Oh Boy

Oh Boy

Die schwarz-weiße Tragikomödie folgt mit Anklängen an die Nouvelle vague einem Tagträumer auf Streifzügen durch Berlin.

06.11.2012

Von Klaus-Peter Eichele

Siehe auch: Schwarz-weiß ist Trumpf - "Oh Boy" räumt bei der Lola-Verleihung ab

Ein Generationsporträt wurde der Debütfilm von Jan Ole Gerster verschiedentlich genannt. Aber welche real existierende Generation soll denn gemeint sein mit diesem von Tom Schilling gespielten "Boy", der sein Studium hingeschmissen hat, keiner geregelten Arbeit nachgeht und sich den ganzen Tag ziellos herumtreiben lässt? Klar gibt es solche verpeilten Typen auch in der Wirklichkeit, ihre wahre Domäne ist aber das Kino: François Truffauts Alter-Ego-Figur Antoine Doinel lässt grüßen und natürlich die Herumhänger in Jim Jarmuschs famosem Erstling "Stranger Than Paradise".

Auch stilistisch dimmt Regisseur den Gegenwartsbezug herunter. In den spröden Schwarz-weiß-Aufnahmen ähnelt Berlin mehr dem Paris von "Außer Atem" als der deutschen Hauptstadt. Statt zeit- und stadtgemäßen Elektroniksounds unterspült vorgestriger Jazz die Handlung. Aber was heißt schon Handlung? Der Film begleitet den Nichtsnutz Niko 24 Stunden lang auf seinem Streifzug durch die Metropole, die sich, ohne dass der Endzwanziger darüber groß in Wallung geraten würde, als feindliches Gebiet entpuppt. Ständig gerät er in bizarre Alltags-Situationen, die ihn noch ein Stück tiefer hinunterziehen. Beim Idiotentest wegen Trunkenheit wird er von einem sadistischen Psychologen zusammengefaltet. Eine Betteltour zu seinem Vater, einem kraftstrotzenden Erfolgsmenschen, gerät zu einem demütigenden Fiasko. Zuweilen weiß sich der Loser aber auch zu wehren, wenn er den Fahrschein-Kontrolleuren in der U-Bahn einen Knoten ins Gehirn redet. Nebenbei nutzt Regisseur Gerster doch auch die Gelegenheit, Zeitphänomene aufs Korn zu nehmen: den typisch deutschen Nazikitschfilm "nach einer wahren Begebenheit" oder den esoterischen Performance-Müll Berliner Kleintheater.

Zwar sind die meisten dieser Episoden austauschbar kabarettistischer Art, eine psychologische Entwicklung des Helden ist weit und breit nicht in Sicht; zusammengehalten werden sie aber vom brillant unauffälligen Spiel Tom Schillings, der jede Unbill und jeden Nackenschlag mit dem unerschütterlichen Gleichmut eines Buster Keaton über sich ergehen lässt. Und wie bei Keaton ist diese geballte Tragik vor allem eins: zum Schreien komisch.

Wer hätte gedacht, dass wir mal einen deutschen Jarmusch kriegen. Bitte mehr davon.

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