„Besessen von der Forschung“

Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard feiert heute ihren 75. Geburtstag

An Ruhestand denkt sie jedoch noch längst nicht: Christiane Nüsslein-Volhard kommt nach wie vor jeden Tag in ihr Büro am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.

20.10.2017

Von MADELEINE WEGNER

Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard. Foto: dpa

Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard. Foto: dpa

Tübingen. Es ist das Institut, das sie bis 2014 fast 30 Jahre lang als Direktorin geleitet hat. Heute genießt sie die Freiräume, die ihr die Emeritierung verschafft. Sie leitet am Institut eine große Forschungsgruppe, die sich mit der Veränderung der Musterung von Zebrafischen im Laufe der Evolution beschäftigt.

1995 war Nüsslein-Volhard die erste Frau aus Deutschland, die einen Nobelpreis erhielt. Den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin bekam sie für ihre Forschung an Taufliegen und zur Frage, welche Gene im Embryo einen Einfluss auf dessen frühe Entwicklung haben. Sie zeigte mögliche Parallelen zu der Entwicklung des Menschen auf. 1986 hatte sie mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgesellschaft die höchste Auszeichnung in der deutschen Forschung erhalten.

Die populäre Feministin Alice Schwarzer hat die Tübinger Forscherin in ihre Liste der „Vorbilder und Idole“ aufgenommen und sie in einem Text porträtiert. „Ich schätze sie sehr, wir sind ein bisschen befreundet“, sagt Nüsslein-Volhard über Schwarzer. „Die Wissenschaft interessiert sie nicht. Aber sie ist eine der wenigen Feministinnen, die mich würdigt.“ Früher habe sie überwiegend schlechte Erfahrungen mit Feministinnen gemacht, die ihr vorwarfen, sie würde sich ebenso schrecklich verhalten wie die Männer.

Für Wissenschaftlerinnen war das keine einfache Zeit. „Als ich angefangen habe, war es als Frau in der Forschung sehr mühsam“, sagt die Entwicklungsbiologin. Sie habe sich in einer traditionellen Männerdomäne durchsetzen müssen: „Die wenigsten waren es gewohnt, mit Frauen professionell umzugehen.“ Dabei stelle der Beruf hohe Ansprüche, koste viel Energie und verlange großen Einsatz. „Viele Frauen möchten das gar nicht so gern“, sagt sie. Außerdem habe sie immer mal wieder beobachtet: „Manche Wissenschaftlerinnen, die jammern, sie würden diskriminiert, sind oft einfach unprofessionell.“ Jungen Wissenschaftlerinnen rät sie deshalb, gut in sich hineinzuhorchen, ob ihnen der Beruf wirklich liegt. „Es bringt doch nichts, über Quoten in eine Führungsposition hineingeschubst zu werden und sich dort dann zu quälen“, sagt Nüsslein-Volhard.

Auch heute noch sei es für Frauen schwierig in der Forschung – umso mehr, wenn sie Kinder haben. Deshalb hat die Nobelpreisträgerin 2004 eine Stiftung gegründet, die begabte junge Wissenschaftlerinnen finanziell unterstützt, um ihnen durch Haushaltshilfe und zusätzliche Kinderbetreuung mehr Freiräume für die wissenschaftliche Arbeit zu verschaffen.

Doch woher nimmt Nüsslein-Volhard selbst im Alter von 75 Jahren die Energie für ihre Arbeit? „Ich bin besessen, was die Forschung angeht“, sagt sie, „und neugierig, was die Natur betrifft.“ Forschung betrachte sie nicht als Arbeit, „das ist mein Ding, mein Vergnügen“. Die von Tübingen ausgegangene heftige Diskussion um Tierversuche in den vergangenen Jahren habe sie dabei nicht beeinträchtigt. „Das hat uns kaum beschäftigt“, sagt sie. Für ihre Untersuchungen schneide sie den Zebrafischen Flossen ab, um Gene zu analysieren. „Das tut den Fischen nicht weh und die Flossen wachsen auch nach“, sagt sie. Auch dank neuer Methoden erwartet die Wissenschaftlerin in den kommenden drei Jahren „sehr interessante Ergebnisse“ aus der Forschung an den Zebrabärblingen und zu der Frage, welche Gene an deren Musterbildung beteiligt sind.

Neben der Forschung hat die Nobelpreisträgerin jedoch auch weitere Leidenschaften: Singen und Kochen. Auch dies geht sie ambitioniert an. Das zeigen die Gesangsstunden, die sie genommen hat, und das Kochbuch, das sie veröffentlicht hat.

Im Zeichen dieser drei Leidenschaften steht auch die Geburtstagsfeier. Nach einem Empfang am Institut heute, feiert sie am Abend privat bei selbst zubereitetem Essen und Musik. Anschließend geht es für eine Woche auf ein Schloss der Max-Planck-Gesellschaft – nicht zum Urlaub, sondern für ein wissenschaftliches Symposium, zu dem die Jubilarin 50 Alumni eingeladen hat.

Zum Artikel

Erstellt:
20.10.2017, 07:32 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 51sec
zuletzt aktualisiert: 20.10.2017, 07:32 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!