Mein Praktikum in Kanada

Mein Praktikum in Kanada

Politkomödie über einen jungen Haitianer, der als Praktikant einem kanadischen Provinzpolitiker aus der Patsche hilft.

23.02.2016

Von Klaus-Peter Eichele

Mein Praktikum in Kanada

Sind alle Politiker machtgeil, verlogen und korrupt? Diesem populären Klischeebild entspricht Steve Guibord (Patrick Huard) überhaupt nicht. Der Volksvertreter eines abgelegenen kanadischen Wahlbezirks ist eine ehrliche Haut und von gutmütigem Charakter. Sein Handicap: Der ehemalige Eishockey-Star hat keine eigene Meinung, jedenfalls nicht in Sachen Politik. Wenn es hart auf hart kommt, etwa in einem Lokalkonflikt zwischen Minenarbeitern und Ureinwohnern, versucht Guibord stets, sich unauffällig wegzuducken. Als Grüßaugust ist er dagegen in seinem Element.

Im Film des Franko-Kanadiers Philippe Falardeau („Monsieur Lazhar“) wird ausgerechnet dieser Zauderer zum Zünglein an der Waage in einer Frage auf Leben und Tod: Soll Kanada in den Krieg im Nahen Osten ziehen oder nicht? An diesem Punkt kommt Pascal (Irdens Exantus) ins Spiel, der gerade ein Praktikum bei dem Hinterbänkler angetreten hat. Im Gegensatz zum geistig schlichten Guibord kennt der junge Mann aus dem Drittweltland Haiti Rousseau und Tocqueville aus dem Effeff und ist alsbald auch im Getümmel der praktischen Politik seinem Mentor haushoch überlegen. Prompt weiß der agile Praktikant einen Ausweg aus Guibords Dilemma: Wenn der Abgeordnete sich nicht selbst entscheiden kann, soll er eben seine Wähler befragen. Allerdings ist der Weg der direkten Demokratie gepflastert mit Unwägbarkeiten, die auch Pascal nicht vorausgesehen hat.

Falardeau erzählt diese Geschichte als sanfte Komödie mit moderat satirischem Einschlag. Sein Bezugspunkt ist nicht die Serie „House Of Cards“ mit ihrem von Grund auf moralisch verlotterten Politikbetrieb, sondern der Hollywood-Klassiker „Mr. Smith geht nach Washington“, in dem Politiker Spielräume haben, die Dinge zum Guten zu wenden. In diesem Rahmen entwickelt „Mein Praktikum in Kanada“ einigen Hintersinn. So hebt der Regisseur die Umkehrung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses noch auf eine höhere Ebene. Während in Kanada Politik ein elitäres Ritual ist, wird im Diktatur-geprüften Haiti, wohin Pascal seine Erlebnisse Tag für Tag per Skype übermittelt, das von ihm angestoßene Experiment mit urdemokratischem Feuereifer diskutiert.

Es gibt sie noch, die ehrenwerten Politiker – zumindest mit Nachhilfe aus der dritten Welt.

Zum Artikel

Erstellt:
23.02.2016, 15:55 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 02sec
zuletzt aktualisiert: 23.02.2016, 15:55 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.
Klex 02.07.201602:29 Uhr

Warum war mir der Film so langweilig? Ich denke, es lag daran, dass alles nur behauptet und nichts ernst genommen wird, trotzdem ist fast NICHTS WITZIG. Wir wissen ja eh schon, wer recht hat: der Praktikant aus Haiti, weil er Rousseau und Montesquieu zitiert und toll skypen kann und damit realistischerweise halb Haiti begeistert . Die Friedensaktivisten und die Tochter von Guibord, weil sie gegen den Krieg sind, und die Indianer, weil sie für den Wald sind. Doof sind die Gewerkschaften, weil ihr Sprecher stottert (ein wirklich genialer dramaturgischer Einfall), eine Abgeordnete, weil sie sich die Brust vergrößern lassen wollte und im Koma liegt (schön dumm) und ein Ministerpräsident, weil er konservativ und für den Krieg ist und außerdem eitel Scarlatti spielt. Natürlich auchGuibord und Frau bis sie gegen den Krieg sind. Das alles schleppt sich 108 Minuten extrem aufklärerisch und ressentimentgeladen und oft im Auto dahin. Wir lernen, dass Kanada groß ist und träumen von Stützstrümpfen

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport