Französische Filmtage

Räuber und Gendarm

Das Festival erinnert an den Autor Pierre Véry.

02.11.2017

Von Wilhelm Triebold

Räuber und Gendarm

So kann man in Misskredit geraten. Weil es Joseph Goebbels beliebte, während der Besatzung Frankreichs eine eigene Pariser Filmfirma zu gründen, die „seichte, womöglich kitschige Unterhaltungsfilme“ (so Goebbels’ Anweisung) nach Art der gleichgeschalteten Ufa liefern sollte, mussten sich die meisten Akteure nach Kriegsende warm anziehen.

Denn sie standen im Verdacht, mit dem Feind fraternisiert zu haben. Darunter Stars wie Fernandel oder die jetzt gerade verstorbene Danielle Darrieux. Auch einer wie Henri-Georges Clouzot wagte bei dieser Firma namens Continental seine ersten Regie-Schritte.

Die Produktionen, die Continental dann ab 1941 heraus brachte, dürften aber wohl kaum den Geschmack des Reichsministers getroffen haben. Den Anfang machte „L‘Assassinat du Père Noël“ nach einem mystischen Kriminalroman des Autors Pierre Véry. Alles andere als Konfektionsware, wie sie Goebbels vorschwebte. Im Gegenteil, die humane Botschaft am Ende des Films passt so gar nicht in die Zeit der Knobelbecher, der Kapitutation und der Kollaboration.

Das verschneite Dorf in der Haute-Savoie, in dem Véry seine Weihnachtsgeschichte spielen lässt, ist eine merkwürdige Welt für sich, abgeschieden und abgeschnitten vom realen Außen, in dem die Gendarmerie herumgeistert auf der Suche nach dem Kriminalfall. Es ist natürlich nicht der Weihnachtsmann, der tot im Schnee liegt. Aber viel mehr soll hier auch nicht gelüftet werden von all dem schönen Geheimnis, das diesen Film umrankt.

Nur so viel: Es gibt ein Happy-end. Ein Liebespaar findet sich, und für ein kränkelndes Kind erfüllt sich – schließlich ist Weihnachten! – ein heilsamer Wunsch. Und der Gendarm schneit tatsächlich noch herein, löst als ein Deus ex Machina den Fall im Handumdrehen und verschwindet wieder.

„L‘Assassinat du Père Noël“ ist kein Problemfilm, aber eben auch absolut keine Pflichterfüllung im Goebbels‘schen Sinne. Dazu lavierten sich alle Continental-Kräfte viel zu qualitätsbewusst durch die heiklen Okkupations-Jahre.

Die Hommage der Französischen Filmtage an den Romanautor Pierre Véry schließt noch zwei weitere Filme mit ein. „Goupi Mains Rouges“ („Eine fatale Familie“) spielt im bäuerlichen Milieu, in dem Véry mehrere seiner Geschichten ansiedelt, was ihm Roger Régents Lob einbrachte, in Jurys Werken schlage einem „ein Geruch von nassen Blättern und frisch gepflügten Feldern entgegen, vermischt mit anderen Gerüchen, die weniger ländlichen Ursprungs sind.“

Mit „Goupi Main Rouges“ kehrt Avery zu den heimatlichen Wurzeln in der Zentralmassiv-Provinz Charente zurück. Hier allerdings bringt der verlorene Sohn Goupi-Monsieur, zum Heiraten aus der Metropole zurückbeordert, den heimischen Laden und den Dorfalltag gehörig durcheinander. „Es ist nicht mein Verdienst, wenn es mir gelungen ist, jene Goupis getreu zu porträtieren“, schreibt Avery dazu, „ich kannte sie gut und war einer von ihnen ... Ich habe euch in meine Gegend geführt. Es genügt euch, nur einen Blick auf diese Goupis zu werfen, und sofort habt ihr sie gesehen...“ Kritiker rühmten deshalb auch „gewiss die authentischsten Bauern, die in einem französischen Film entstanden sind“.

Und schließlich „Les Disparus de Saint-Agil“ („Das Geheimnis von St. Agil“), 1939 mit dem „Prix Jean Vigo“ ausgezeichnet: Ein Internatskrimi unter anderem mit Michel Simon und Erich von Stroheim, letzterer damals tatsächlich noch mit Haaren auf dem Schädel.

Véry kam dann relativ unbeschadet aus der Continental-Affäre heraus, verlegte sich am Ende seiner Karriere auf Science Fiction (darunter der Roman „La Révolte des Pères Noël“) und starb 1960 in Paris. Sohn Noël Véry hat sich als Kameramann einen Namen und in Frankreich die Steadicam bekannt gemacht. Und er hat, sehr verdienstvoll, die Romanverfilmungen des Vaters restaurieren und digitalisieren lassen.Wilhelm Triebold

Die drei Filme nach Pierre Vèry auf dem Festival

„L‘Assassinat du Père Noël“ läuft am heutigen Donnerstag um 16 Uhr im Kino Arsenal (OmeU), außerdem am kommenden Sinntag um 15.30 Uhr im Stuttgarter Haus der Geschichte. Dort moderiert im Anschluss der französische Generalkonsul Nicolas Eybalin eine Diskussion mit Pierre Vérys Sohn Noël.

„Goupi Mains Rouges“ läuft am Samstag, 4. November um 14 Uhr im Kino Arsenal (OmeU). Und „Les Disparus des Saint-Agil“ ist am kommenden Montag um 16 Uhr im Kino Atelier zu sehen (OmeU). Hinterher gibt es noch ein Gespräch mit Noël Véry.

Zum Artikel

Erstellt:
02.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 04sec
zuletzt aktualisiert: 02.11.2017, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!