Vordenker in der Magazinwelt

Michael Köckritz räumt mit seinem Reutlinger Red-Indians-Verlag Preise ab

Vom Auto-Kultur-Magazin „Ramp“ bis zur 2015 erstmals erschienenen Frauenzeitschrift „Weiberkram“ entstehen im Reutlinger Red-Indians Verlag Publikationen, die in der Fachwelt immer wieder Aufsehen erregen. Dahinter steckt Michael Köckritz, 59, der in der Branche als Avantgardist gilt.

21.01.2016

Von Thomas de Marco

Michael Köckritz in seinem luftig-loftigen Großraumbüro über der Markthalle. Links im Hintergrund die namensgebende Red-Indians-Zapfsäule.Bild: Haas

Michael Köckritz in seinem luftig-loftigen Großraumbüro über der Markthalle. Links im Hintergrund die namensgebende Red-Indians-Zapfsäule.Bild: Haas

Reutlingen. Es ist ein luftig-loftiges Großraumbüro vier Stockwerke über der Reutlinger Markthalle, in dem die vielfach ausgezeichneten und preisgekrönten Geschichten und Publikationen des Red-Indians-Verlags entstehen. In einer Ecke des Raums steht auch die Antwort auf die Frage, wie denn die Rothäute nach Reutlingen gekommen sind: Köckritz hat mal auf einer Oldtimer-Messe in Essen eine Zapfsäule der Motoröl-Firma Red Indian erstanden, die nun neben einem alten Motorrad das Büro ziert.

Diese Zapfsäule hat durchaus Symbolcharakter für den Verleger: Zum einen steht sie für seine Auto-Begeisterung, zum anderen schwinge für ihn bei diesem Namen auch das Unabhängigkeitsgefühl der Indianer mit. In jedem Fall legt der Journalist großen Wert darauf, dass sich sein Verlag von der „konservativen PS- und Benzinfraktion“ der Autojournalisten-Branche abhebt. Als Köckritz 2007 sein Automagazin „Ramp“ herausbrachte, war auf dem Cover gar kein Auto abgebildet. Mittlerweile hat „Ramp“, dessen 33. Heft demnächst erscheint, über 100 Auszeichnungen gewonnen. Die Fotos dieses Magazins werden oft als stilprägend bezeichnet.

Im ersten Heft durften Crashtest-Dummies in einer Geschichte mal Sonnenbrillen tragen (was durchaus auch auf Anzeigen eines Brillenherstellers abzielte – mit Erfolg). Außerdem wurden bei der Premiere die Leiden der Beifahrer beschrieben, eine herausnehmbare Kotztüte illustrierte das Thema drastisch-anschaulich.

Zwei bis drei Mal die Woche fliegt der Medienmacher irgendwohin auf der Welt, immer auf der Suche nach Geschichten. „Viele sagen mir, ich müsste mindestens nach Berlin ziehen mit meinem Verlag.“ Auch wenn Köckritz Berlin als spannende Stadt für Kreativität und Mode schätzt: Der Vater von drei Kindern, der mit seiner Familie in Tübingen lebt, genießt es, in Reutlingen geerdet zu sein und hier in Ruhe arbeiten zu können. Er bummelt gerne durch die Wilhelmstraße, liebt es, in Buchhandlungen zu stöbern, mag die Markthalle.

Zum Autojournalismus ist Köckritz per Zufall gekommen: Eigentlich wollte er Arzt werden, doch nach dem Medizin-Studium warf 1991 ein Praktikum bei der Reutlinger Zeitschrift „Autofocus“ in der Kaiserstraße die Lebensplanungen komplett über den Haufen: Köckritz, der die Erfahrung als Chefredakteur der Tübinger Schülerzeitung „Monokel“ sowie eine Grundaffinität zu Autos und Mobilität mitbrachte, blieb im Journalismus hängen.

Er begeisterte sich fürs Medienmachen, das er als Denksportaufgabe bezeichnet, wurde schnell Redaktionsleiter des Magazins, dann zusätzlich Anzeigenchef, Marketingleiter und schließlich Mitherausgeber. „Ich habe von der Pike auf gelernt, Geschichten zu erzählen“, sagt Köckritz.

