Saubere Arbeit oder Medaillenflut?

Podiumsdiskussion im Kupferbau zum Spannungsfeld Sportmedizin und Leistungssport

Sollen sich Universitäten an der medizinischen Betreuung von Leistungssportlern beteiligen? Eine nach den jüngsten Doping-Enthüllungen umstrittene Frage, die am Dienstag auf einer Podiumsdiskussion im Tübinger Kupferbau aber dennoch mehrheitlich bejaht wurde.

28.04.2016

Von David Scheu

Testpersonen in der Tübinger Sportmedizin: Körperfunktionsuntersuchungen beim Laufen auf Band. Archivbild: Faden

Testpersonen in der Tübinger Sportmedizin: Körperfunktionsuntersuchungen beim Laufen auf Band. Archivbild: Faden

Spätestens 2007 hat auch die universitäre Sportmedizin den Nimbus der Unantastbarkeit verloren. Da nämlich enthüllte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ systematisches Doping an der Freiburger Uni – über Jahrzehnte hätten Ärzte unerlaubte Substanzen verabreicht. In der Evaluierungskommission zur Aufklärung des Skandals saß auch Perikles Simon. Und der Mainzer Sportwissenschaftler war am Dienstag in Tübingen auch der größte Skeptiker, was eine starke universitäre Betreuung von Spitzensportlern betrifft. „Es wurde bisher versäumt, die Sache ausreichend zu regulieren.“ Daher sollten Sportmediziner lediglich in der Notfallversorgung aktiv sein und eben nicht dauerhaft vor Ort bei Wettkämpfen, so Simon.

Widerspruch kam da aus Sicht eines direkt Betreuenden: Tim Meyer vom Ärzteteam der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sah vor allem im orthopädischen Bereich Notwendigkeiten: „Da fällt im Alltag für Leistungssportler vieles an, was von einem Allgemeinmediziner nicht adäquat abgedeckt werden kann.“ In dieser Hinsicht sei die Universität gut aufgestellt, so Meyer, der eine gewisse Abneigung gegen „irgendwelche Voodoo-Praktiken“ nicht verbergen wollte.

Auch Moderator und Gastgeber Andreas Nieß, Direktor der sportmedizinischen Abteilung in Tübingen, schloss sich Meyer an. Und verwies vor allem auf die Unabhängigkeit der universitären Sportmediziner. „Einfach, weil sie eine gesicherte Stelle mit anderen Aufgaben haben. Damit sind sie nicht vom Erfolg der von ihnen betreuten Athleten abhängig.“ Das wiederum wollte Simon so nicht stehen lassen: „Auch an der Universität kann man schnell in Abhängigkeiten geraten.“ So würden etwa bei sportlichen Erfolgen neue Mitarbeiterstellen geschaffen. „Dann steht man schnell vor der Gewissensfrage: Sauber arbeiten und Kollegen entlassen – oder Medaillen produzieren?“

Der stellvertretende Direktor der Tübinger Sportmediziner, Heiko Striegel, sieht die Arbeitsplätze an der Uni dagegen weniger gefährdet: „Bei ausbleibendem sportlichen Erfolg müssen zuerst die Trainerstellen bei den Verbänden dran glauben“, so der Mannschaftsarzt des VfB Stuttgart. Das Problem sei vielmehr, dass sich viele junge Sportmediziner stark über ihre Tätigkeit im Leistungssport definieren. „Das war auch in Freiburg das Problem.“ Striegels Lösungsvorschlag: „Mit solchen Aufgaben sollte kein junger Arzt betraut werden, sondern ein etablierter und damit wirtschaftlich unabhängiger.“

Völlig zu verhindern sei Doping aber ohnehin nie, erläuterte der emeritierte Kriminologe und Strafrechtler Dieter Rössner: „Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass Gespräche über solche Themen nur unter vier Augen stattfinden. Schon sechs sind zu viele.“ So könne in einem Gerichtsprozess oft nicht viel aufgedeckt werden, weil immer Aussage gegen Aussage stehe. „Wir müssen lernen, damit umzugehen“, sagte Rössner und verwies auf das „Fünf-Prozent-Problem“: „So viele sind es immer, die sich nicht an die Regeln halten. Egal in welchem Bereich.“

Einigkeit herrschte auf dem Podium derweil in einem Punkt: Medaillenforderungen wie zuletzt von Innenminister Thomas De Maizière seien in keiner Weise zielführend. „Das fordert die Sportmediziner ja geradezu heraus, alle Mittel auszuloten“, sagte Simon. Auch Meyer fand die Vorgaben „weder klug noch in Ordnung“, ergänzte aber auch: „Ganz ehrlich: Ich fühle mich durch solche Aussagen von Politikern nicht zusätzlich unter Druck gesetzt.“

Die Forderungen von bestimmten Platzierungen kritisierte auch Ulrich Derad, Hauptgeschäftsführer des Landessportverbandes Baden-Württemberg: „Wir sollten nicht immer nur auf Medaillen schauen und uns auch mal über achte Plätze freuen.“ Viel wichtiger sei die Hingabe des Athleten für seinen Sport – unabhängig von Erfolg, Geld und Aufmerksamkeit. „Sonst würden alle Fußball spielen und niemand zum Judo gehen“, sagte der frühere Handball-Nationalspieler und Geschäftsführer des THW Kiel.

Fragerunde: Was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht?

Der Podiumsdiskussion schloss sich am Dienstag noch eine Fragerunde an. Was ein Arzt denn dagegen tun könne, wenn ein Sportler eigenmächtig dope und ihn damit mit in Schwierigkeiten bringe, wollte eine Zuhörerin wissen. „Nicht viel“, sagte Tim Meyer mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht: „Detektivische Arbeit gehört aus meiner Sicht nicht in den ärztlichen Aufgabenbereich.“ Ein gewisser Widerspruch kommt da von den anderen Diskutanten schon. Perikles Simon: „Wenn ein Athlet nach acht Wochen unrealistisch große Fortschritte gemacht hat, kann der Arzt das Vertrauensverhältnis schon als gestört ansehen und das auch so sagen.“ Dem stimmt auch Heiko Striegel zu: „Schweigen ist schlecht. Alleine durch das Ansprechen wird ein Athlet eventuell hellhörig.“ Ulrich Derad äußerte sogar den Wunsch, dass Auffälligkeiten an die Verbände weitergegeben werden. Und die Schweigepflicht? Strafrechtler Dieter Rössner vermutete, dass sich diese bei relevanten Fakten bereichsspezifisch aufheben ließe.

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Erstellt:
28.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 28.04.2016, 01:00 Uhr

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