Wochenmarkt

Mehr Idealismus als Profit

Kommende Woche gibt Carmen Gräfe ihr Nudelgeschäft aus persönlichen Gründen auf. Noch zweimal wird sie in Tübingen verkaufen.

31.08.2017

Von Kathrin Kammerer

Da waren die Nudelkörbe noch prall gefüllt: Carmen Gräfe und ihr Sohn Finn im Mai auf dem Wochenmarkt. Bild: Faden

Da waren die Nudelkörbe noch prall gefüllt: Carmen Gräfe und ihr Sohn Finn im Mai auf dem Wochenmarkt. Bild: Faden

Um 4.30 Uhr macht sich Carmen Gräfe jeden Freitag mit ihrem orangfarbenen Verkaufswagen auf den Weg. Eine gute Stunde dauert die Fahrt von Korntal – zwischen Stuttgart und Ludwigsburg gelegen – ins beschauliche Tübingen. Dort verkauft sie von 7 bis 13 Uhr auf dem Wochenmarkt, direkt neben dem Rathaus, selbst gemachte Teigwaren, Pestos und süße Nachtische. Jetzt gibt die 53-Jährige ihr Geschäft nach langem Überlegen aus persönlichen Gründen auf: Mutter Hannelore kann seit November vergangenen Jahres wegen gesundheitlicher Probleme nicht mehr im Familienbetrieb mitarbeiten.

2002 wagte die gelernte Floristin aus Stuttgart den Weg in die Selbstständigkeit. Gemeinsam mit ihrer Mutter kaufte sie eine Nudelmaschine und einen Kühlanhänger, und mietete Produktionsräume in Korntal an. Schon Gräfes Schwester hatte sich zuvor in Hamburg mit einem Nudelmarkt selbstständig gemacht. „Wir haben uns alles selbst beigebracht“, erinnert sich Gräfe an die Anfänge ihres Zwei-Personen-Betriebs: Von der Bedienung der Maschine über die ideale Teigmischung bis hin zur perfekten Würze der Nudeln.

Zunächst war sie auf verschiedenen Wochenmärkten in Stuttgart unterwegs, die aber alle nicht sonderlich viel abwarfen. 2003 kam sie dann nach Tübingen. Während in den Anfangsmonaten noch Nudeln zugekauft werden mussten, entschloss sich Gräfe irgendwann, alles selbst zu produzieren. Mittlerweile gibt’s unter anderem Ravioli, Cannelloni, Fettuccine, Spaghetti und Tagliatelle. Dazu finden sich Petersilien-, Rucola-, Bärlauch-, Oliven- oder Kürbiskernpesto, sowie Gnocchi und Polenta im Angebot. Für danach können sich die Kunden zwischen Tiramisu, Panna Cotta und Mousse au chocolat entscheiden. Das Sortiment wurde bunter, die Arbeit mehr. „Wir haben alles selbst gemacht, alles so hergestellt, wie man es auch zu Hause kochen würde“, erzählt Gräfe. „Beispielsweise Polenta ist sehr aufwendig.“

Während Carmen Gräfe mit der Produktion der Teigwaren beschäftigt war, verkaufte ihre heute 79-jährige Mutter dienstags auf dem Wochenmarkt in Sindelfingen und mittwochs auf dem Markt in Stuttgart-Vahingen. Freitags fuhr Gräfe dann noch selbst nach Tübingen und samstags nach Esslingen. „Das war eine Sieben-Tage-Woche mit unglaublich viel Arbeit“, sagt sie. Sonntags musste sie sich dann um die Buchhaltung kümmern. Gemessen am Aufwand, den sie mit ihrem Geschäft hatte, sei eigentlich nie genug hängen geblieben. „Trotzdem haben wir den Markt mit viel Freude und auch Idealismus betrieben“, sagt sie. Bis im November dann Mutter Hannelore krank wurde und nicht mehr mithelfen konnte. „Ich habe lange überlegt, ob ich den Betrieb weiterführen kann“, sagt Gräfe.

Dazu müsste sie aber einen neuen Mitarbeiter einstellen, der die fehlende Arbeitskraft der engagierten Mutter ersetzt – was finanziell nicht möglich sei, wie sie sagt. „Außerdem ist ein Familienbetrieb eine ganz andere Sache.“ Ab November sprang dann übergangsweise Gräfes 28-jähriger Sohn Finn bei der Produktion und dem Verkauf der Teigwaren als Hilfe ein, während er parallel dazu das Abendgymnasium besuchte. Irgendwie gelang es, den Markt noch ein weiteres dreiviertel Jahr zu betreiben. Nun beginnt der Sohn sein Studium. „Und jetzt geht’s einfach nicht mehr“, sagt Gräfe resigniert.

Ein Schild am orangefarbenen Anhänger weist die Kunden nun auf das nahende Ende des Nudelmarktes hin. „Klar, ich bin sehr traurig“, sagt Gräfe. In den 14 Jahren in Tübingen habe sie schließlich einige Stammkunden gewonnen und ins Herz geschlossen. Sie will sich nun vielleicht umschulen lassen, vielleicht auch auf dem Esslinger Wochenmarkt Arbeit finden. Morgen und am kommenden Freitag, 8. September, wird sie das letzte Mal auf dem Tübinger Marktplatz verkaufen.

Eine lange Tradition

Im Stadtarchiv wurde der Tübinger Wochenmarkt erstmals im Jahr 1302 schriftlich erwähnt. Es finden sich aber Hinweise darauf, dass es ihn auch schon vorher gab.

Der Wochenmarkt auf dem Marktplatz findet dreimal wöchentlich, jeweils von 7 bis 13 Uhr statt. Seit April 1999 gibt es einen Samstagsmarkt an der Jakobuskirche.

Die insgesamt 50 ständigen Wochenmarkt-Beschicker teilen sich wie folgt auf die einzelnen Markttage auf: Am Montag bieten sieben Händler Waren an, am Mittwoch sind es 28, am Freitag immer 35 und samstags dann 22. Es gibt Obst und Gemüse, Marmeladen und Honig, Milch, Käse, Wurst und Fisch, mediterrane Spezialitäten, Blumen, Brot, Tee und Gewürze zu kaufen. Neben Gräfe verkauft noch ein gemeinnütziger Verein aus Trossingen am Mittwoch selbstgemachte Nudeln.

Den weitesten Anreiseweg haben ein Biolandhof aus Uttenweiler, ein Fischverkäufer aus Salem am Bodensee und ein Obst- und Gemüsehändler aus Oberkirch im südbadischen Ortenaukreis.

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Erstellt:
31.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 31.08.2017, 01:00 Uhr

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