Rottenburg. Ist das nun ein Stück für Schwaben, oder haben auch Dialektfremde etwas davon? Diese Frage lässt sich nach der Premiere von „Rottenburg macht blau: Sebastian Blau“ mit sowohl als auch beantworten. Die Besucher des Sommertheaters applaudierten den 30 Laiendarstellern herzhaft, und wer die Texte nicht verstand, konnte sich zumindest über eine eindrucksvolle Stadtführung gespickt mit meist hochdeutsch vorgetragenen Details über das Leben des (Mundart-)Poeten und Journalisten Josef Eberle alias Sebastian Blau freuen.

Impressionen vom Rottenburger Sommertheater

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Am Anfang war‘s ein bisschen wie am Schmotzigen. Das Theatervolk versammelte sich auf dem Marktplatz und harrte vor dem Rathaus der Dinge, die da kommen sollten: Der Fanfarenzug schmetterte grelle Signale, Dietlinde Elsässer (Regie und Buch) versuchte hier und da dirigierend einzugreifen, konnte aber nicht mehr viel ausrichten, und weil die Stadt Auftraggeber des ersten Rottenburger Sommertheaters seit sieben Jahren war, erklärte Oberbürgermeister Stephan Neher die Sebastian-Blau-Spiele offiziell für eröffnet.

Sortiert nach den Farben ihrer Eintrittsbändel machten sich die Besucher in vier Gruppen auf den Weg durch die Altstadt. Der Josef Eberle, berichtete etwa Führer Klaus Theil jenen, die es noch nicht wussten, wurde 1901 am Marktplatz geboren. Dort trieb er einige Jahre später sein Unwesen, indem er in einer Horde Buben hinter den Mädchen herpfiff. Die Truppe war als „Die Marktplatzjodler“ bekannt.

Am Metzelplatz erklingt eine zarte Vertonung von Blaus Gedicht „Feier obed“, es singt der achtköpfige Chor CantaRosa aus Hirrlingen und Starzach (der bei den September-Aufführungen durch den Liederkranz Rottenburg ersetzt wird). 1929 heiratete Eberle die Jüdin Elsa Lemberger, 1933 saß er sechs Wochen im KZ Heuberg. Weil er unter seinem bürgerlichen Namen nicht mehr veröffentlichen konnte, legte er sich ein Pseudonym zu: Sebastian Blau.

Hier spielt sich eine herzzerreißende Romeo- und Julia-Szene unter beziehungsweise auf einem weinrumrankten Balkon ab. Dort ertönt Säuglingsgeschrei aus einem Fenster im ersten Stock. Die Hebamme (Doris Heilig) verkündet die Geburt der kleinen Josefine Eberle und erklärt woher die kleinen Kinder kommen (der Storch fischt sie laut Blau aus dem Kindlesbrunnen beim bischöflichen Palais).

Nun geht’s durchs versteckte Rehmengässle, wo oben auf einer Verbindungsbrücke zwischen zwei Häusern ‚s Hekabeerles Häberles Evelyne (Claudia Matzke) über die Vergänglichkeit der Liebe räsoniert. Ihr Mann, dr dickkopfet Eintrachtwirt, hat ihr nach 30 Jahren wilder Ehe einen Antrag gemacht – und wartet vergeblich auf seine Braut. „Haohzich, Haohzich, etz wurds Tag“, rezitiert Patrick Nagel, der Enkel des beliebten Blau-Rezitators Peter Nagel, ein Gedicht des Mundartpoeten, und sein Schulkamerad Marco Truffner steht ihm in nichts nach. Am Brunnen beim Kalkweiler Tor kalauern die Waschweiber. Da hat die eine ein Nachmittagsnickerle gemacht und wird zurechtgewiesen: „Nickerle darf ma nemme sage. Wege dem isch onser Nicknegerle em Weggetal wegkomme.“

Verwinkelte Stiegen hinunter (die für Leute mit Kniebeschwerden nichts sind), vorbei an bevölkerten Gärten und am Neckar entlang geht‘s zur Zehntscheuer, wo Getränke und Wurschtwecken warten. Auch die Bierbänke sind nach dem langen Marsch willkommen. Nach einer Verschnaufpause dann der Schlussakt, eine kleine Komödie in der Zehntscheuer: Dort soll ein Blau-Verein gegründet werden. Wer spätestens hier am Dialekt scheitert, muss sich nicht schämen. Vielleicht kauft er oder sie sich ja demnächst einen Blau-Gedichtband, um das alles in Ruhe nachzulesen.

Fazit: Ein wunderbarer Theaterspaziergang – der aber nur bei gutem Wetter wirklich funktioniert.

gSiehe auch unsere Bilderseite. Noch mehr Bilder vom Theater gibt es im Internet auf www.tagblatt.de