Sie leben den Traum weiter

Nach dem Tod der Gründerin Asun Kramer macht Deutschlands erste inklusive Cheerleader-Gruppe weiter

Sie hatte noch so viel vor mit „ihren Mädels“ von der Cheerleader-Gruppe „The Blue Poisons“: die Mössingerin Asun Kramer. Am 26. Februar starb Kramer völlig unerwartet im Alter von 27 Jahren. Im Sinne der Verstorbenen möchten die Mitglieder die inklusive Cheerleader-Gruppe weiterführen.

30.03.2016

Von Amancay Kappeller

Sie war der „Motor“ der Gruppe: Asun Kramer (Mitte, davor im Spagat Trainerin Susanne Pape-Kramer) und die „Blue Poisons“. Bild: Kappeller

Sie war der „Motor“ der Gruppe: Asun Kramer (Mitte, davor im Spagat Trainerin Susanne Pape-Kramer) und die „Blue Poisons“. Bild: Kappeller

Mössingen. „Wir träumen nicht Dein Leben, wir leben Deinen Traum“: So stand es in der Traueranzeige, mit der die „Blue Poisons“ sich jüngst von ihrer Gründerin verabschiedet haben. Allzu früh verabschieden mussten.

Im Hintergrund der Anzeige war ein Foto von Asun Kramer zu sehen: Die 27-jährige Rollstuhlfahrerin lacht beim Cheerleading-Training in die Kamera. Lebensfreude strahlte die Mössingerin aus. Wer ihr begegnete, der war beeindruckt von ihrem Tatendrang und ihrem Optimismus. Ihr Elan und ihre Begeisterung wirkten ansteckend.

Dabei hielt das Leben für Asun Kramer von Anfang an so manche Hürde bereit. Die Mössingerin kam mit einem schweren Herzfehler auf die Welt. Mit zehn Tagen wurde sie zum ersten Mal am offenen Herzen operiert. Durch die Operation kam es zu einer Störung im Rückenmark. Das Gehen-Lernen war für sie deshalb mühsam. Mit 14 Jahren entschied sich Kramer dann für den Rollstuhl. Für die gelernte Kauffrau im Gesundheitswesen kam es aber nie in Frage, deswegen den Kopf in den Sand zu stecken. „Man kann aus Handicaps auch Vorteile ziehen“: Davon war die 27-Jährige überzeugt. Viele Menschen befassten sich zu sehr mit ihrer Krankheit, sagte die Mössingerin kurz vor ihrem Tod im Gespräch mit dem TAGBLATT. „Unter Leute kommen, um Spaß zu haben: Danach hat man ein viel besseres Gefühl.“

Mit der Gründung der Cheerleader-Gruppe „Blue Poisons“ im Herbst vergangenen Jahres erfüllte sich Asun Kramer einen Traum: Das Tanzen hat sie von jeher begeistert, als Teenager besuchte sie in Mössingen eine Tanzschule. Ihre erste eigene Tanzgruppe leitete Kramer an der heutigen Dreifürstensteinschule. Gleichzeitig wollte sie den Leuten die Augen öffnen: „Denn Inklusion“, sagte sie, ist was ganz Normales.“ Bei den „Blue Poisons“ betreiben Rollstuhlfahrer und Läufer gemeinsam Cheerleading – getanzte Inklusion.

Wie es dazu kam? Vor etwa einem Jahr war Asun Kramer mit einer Freundin beim Rollstuhl-Stammtisch in Tübingen. Die Freundin spielt Rollstuhl-Basketball – und fragte, ob Asun nicht auch mitmachen wolle. „Nee, das ist nicht mein Ding – da brechen ja meine Fingernägel ab“, habe sie lachend erwidert. Sie sei, erzählt sie, eher so ein Girlie-Mädchen: „Ich steh‘ am Rand und kreisch‘.“ So wurde die Idee einer inklusiven Cheerleader-Gruppe geboren. Asun Kramer wollte zeigen: Man kann auch mit dem Rollstuhl viel machen.

Seit Oktober trifft sich die Gruppe jeden Samstag in der Sporthalle der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BG) in Tübingen. Unterstützt werden die Cheerleader bei ihren Übungseinheiten von Trainerin und Tanzpädagogin Susanne Pape-Kramer. Das Projekt ist etwas ganz Besonderes: Deutschlandweit sind die Cheers vom Rollstuhlsport- und Kulturverein Tübingen (RSKV) die erste und bis jetzt einzige Inklusions-Cheerleadergruppe. Alexander Breitung, Vorsitzender des RSKV, sprach Kramer für ihr Projekt von Beginn an Mut zu.

Einer, der die Blue Poisons ebenfalls von Anfang an unterstützt hat, ist Martin Sowa, Projektleiter von „Bison – Baden-Württemberg inkludiert Sportler ohne Norm“. Seit fast 40 Jahren setzt sich Sowa dafür ein, dass Menschen mit Behinderung ortsnah Sport treiben können.

