Kreisseniorenrat

Nicht mehr einsam leben

Michael Lucke will sich als neuer Vorsitzender unter anderem für altersgerechtes Wohnen direkt am Heimatort einsetzen.

22.08.2017

Von Kathrin Kammerer

Michael Lucke engagiert sich für die Senioren im Kreis. Bild: Faden

Michael Lucke engagiert sich für die Senioren im Kreis. Bild: Faden

Seit Juni ist Michael Lucke Vorsitzender des Kreisseniorenrats. Es ist nicht sein erster Kontakt mit den Belangen älterer Menschen: Als Erster Bürgermeister von Tübingen (2006 bis 2014) gehörten Sozialfragen zu seinen täglichen Aufgaben. Geplant war der Vorsitz trotzdem nicht: Lucke rückte für den verstorbenen Hansjürgen Stiller nach.

Im TAGBLATT-Gespräch erzählt er, was er in Zukunft anpacken will und wo sich in Sachen Senioren in der Stadt etwas tun muss.

Wenn Lucke von der Gestaltung des langen Lebens spricht, meint er damit die 20 oder gar 30 Jahre, die manch ein Senior auch nach der Pensionierung noch vor sich hat – Tendenz steigend. Er zählt auf: „Vom Kindergarten über Schule und Uni bis hin zum Berufsleben ist alles durchgeplant.“ Dann werden die Menschen 65 oder 67, hören auf zu arbeiten – und stehen oft recht unvorbereitet vor weiteren 20 Lebensjahren, die sie nun eben irgendwie gestalten sollen.

Mehr als nur ins Ehrenamt

Auf diese Phase müsse man sich viel langfristiger vorbereiten, als es aktuell geschieht, sagt Lucke. „Man darf die Menschen nicht einfach in irgendein Ehrenamt abdrängen“, findet er. „Oder ihnen sagen: Gestaltet ihr mal euren Garten oder reist halt nach Mallorca.“ Vielmehr solle man ihnen die Möglichkeit geben, sich weiterhin mit ihrem „teils enormen Wissen“ in ihrem alten Berufsfeld einzubringen. „Viele sind noch topfit, wollen noch etwas arbeiten, wenn auch reduziert“, sagt Lucke. Dazu bedarf es lokaler Firmen, die das unterstützen.

Wer bislang die volle Rente bezieht und mehr als 450 Euro im Monat dazu verdient, muss den Nebenverdienst wieder versteuern. Am rechtlichen Rahmen müsse sich also etwas ändern. „Arbeit mit 75 darf außerdem kein Stigma mehr sein. Es darf nicht heißen, dass der Senior halt arm ist und nur deshalb noch arbeitet.“

Ebenfalls eins von Luckes Herzensthemen ist das altersgerechte Wohnen: „Die Menschen wollen dort alt werden, wo sie ihr Leben lang gewohnt haben: In Lustnau, in Bühl oder in Hagelloch.“ Er selbst wohnt seit dem Ausscheiden als Erster Bürgermeister in Kiebingen. Dort engagiert er sich im Vorstand der Dorfgemeinschaft. Zehn Kiebinger wohnen seit 2015 ambulant betreut in ihrer Dorfmitte. „Genau so muss die Zukunft aussehen“, findet Lucke.

Der Start solcher Wohngemeinschaften ist immer mit einem finanziellen Risiko verbunden, „auch wir haben uns verschulden müssen“, sagt Lucke. Es sei nie gewiss, wie das Angebot letztendlich angenommen werde. „In Kiebingen sehr gut, wie sich herausgestellt hat“, so Lucke, „unsere Warteliste ist sehr groß.“ Die SPD-Kreistagsfraktion, der Lucke ebenfalls angehört, hat in einem Antrag die Unterstützung solcher Projekte mit Startgeldern gefordert.

Eine Alternative zu solchen Wohngemeinschaften ist das Gemeinsame Wohnen. „Viele ältere Menschen leben auf großen Flächen, aber sind einsam“, sagt er. So hätten die über 75-Jährigen durchschnittlich 75 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, oft noch die selbst gebauten Häuser oder große Wohnungen. Wenn man diese Menschen nun in Quartieren zusammenbringen könne, werde zum einen enormer Wohnraum in der Stadt frei. Zum anderen können sich in solchen Vierteln nachbarschaftliche Hilfen entwickeln. „Die Menschen unterstützen sich dann gegenseitig, sind weniger einsam.“

Mehr Klos und mehr Bänke

Es sind primär die langfristigen Ziele, für die sich Lucke im Kreisseniorenrat „politisch einmischen“ will. Aber auch kurzfristig sieht er Handlungsbedarf in der Stadt. „Es fehlt an Bänken, es fehlt an guten, öffentlichen Toiletten“, sagt er. Er kenne Senioren, die sich nicht mehr in die Innenstadt trauen, weil sie Angst haben, nicht rechtzeitig ein Klo zu finden.

Neue Quartiere müssen entstehen, in welchen die Bewohner untereinander vernetzt sind: „Alte und junge Leute, Familien, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen.“ In dieser Hinsicht sei Tübingen schon auf einem guten Weg. „Aber auch im Altbestand muss sich was tun“, fordert Lucke. Er nennt Waldhäuser-Ost und die Wanne als Beispiel: „Hier gibt’s kaum nachbarschaftliche Hilfen.“ Bürgervereine könnten beispielsweise Abhilfe schaffen.

Ehrenamt reduziert

Lucke hat sich einiges vorgenommen in seinem neusten Ehrenamt. „Deshalb habe ich den Rest auch reduziert“, sagt er. Aus dem Vorstand der Volkshochschule ist er beispielsweise ausgeschieden. Im DRK, im Kreistag und im Seniorenrat, als Hilfsschöffe beim Landgericht und in Kiebingen gibt’s für ihn aber immer noch genug zu tun. Aus dem 80-Wochenstunden-Job als Erster Bürgermeister ist nun eben eine 30-Stunden-Woche im Ehrenamt geworden.

Wie sich die Bevölkerung entwickelt

Auf der Basis von Daten des Statistischen Landesamtes hat der Kommunalverband für Jugend und Soziales die Entwicklung der Altersstruktur im Landkreis Tübingen berechnet.

Zwischen 2012 und 2030 wird die Gesamteinwohnerzahl voraussichtlich um 6,2 Prozent steigen (214 894 auf 228 241).

Die Zahl der Unter 21-Jährigen steigt um 1,8 Prozent (46 338 auf 47 153), die Zahl der 21- bis unter 65-Jährigen sinkt um 3,7 Prozent (134 240 auf 129 238).

Dagegen wird es 48,8 Prozent mehr 65- bis unter 85-Jährige geben (30 107 auf 44 786) und 67,8 Prozent mehr 85-Jährige und älter (4209 auf 7064).

Zum Artikel

Erstellt:
22.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 29sec
zuletzt aktualisiert: 22.08.2017, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Prost Mahlzeit
Sie interessieren sich für gutes und gesundes Essen und Trinken in den Regionen Neckar-Alb und Nordschwarzwald? Sie wollen immer über regionale Gastronomie und lokale Produzenten informiert sein? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Prost Mahlzeit!