Ein „Raubbau an der Natur“

Naturschutzverbände stemmen sich gegen geplante Wakeboardanlage am Nordufer des Kirchentellinsfurter

Noch ein offener Brief zum Baggersee, diesmal von Naturschutzverbänden. Sie stemmen sich gegen die geplante Wakeboardanlage am Nordufer. Das sei „Raubbau an der Natur“. Die Anlage vertreibe Vögel und auch so manchen Bürger.

13.05.2016

Von Manfred Hantke

Kirchentellinsfurt. Vor Tagen beschwerte sich in einem offenen Brief ein Nacktbader bei der Verwaltung, weil der Gemeinderat beschlossen hatte, aus dem Südufer mit seinem geschützten Grünbestand einen „Bruchwald“ zu machen. Das seit Jahren gesperrte Ufer soll so für „alle Badende“ unbegehbar werden. Nun werfen Naturschutzverbände Bürgermeister Bernd Haug in einem offenen Brief vor, mit der geplanten Wakeboardanlage am Nordufer „Raubbau an der Natur“ zu betreiben. Geschrieben hat ihn Michael Koltzenburg, Sprecher des Landesnaturschutzverbandes Baden-Württemberg (LNV). Ihn unterstützen fünf weitere Verbände: BUND, Nabu Reutlingen, der Fachbereich Umwelt der Naturfreunde, der Landesfischereiverband sowie die Avifaunistische Kommission, die sich um seltene Vogelarten kümmert.

In dem Brief befürworten die Verbände eine „Naturseevariante ohne bauliche Veränderungen“, aber mit einem Konzept für Tourismus, Naturschutz und Fischerei. Auch ein „schönes Strandbad mit minimalen baulichen Einrichtungen“ sei denkbar sowie ein Naturlehrpfad und „definierte Zonen“ für Angler. Dass der Status quo mit der „Szene“ für alle Seiten unbefriedigend ist, können sie nachvollziehen, es gebe „viele Vorkommnisse, die eine kritische Auseinandersetzung mit den Beteiligten auch rechtlich seit langem dringend erforderlich“ machten.

Doch das bestehende Schutzgebiet solle seinem Namen gerecht werden, so die Verbände weiter. Es befremde sie als Naturschützer, wenn eine Interessensgruppe (Nacktbader- und „Parkplatzszene“) durch eine andere (die Wakeboarder) ersetzt würde. Ein Schwarzstorch würde sich nicht in die Nähe einer Wakeboardanlage trauen. Den „schönen See“ durch die Anlage zu verbauen, vertreibe nicht nur Vögel, sondern „mit Sicherheit“ auch so manchen Bürger.

Haug solle bei der Lösungssuche die Menschen mitnehmen und sinnvolle Kompromisse zwischen den Interessensgruppen finden, heißt es im Brief. Die Sicherung des Naturdenkmals und des geschützten Grünbestands am Südufer sei auch unabhängig von jeder Planung möglich, dafür wäre es auch höchste Zeit.

Bernd Haugs Appell: Kein Wunschkonzert aufführen

Das sei „ein bissle zu kurz gesprungen“, so Bürgermeister Bernd Haug gestern telefonisch auf TAGBLATT-Nachfrage zum Brief. Man rede, ohne die Eigentümer gefragt zu haben, ohne deren Interessen und Zielsetzungen zu berücksichtigen. Der Natursee – auch mit „moderater Verbesserung“ der Bademöglichkeiten – sei mit den Eigentümern nicht zu machen, das lehnten sie ab.

Er entscheide ja nicht allein, so der Bürgermeister. Der Abwägungsprozess mit allen Beteiligten habe ein dreiviertel Jahr gedauert, es habe Gespräche mit Eigentümern, Landratsamt und Naturschutzverbänden (auch der LNV war beteiligt) gegeben. Der im April vorgestellte Kompromiss (Bruchwald am Süd-, Wakeboard am Nordufer) werde auch vom Landratsamt getragen, so Haug. Er sei „eine gangbare Lösung“, habe ihm Rolf Strohmaier, Sachgebietsleiter Naturschutz, bestätigt.

Strohmaier habe sogar in Bayern angefragt, wie die Koexistenz von Badesee, Naturschutz und Wakeboard funktioniere. Schließlich hätten die Bayern mit solchen Anlagen die längsten Erfahrungen. Aber Strohmaier habe von keinerlei negativen Auswirkungen erfahren. Wenn es so wäre, müsse man natürlich neu nachdenken, so Haug.

Es sei dahingestellt, ob die Wakeboardanlage den Schwarzstorch oder andere Tiere abschreckt, so Haug. Das müsse abgewartet werden. Laut Landratsamt siedelten sich Tiere dort an, wo sie sich ihres Lebensraums sicher sind. Zudem werde die Geräuschkulisse nicht groß sein, solche Anlagen würden mit Elektromotoren betrieben.

Natürlich, so Haug, verändere eine Wakeboardanlage das Gefüge des Sees. Sie sei Mittel zum Zweck, werte das Nordufer jedoch auf. Schließlich investiere der Stuttgarter Christoph Jeggle einen „nicht unnamhaften Betrag“ in die Verbesserung der Freizeitnutzung. Die Gemeinde könne keine siebenstellige Summe investieren. Dafür gebe es im Gemeinderat keine Mehrheit.

Haugs Appell „an alle“: kein „Wunschkonzert aufführen“, sondern schauen, was „realistischerweise umsetzbar“ ist. Natürlich müsse das Konzept weiterentwickelt werden – auch ein Naturlehrpfad ist „erstrebenswert“.

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Erstellt:
13.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 13.05.2016, 01:00 Uhr

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