme rechts ist Tello in die Fotofalle getappt und begutachtet gerade ein von ihm erbeutetes Reh. Bilder: FVA

Auf der Nachtaufnahme rechts ist Tello in die Fotofalle getappt und begutachtet gerade ein von ihm erbeutetes Reh. Bilder: FVA

Mössingen. „Es scheint ihm gut zu gehen.“ Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg hat ein wachsames Auge auf die Raubkatze, die sich am Albtrauf eingerichtet hat. Ein oder auch mal drei Rehe reißt Luchs Tello die Woche. Schafe oder Ziegen stehen aktuell nicht auf seinem Speiseplan.

Gerade ist der Kontakt zu Tello abgerissen. Sein Sendehalsband wählt sich nur einmal am Tag ins Handynetz ein zur Positionsbestimmung. Wenn er da im Funkloch ist, bleibt er unerkannt. Die Kreisjägervereinigung jedoch ist informiert.

„Die räumlichen Schwerpunkte kennen die Jäger“, sagt Herdtfelder, der nach außen keine Ortsangaben herausrückt. Doch Teile der Jägerschaft beäugen Tello zunehmend kritisch. „Wir im Kreis Tübingen brauchen keinen Luchs“, schrieb Kreisjägermeister Walter Jäger im Rundbrief an seine Jagdkollegen. Den Satz bedauert er inzwischen. „Ich würde heute sagen, wir brauchen keinen ausgesetzten Luchs.“ Tello kam von selbst und wird eben so akzeptiert. Die Akzeptanz könnte wachsen, wenn Jagdpächter entschädigt werden, wenn der Luchs ihnen ein Reh schnappt. Bisher gibt es nur eine Aufwandsentschädigung vom Landesjagdverband für die „Rissmeldung“.

„Wir Jäger müssen die betroffenen Jagdpächter für jeden festgestellten Riss finanziell entschädigen“, findet Jäger. Er kann sich vorstellen, dass die Kreisjäger eine Entschädigung via Umlage drauflegen. Auch die Jagdpachten könnten die Gemeinden senken. Gerüchteweise soll es dazu in Mössingen schon Anfragen gegeben haben. Stimmt nicht, heißt es dazu aus dem Mössinger Rathaus.

Im Oktober wird es ein Treffen geben mit Jagdpächtern, Wildtierbeauftragten und Herdtfelder von der FVA: eine Runde Luchslobbyarbeit. Wobei nach Einschätzung des Wildtierbeauftragten Jürgen Schneider nur eine Minderheit der Jäger den Beutegreifer ablehnt. „Viele Jäger bekommen leuchtende Augen, wenn es um den Luchs geht.“

„Es gibt Jäger, die integrieren den Luchs ins Jagderlebnis“, sagt auch Herdtfelder. „Die sind gespannt, ob sie einen sehen.“ Aber dann gibt es halt auch diejenigen, bei denen die Jagd mühseliger wird. Tello hat sich angewöhnt, in einem guten Jagdgrund auch mal länger zu bleiben. „Dann kommen die Rehe natürlich nicht mehr zur gewohnten Zeit am gewohnten Ort aus der Deckung“, sagt Herdtfelder.

Solange es im Land keinen übereinstimmenden Wunsch gibt, wieder Luchse anzusiedeln, wird Tello nur hin und wieder einem Männchen begegnen. Weibchen sind zurückhaltender, was die Ausbreitung angeht. Zwischen der Schweiz, woher Tello kam, und der Schwäbischen Alb gibt es so viele Wanderungshindernisse, dass sich eine Luchsin kaum durchschlägt.

Eine eigenständige Luchspopulation ließe sich aufbauen, meint Schneider. „Wir haben hier eine reich strukturierte Landschaft, und Rehe haben wir jede Menge.“ Vorbild könnte Rheinland-Pfalz sein. Dort wurden Ende Juli zwei Weibchen und ein Männchen im Pfälzer Wald ausgesetzt.

Allerdings ist dafür noch keine breite Zustimmung aus Jagd und Landwirtschaft abzusehen. Im Moment gelte im Land: „Wiederansiedlung nur dann, wenn Wiederansiedlung Konsens ist“, sagt Herdtfelder. „Für einen Erfolg müsste ein Großteil der Jäger und auch Landwirte dahinter stehen. Das ist letztlich eine politische Entscheidung.“

Auf der Nachtaufnahme rechts ist Tello in die Fotofalle getappt und begutachtet gerade ein von ihm erbeutetes Reh. Bilder: FVA

Auf der Nachtaufnahme rechts ist Tello in die Fotofalle getappt und begutachtet gerade ein von ihm erbeutetes Reh. Bilder: FVA

Wenn der Luchs die Rehe wegfrisst

Es gibt unter Jagdpächtern die Sorge, dass der Luchs die Rehe reißt, die der Jagdpächter selbst schießen und verkaufen wollte. Das sei aber kein Problem, erklärt der Freiburger Forstwissenschaftler Micha Herdtfelder. Wer eine Abschussquote von 40 Rehen habe, muss die Luchsrisse nicht abziehen. „Es darf auch mehr geschossen werden.“

Dass „ein Luchs in der Lage ist, die Rehpopulation zu reduzieren“, sei ein Irrglaube, erklärt Herdtfelder. Übers Jahr beschafft sich die pinselohrige Großkatze 50 bis 100 Rehe von einer Fläche von 100 oder 200 Quadratkilometer. Viel zu wenig, um den Bestand zu dezimieren. Jäger schaffen 10 bis 20 Rehe, allerdings auf einem einzigen Quadratkilometer.

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Erstellt:
30.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 50sec
zuletzt aktualisiert: 30.09.2016, 01:00 Uhr

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