Autostadt mit Druck im Kessel

Mit dem Reutlinger Gemeinde-Vollzugsdienst Falschparkern auf der Spur

Bei Hitze und Schnee sind sie unterwegs, die zwölf Beschäftigten des Gemeinde-Vollzugsdienstes in Reutlingen. Nicht immer reagieren die Bürger freundlich, wenn sie ein Knöllchen wegen Falschparkens kassieren.

12.09.2016

Von Matthias Reichert

Rafael Mol vom Reutlinger Gemeinde-Vollzugsdienst steckt einen Strafzettel an die Windschutzscheibe.Bild: Reichert

Rafael Mol vom Reutlinger Gemeinde-Vollzugsdienst steckt einen Strafzettel an die Windschutzscheibe.Bild: Reichert

Reutlingen. Kontrolle vor dem Matthäus-Alber-Haus: Rafael Mol entdeckt mit geschultem Auge einen Mercedes ohne Parkschein. Mit dem elektronischen „Ticketman“ hält der Vollzugsbedienstete die Fahrzeugdaten fest und druckt den Strafzettel aus. Dann steckt er das „Knöllchen“ unter den Scheibenwischer: 10 Euro kostet das. Und wenn das Auto in ein paar Stunden noch dasteht, werden 25 Euro daraus.

Jährlich rund drei Millionen Euro nimmt die Stadt Reutlingen durch Bußgelder im Straßenverkehr ein. „Jeder Reutlinger ist mit 26 Euro dabei“, rechnet Ordnungsamts-Chef Albert Keppler vor. Jeweils etwa die Hälfte der Einnahmen stammt aus dem ruhenden und dem fließenden Verkehr – also von Falschparkern beziehungsweise von mobilen wie stationären Blitzern.

Auto abschleppen

ist die Ultima Ratio

Rafael Mol läuft den Lederstraßen-Parkplatz weiter ab. An einem VW, bei dem der Parkschein abgelaufen ist, geht er zunächst vorbei. „Den schreibe ich nicht gleich auf. Wenn die Fahrer genug Geld reingeworfen haben, warte ich schon mal eine halbe Stunde. Vielleicht ist das eine Mutter, die mit ihrem Kind beim Arzt ist“, sagt der 35-jährige Vollzugsbedienstete. Keine Toleranz gibt es hingegen, wenn Autos Feuerwehrzufahrten zuparken. Dann wird abgeschleppt – das ist ansonsten das letzte Mittel, zu dem der Vollzugsdienst greift, so der stellvertreten Abteilungsleiter Stefan Mollenkopf. Das Abschleppen kostet 170 bis 200 Euro – zuzüglich 50 Euro Verwarnungsgeld. Mit einer „Kralle“ werden nur Fahrzeuge von säumigen Zahlern blockiert, heißt es im Ordnungsamt.

Der Reutlinger Gemeinde-Vollzugsdienst hat zwölf Beschäftigte, darunter sechs Frauen. Sie sind vor allem für den ruhenden Verkehr zuständig. Sechs Beschäftigte, darunter eine Frau, hat der kommunale Ordnungsdienst – der greift ein, wenn Konflikte mit Störern möglich sind. Etwa, wenn ein Halter seinen Hund ohne Leine auf einen Spielplatz lässt. Oder bei Ruhestörungen. Oder wenn junge Leute auf einem Spiellatz zündeln. „Wir verteilen mehrere hundert Platzverweise im Jahr“, sagt Keppler. Fünf weitere Ordnungsamts-Beschäftigte arbeiten im Innendienst auf dem Rathaus.

Fahrende Autos darf nur die Polizei anhalten. Deshalb ist bei Kontrollen des Vollzugsdienstes im fließenden Verkehr immer ein Polizist mit dabei. Seit neuestem ist in kritischen Zonen wie der Metzgerstraße ein Blitzfahrzeug im Einsatz, in dem der Blitzer auf der Hutablage versteckt ist. 25 Euro Bußgeld kostet es an den verkehrsberuhigten Stellen, wenn man verbotenerweise durchfährt. Erlaubt ist das nur für Einsatzkräfte, Ärzte, Taxis und Omnibusse. „Dort und am Nikolaiplatz haben wir mit dem Einsatzfahrzeug schon den Gegenwert eines schönen Autos verdient“, sagt Keppler.

20 Kilometer am Tag

zu Fuß unterwegs

Rafael Mol und seine Kollegen sind den ganzen Tag draußen unterwegs. Bei Hitze und Schnee, nur bei starkem Regen dürfen sie unterstehen. Mol sagt, dass er am Tag im Schnitt 20 Kilometer zurücklegt – das hat er mit dem Handy gemessen. Natürlich gibt es einige Kontakte mit Bürgern. Viele fragen, warum der Kontrolleur ausgerechnet ihr Auto aufschreibe. Nicht immer sind die Bürger freundlich. Dieses Jahr hat die Stadt Strafanträge wegen dreier Beleidigungen gegenüber Vollzugsbediensteten gestellt. Vor zwei Jahren gab es sogar einen tätlichen Angriff. „Verbale Angriffe habe ich drei- bis viermal die Woche“, sagt Mol.

Mehr als 2000 Fahrer im Jahr werden dabei erwischt, wie sie auf Geh- oder Radwegen parken. Insgesamt 70 000 bis 80 000 Parksünder schreibt der Vollzugsdienst im Jahr auf. Die Dunkelziffer ist deutlich höher – weshalb viele nicht einsehen, warum ausgerechnet sie zahlen sollen. Laut Keppler gehen zahlreiche Briefe an OB Barbara Bosch ein, in denen sich Bürger wegen 10 Euro Verwarnungsgeld beschweren. Darunter seien auch relativ gutsituierte Leute, sagt der Ordnungsamts-Chef.

Die Arbeit im Vollzugsdienst hat zugenommen. Als die Parkraumbewirtschaftung in der Oststadt eingeführt wurde, hat der Gemeinderat zwei zusätzliche Stellen bewilligt. Der Parkdruck wächst laut Keppler weiter. Auch die Fallzahlen steigen – wie die Verkehrs-Dichte. 1970 gab es in Reutlingen nur knapp 25 000 Kraftfahrzeuge – 2015 waren es mehr als 70 000. „Da ist mächtig Druck im Kessel“, so Keppler.

Stadt will Poller am Nikolaiplatz aufstellen

Am Nikolaiplatz will die Stadt demnächst Poller aufstellen. Dort fahren besonders viele Autos unerlaubt in die Fußgängerzone. In die Wilhelmstraße darf der Lieferverkehr nur von 19 bis 10 Uhr. Der Müller-Galerie, die im Gerberviertel ihre Lieferantenzufahrt hat, reicht das nicht aus. Deshalb darf dort der Lieferverkehr den ganzen Tag durch. Laut Leiter Albert Keppler verhandelt das Ordnungsamt mit den Galerie-Betreibern über die Aufstellung der Poller. „Es könnte sein, dass dort in ein oder zwei Monaten dicht ist“, sagt Keppler.

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Erstellt:
12.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 16sec
zuletzt aktualisiert: 12.09.2016, 01:00 Uhr

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