Doku mit Gästen

Mit künstlichem Handicap den Erfahrungshorizont erweitert

Einer blind, einer taub und ein dritter stumm – drei junge Männer wagten sich auf eine experimentelle Reise und ließen sich dabei filmen.

11.02.2017

Von Werner Bauknecht

Die drei Freunde Bart, Jakob und David vom Bodensee hatten einen verwegenen Plan. Einer verdeckte seine Augen, der zweite schwieg, der dritte trug einen schalldichten Kopfhörer, und in der Konstellation reisten sie zu Fuß, mit dem Bus oder per Anhalter zur französischen Atlantikküste. Jede Woche tauschten sie die Handicaps, drei Wochen sollte die Reise dauern. Ein Filmteam begleitete sie, dokumentierte alles.

Der Film „Drei von Sinnen“ (Regie Kerim Kortel) lief am Donnerstag im Rottenburger Waldhornkino. Zwei der Protagonisten, Bart und David, waren anwesend. Was im Film schnell deutlich wurde: Um zu bestehen brauchte einer den anderen. Gleich nach dem Aufbruch musste der blinde Jakob davon abgehalten werden, schnurstracks in ein Weizenfeld zu wandern. Das hatte freilich auch eine gewisse Komik. Doch rasch zeigte sich, dass Jakob mit seiner Rolle als Blinder Probleme hatte.

Hinzu kamen Regentage, an denen sie nur im Zelt lagen. Irgendwann drehte sich bei Jakob alles ums Essen. Er kommunizierte kaum noch, fing wegen Kleinigkeiten Streit an. Die etwa 60 Zuschauer im Kino erlebten mit, wie der vorübergehend blinde Jakob mit dem tauben David stritt, vermittelt über den stummen Dritten. Und alle redeten aneinander vorbei. Die Situation spitzte sich bereits nach vier Tagen dermaßen zu, dass der Fortgang der Reise auf dem Spiel stand.

Nach der ersten Woche, in Breisach am Rhein, wurden die „Sinnverluste“ (David) getauscht. „Ich könnte gleich aufhören“, sagt Jakob im Film. „Ich habe mich total überanstrengt.“ Aber es ging weiter, Richtung Lyon. Jakob, inzwischen der „Taube“, bot an, bis Lyon mitzumachen, und dann auszusteigen. Die anderen lehnten ab.

Per Anhalter wurden sie mitgenommen. „Der da“, sagt Jakob im Film zum Fahrer, und deutet auf David, „kann super französisch, aber er darf nicht reden.“ In Lyon besichtigten sie die Stadt. Abends, in einer Kneipe, trafen sie ein belgisches Mädchen, das sie begleitete. Sie erlebte, wie schwierig Kommunikationen mit den dreien ist. „Ich rede hier mit drei Babys“, sagt sie.

In der dritten Woche redeten die drei nur noch wenig miteinander. Sie hätten eingesehen, heißt es, dass die aufkommenden Probleme nicht zu lösen seien. Zudem waren sie sich nicht sicher, ob die Freundschaft zu Jakob halten würde. Auch die Zuschauer im Kino litten mit an dieser Wortlosigkeit, an der Hilflosigkeit, die den Dreien zu schaffen machte. Am Ende erreichten sie die Dune de Pilat und schauten gemeinsam aufs Meer.

Sie seien noch oder wieder Freunde, berichteten Bart und David auf Nachfrage. Am meisten unterschätzt, sagte David, habe er das Taubsein. Nur eine Frau habe ihnen vorgeworfen, mit den Handicaps anderer zu spielen. Alle anderen hätten den Sinn des Experiments verstanden, in dem es ihnen um persönliche Erfahrung ging. „Wir können mit dem Film für das Thema sensibilisieren“, sagte Bart, „das haben viele Betroffene bestätigt.“

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Erstellt:
11.02.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 28sec
zuletzt aktualisiert: 11.02.2017, 01:00 Uhr

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