ÖPNV · Das SAM bleibt, wird aber teurer

Nachtbusse werden in Tübingen künftig jeden Tag fahren · Vorerst bleibt auch das Nacht-SAM erhalten

Der Nachtbus-Verkehr in Tübingen wird zum Fahrplanwechsel am 10. Dezember 2017 deutlich ausgeweitet: Künftig verkehren die Nachtbusse auch in den Nächten auf Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, also an jedem Tag. In den Nächten Freitag/Samstag und Samstag/Sonntag wird das bestehende Angebot um eine Fahrt erweitert – Betriebsschluss ist dann erst gegen 4.30 Uhr. Das beschloss der Verkehrsbeirat der Stadtwerke Tübingen am Donnerstag in einer öffentlichen Sondersitzung.

13.05.2017

Von Philipp Koebnik

Am 1. September 1985 dokumentierte der TAGBLATT-Fotograf die erste Fahrt des Nacht-Sam. Archivbild: Metz

Am 1. September 1985 dokumentierte der TAGBLATT-Fotograf die erste Fahrt des Nacht-Sam. Archivbild: Metz

Außerdem werden fünf zusätzliche Nachtbus-Linien eingeführt: eine vom Hauptbahnhof zum Österberg, eine zum Rappenberg, eine zwischen Westbahnhof und Innenstadt (über die Schwärzlocher Straße), eine vom Hauptbahnhof über die Gartenstraße nach Lustnau und zurück durch die Innenstadt sowie eine, die zwischen der Wanne und Waldhäuser Ost verkehrt (über den Philosophenweg). Anders als von den Stadtwerken ursprünglich geplant, werden die Nacht-SAMs nicht abgeschafft. Zumindest vorläufig.

Im Vergleich zum Nachtbus sind die Fahrten mit dem SAM deutlich teurer: Sie kosten die Stadtwerke je Fahrgast im Schnitt 16 Euro während eine Busfahrt mit lediglich 0,65 Euro zu Buche schlägt. Allerdings: Die Zahlen sind nicht unmittelbar miteinander vergleichbar, da sich die 65 Cent auf den gesamten Busverkehr beziehen, also nicht allein auf die Nachtbusse. Heinrich Schmanns (AL/Grüne) kritisierte, dass die Zahlen für letztere nicht ermittelt wurden. Er wollte wissen, ob die durchschnittlichen Kosten je Fahrgast beim Nachtbus signifikant von den am Tag fahrenden Linien abweichen, was der Bereichsleiter ÖPNV bei den Stadtwerken, Hans Zeutschel, mit einem lapidaren „Nee“ beantwortete.

Ausschlaggebend für die Absicht der Stadtwerke, die Nacht-SAMs abzuschaffen, waren jedenfalls die hohen Zuschüsse. Eine Fahrt kostet Besitzer einer Dauerkarte 3,70 Euro, die übrigen Fahrgäste zahlen 6,00 Euro. Die Stadtwerke bezuschussen also derzeit jede Fahrt mit 12,30 beziehungsweise 10 Euro. Die Kosten für die Sammeltaxis seien in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen. Auch für die kommenden Jahre erwarten die Stadtwerke deutliche Kostensteigerungen.

Um die Gesamtkosten in Grenzen zu halten, werden die Preise für eine Fahrt mit dem Nacht-SAM um jeweils 2,00 Euro erhöht. Sich nachts bis zur Haustür bringen oder von dort abholen zu lassen, kostet künftig also 5,70 oder 8,00 Euro. Oberbürgermeister Boris Palmer warb für diese Lösung: Da viele SAM-Nutzer künftig häufiger den Nachtbus nehmen würden, bliebe ihr jährliches ÖPNV-Budget in etwa das gleiche.

Bislang nutzen täglich rund 50 Fahrgäste das Nacht-SAM, mit dem Nachtbus fahren pro Nacht ungefähr 450 Personen. Palmer rechnet damit, dass sich die Fahrgastzahl der Sammeltaxis ungefähr halbieren wird. Damit und im Zuge der Preiserhöhung würde sich den Stadtwerken zufolge der Zuschuss von derzeit jährlich rund 200000 auf etwa 50000 Euro verringern.

Der Diskussion am Donnerstag war ein gemeinsamer Antrag der Gemeinderatsfraktionen von FDP, Tübinger Liste und der Linken vorausgegangen, in dem diese forderten, das Nacht-SAM unverändert beizubehalten. FDP und Tübinger Liste hatten zuvor Stellungnahmen der Vertreter von Betroffenen eingeholt, darunter Senioren, der Verein Frauen helfen Frauen und der Personalrat des Klinikums. Einhellig hätten diese die Notwendigkeit betont, den Haus-zu-Haus-Transport zu erhalten. Die Sammeltaxis seien ein wichtiges Angebot für bestimmte Personenkreise wie Frauen, alte Menschen und Menschen mit Behinderung, betonte Dietmar Schöning (FDP) in der Sondersitzung am Donnerstag.