1994 gründete er seine eigene Agentur, die er immer weiter zu einer Denkfabrik für Medien ausbaute. Aufsehen erregte der Verleger, als er im Jahr 2000 das später vielfach ausgezeichnete Lamborghini-Magazin auf Englisch, Italienisch und Deutsch herausbrachte. Immer wieder hat er im Red-Indians-Verlag Projekte mit Firmen zusammen entwickelt. Mit diesem „Corporate Publishing“ unterscheide sich Red Indians von normalen Agenturen: „Wir sind keine Dienstleister, sondern arbeiten mit Firmen auf Augenhöhe zusammen“, sagt Köckritz.

Wir, das sind 14 feste Mitarbeiter und ein Netzwerk von 100 Fotografen, Textern, Medienwissenschaftlern und Soziologen weltweit, sagt Köckritz. Das Kerngeschäft – und damit bis zu 80 Prozent des Umsatzes – macht die Zusammenarbeit mit Firmen aus: Die wollen Expertisen, Inspiration, Impulse und Coaching aus Reutlingen. „Diese Leute möchten nicht mehr die normalen Werbeagenturen, sondern ein konsequentes Weiterdenken“, erklärt der Verleger.

Er liefert Ideen, die in einer „Mischung aus Übermut, Mut und bedachtem professionellem Blick auf die Dinge“ entstehen, sagt Köckritz. Dabei können eine 100-seitige Cardesign-Beilage für die Architektur- und Feinschmecker-Magazine des Jahreszeiten-Verlags ebenso herauskommen wie demnächst ein Kundenmagazin für eine Hotelkette oder der Relaunch eines Fliegermagazins.

Öffentlichwirksam sind aber vor allem die Publikationen seines Verlages, allen voran „Ramp“, das 2007 dem eingestellten „Autofocus“ nachfolgte und mittlerweile mit einer Auflage von 23 000 Exemplaren schwarze Zahlen schreibt. „Für ein spitz gedachtes Nischenprodukt ist das sehr gut“, sagt Köckritz.

Wenn er nach seinen Lieblingsgeschichten aus acht Jahren „Ramp“ gefragt wird, nennt er drei – alle aus dem aktuellen Heft mit dem Titel „Lost in Translation“: Zunächst das Editorial, das Köckritz 30 Mal durch den Google-Übersetzer in verschiedensten Sprachen gejagt hat. „Ein Experiment mit verspieltem Übermut, typisch Ramp“, freut sich der Chefredakteur. Dann verweist er auf seine neue Car-Wash-Kolumne, in der er mit Autodesignern deren Fahrzeuge wäscht. Als dritte Geschichte nennt er einen Artikel über Roboter-Journalismus. Kultstatus haben mittlerweile auch die Autotests, die Köckritz zusammen mit dem Autor Wladimir Kaminer macht.

Nur gut, dass sich keine Gewerkschaft mit dem Arbeitspensum des Medienmachers auseinandersetzen muss. Denn Köckritz ist nach eigenen Angaben sieben Tage die Woche am Schreibtisch oder auf Recherche. „Die Arbeit ist eben ein wichtiger Teil meines Lebens. Für den bin ich dankbar“, sagt er dazu.

gSiehe „Mit Engelszungen“

Kulturmagazine mit Augenzwinkern

„Ramp“ war 2007 das erste Magazin des Red-Indians-Verlags. Vor vier Jahren kam das Männermagazin „Ramp Style“ dazu, das Köckritz ganz besonders am Herzen liegt. Über „Ramp Classics“ (Oldtimer-Magazin) und „Ramp Design“ führte der Weg zur jüngsten Veröffentlichung „Weiberkram“, die 2015 herausgekommen ist. „Das ist ein experimentelles Frauenmagazin, das wir zusammen mit Porsche machen und in dem Männer über Frauen schreiben“, sagt der Medienmacher. Seine Idee eines Frauen-Lifestyle-Magazins der Premiumklasse polarisiere allerdings stark, gibt Köckritz zu: „Die Geschlechterdiskussion ist keine leichte Angelegenheit. Feministinnen fanden die Idee nicht so lustig.“ Ein, zwei Mal soll das Magazin pro Jahr erscheinen. Köckritz legt Wert darauf, dass seine Publikationen Kulturmagazine sind. Die wenden sich an „Premium-Zielgruppen, die gerne diese Welt gestalten.“ Durchaus auch mit politischen Themen wie Klimaschutz und Elektromobilität. „Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Augenzwinkern. Unsere Medien sind gut gelaunte, inspirierende Hefte“, sagt der Chefredakteur und Verleger.

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Erstellt:
21.01.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 51sec
zuletzt aktualisiert: 21.01.2016, 01:00 Uhr

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