Sowa hilft der Cheerleader-Gruppe seit dem Tod von Asun Kramer bei Organisatorischem, arrangiert Auftritte und sucht nach Sponsoren. Es sei auch im Sinne von Asun Kramers Mutter Maria, dass die Blue Poisons weitermachen, erzählt Sowa. „So eine Gruppe kann auch ein Mutmacher sein“, sagt er. Maria Kramer kümmert sich künftig gemeinsam mit einer Tänzerin um die Anfertigung der Kostüme.

Leicht ist den inklusiven Cheerleadern die Entscheidung indes nicht gefallen. Denn die Tänzerinnen haben nicht nur eine gute Freundin verloren, sondern auch ihren Motor. Asun Kramer war voller Pläne, hatte mit den Blue Poisons noch jede Menge vor. Aufgeben, das kam für die Mössingerin nie in Frage. Und das wollen die Blue Poisons jetzt auch nicht. Am Herzen lag es Asun Kramer, neue Mittänzer für ihr Cheerleader-Projekt zu gewinnen. Auch Männer, die vor allem bei Hebefiguren und Pyramiden gebraucht werden.

Das Cheerleading sei ursprünglich sogar ein reiner Männersport gewesen, wusste die 27-Jährige zu berichten. Im Laufe der Jahre habe sich das aber komplett gewandelt. Sehr gerne hätte sie irgendwann mal bei den „Para Cheers“ mitgemacht – einer internationalen Veranstaltung für inklusive Cheerleadergruppen. „Die Frage ist nicht ob, sondern wann.“

Ehrgeizig war Asun Kramer, die in ihrer Freizeit außerdem begeisterte Reiterin war, auch. „Das ist kein Larifarisport, bei dem man nur so ein bisschen rumhüpft“, machte sie klar. „Wir wollen das Ganze professionell, aber individuell, flexibel und innovativ betreiben.“ Das heißt, nicht ausschließlich akrobatisch oder tänzerisch und nicht auf eine Musikrichtung festgelegt. Nichts sollte festgefahren sein.

Kramer wollte irgendwann einen „festen Stamm von 20 bis 30 Leuten“ beisammen haben. Derzeit sind es knapp zehn Tänzerinnen. Und sie träumte davon, die Gruppe irgendwann nach Altersstufen splitten zu können. Um Förderer zu finden, schrieb die 27-Jährige Firmen an. Für den Sommer schwebte Kramer ein Trainingswochenende auf einem Rollstuhlcampingplatz am Bodensee vor.

„Jede Schwelle kann auch eine Stufe nach oben sein“: Davon war Asun Kramer überzeugt. Eine solche Schwelle wollen die Blue Poisons am übernächsten Freitag, 8. April, überwinden: Dann steht der erste öffentliche Auftritt der inklusiven Cheerleader-Gruppe an. Auch wenn Asun Kramer nicht mehr dabei sein kann, ist und bleibt sie doch Teil „ihrer Cheers“: Das geht auch aus dem Beitrag hervor, den Teamleiterin Lisa Schwägerle auf der Facebook-Seite der Blue Poisons gepostet hat. „Sie hat immer versucht, die verschiedensten Menschen für die verrücktesten Dinge und Ideen zu begeistern“, heißt es da unter anderem. In ihren Herzen, das spürt man, nehmen die Blue Poisons ihre Gründerin in Zukunft stets mit auf Tour.

Die Blue Poisons suchen Verstärkung – und Förderer

Neueinsteiger ab etwa 18 Jahren sind jederzeit willkommen, die Blue Poisons suchen noch Verstärkung – auch männliche. Interessierte Rollstuhlfahrer oder Läufer sollten auf jeden Fall Spaß am Tanzen und an der Musik mitbringen. Trainiert wird jeden Samstag in der Sporthalle der BG-Klinik Tübingen, am ersten und dritten Samstag des Monats von 14 bis 16 Uhr und am zweiten und vierten Samstag von 19 bis 21 Uhr. Wer Fragen hat, der kann sich auch an Teamleiterin Lisa Schwägerle wenden, E-Mail: thebluepoisons@gmail.com. Die Blue Poisons sind auch auf Facebook vertreten: /www.facebook.com/
Blue-Poisons-925371034179089/?fref=ts.

Einige Auftritte stehen für die inklusive Cheerleader-Gruppe bereits fest. Der erste ist am Freitag, 8. April bei der Sportkreisjugend Reutlingen in den Pfullinger Hallen. Am Samstag, 16. April sind die Blue Poisons bei den Walter Tigers Tübingen in der Paul-Horn-Arena zu sehen und am gleichen Tag noch in Mössingen beim Schul- und Sportfest der Dreifürstensteinschule. Für Sonntag, 8. Mai ist ein Auftritt beim Football in Reutlingen-Degerschlacht geplant.

Zum Artikel

Erstellt:
30.03.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 27sec
zuletzt aktualisiert: 30.03.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!