Palmer widersprach: „Ich schätze, 80 Prozent sind Partygänger.“ Menschen mit Behinderung würden nur einen sehr geringen Anteil ausmachen. Und: Müsste man diesen Personen dann nicht konsequenterweise auch ein Tag-SAM anbieten, fragte der OB.

Gotthilf Lorch (Die Linke) erinnerte daran, dass die Nacht-SAMs auch für Menschen mit einer Sehschwäche oder kognitiven Schwierigkeiten ein wichtiges Angebot seien. „Was machen diese Menschen am Tag oder im Winter, wenn es um 16.30 Uhr dunkel wird?“, warf Palmer ein. Man solle lieber über den Regelfall sprechen statt über die Nebensache – „Das ist Marx“, so Palmer.

Ernst Gumrich (Tübinger Liste) führte weitere Personenkreise an, für die das Nacht-SAM von großer Bedeutung sei: Beschäftigte mit abweichenden Arbeitszeiten, etwa am Klinikum, und Eltern, denen es leichter falle, ihre Kinder abends ausgehen zu lassen, wenn diese später in der Nacht sicher bis zur Haustür gebracht werden. Auch dieses Argument ließ der OB mit Blick auf die hohen Zuschüsse der Stadtwerke nicht gelten: „Wer 14-Jährige bis 3.00 Uhr nachts auf der Straße rumspringen lässt, muss sich deren Heimfahrt nicht von der Allgemeinheit bezahlen lassen.“

Auch Martin Sökler (SPD) warb für eine Abschaffung des SAM. Diese seien vor gut 30 Jahren eine „Notlösung“ gewesen – an Nachtbusse habe seinerzeit noch niemand gedacht. Die „Bestandsverteidigungsreflexe“ der Sammeltaxi-Fans könne er nachvollziehen, doch dürfe das – ebenso wie die Beruhigung ängstlicher Eltern – nicht der Maßstab sein. Überhaupt, die höheren Fahrgastzahlen der Nachtbusse im Vergleich zum SAM lieferten den Beweis, dass erstere deutlich beliebter seien. „Klar gibt es ein paar Verlierer, aber es gibt noch mehr Gewinner“, sagte Sökler über die von den Stadtwerken ursprünglich geplante Änderung.

Nach einer längeren Diskussion, bei der deutlich wurde, dass viele Beiratsmitglieder die Pläne der Stadtwerke ablehnen, schlug der OB die oben genannte Zwischenlösung vor. Das neue System solle zunächst einem „Realitätscheck“ unterzogen werden: Der Nachtbus-Verkehr wird wie geplant zeitlich und räumlich ausgeweitet, aber auch das Nacht-SAM bleibt erhalten, allerdings mit höheren Fahrpreisen. Zugleich wird untersucht, welche Personenkreise die Sammeltaxis nutzen. In einem Jahr soll dann auf dieser Grundlage erneut über die Zukunft des Nacht-SAM entschieden werden.

Lorch kritisierte die Preiserhöhung bei den Sammeltaxis: Gerade Menschen mit Handicap hätten oft nur ein geringes Einkommen und könnten das SAM deshalb künftig weniger häufig nutzen. Der Vertreter der Linken enthielt sich deshalb bei der Abstimmung über das neue System, das ab dem Fahrplanjahr 2018 gelten soll. Alle anderen Mitglieder des Verkehrsbeirats stimmten für die von Palmer angeregte Zwischenlösung.

Das Nacht-SAM: vom Frauentaxi zum Bus-Ersatz

Seit mehr als 30 Jahren verkehren nachts Sammeltaxis in Tübingen. Die sogenannten SAMs gehen zurück auf eine Initiative des Frauenforums: Eine Art spezielles Taxi sollte Frauen in der Nacht einen sicheren Heimweg ermöglichen. Die SAMs bringen ihre Fahrgäste nämlich außerhalb der Stadt bis zur Haustür oder holen sie von dort ab, längere Wege alleine und im Dunkeln entfallen somit. Seit 1985 schicken die Stadtwerke nun in Zusammenarbeit mit der Firma Minicar die Sammeltaxis durch Tübingens Straßen. Bald durften auch Männer die SAMs benutzen. In den 1980er Jahren gab es in Tübingen noch keine Nachtbusse – heute ersetzen die Sammeltaxis auf bestimmten Strecken de facto die Nachtbusse. Seinen ursprünglichen Charakter als Frauentaxi hat das SAM mithin längst verloren. Das heißt aber nicht, dass es diese Funktion nicht mehr hätte. Denn auch heutzutage fühlen sich viele Frauen sicherer, wenn das SAM ihnen längere Fußwege in der Nacht erspart.

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Erstellt:
13.05.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 12sec
zuletzt aktualisiert: 13.05.2017, 01:00 Uhr

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