Kein Nachfolger für Monsieur

Mainstream top, Arthaus Flop: die Bilanz der Tübinger Kinobetreiber für 2015

Die deutsche Kinobranche jubelt: Um rund 15 Prozent sind nach vorläufigen Schätzungen im Vorjahr die Zuschauerzahlen gegenüber 2014 nach oben geschnellt. Der Zuwachs war allerdings alles andere als gleichmäßig. In den Tübinger Kinos ging es in der Summe sogar leicht abwärts.

10.01.2016

Von Klaus-Peter Eichele

Das waren die Tübinger Kinohits des Jahres 2015: „Spectre“ (rechts) lockte bis Silvester 15 161 Zuschauer in die Blaue Brücke. Auf den Plätzen folgen der Schulklamauk „Fack ju Göhte 2“ (links oben) mit 11267 und der Trickfilm „Minions“ mit 9979 Besuchern. „Star Wars“ dürfte letztere im neuen Jahr noch überholen.

Das waren die Tübinger Kinohits des Jahres 2015: „Spectre“ (rechts) lockte bis Silvester 15 161 Zuschauer in die Blaue Brücke. Auf den Plätzen folgen der Schulklamauk „Fack ju Göhte 2“ (links oben) mit 11267 und der Trickfilm „Minions“ mit 9979 Besuchern. „Star Wars“ dürfte letztere im neuen Jahr noch überholen.

Tübingen. „Wer ausschließlich Mainstream gespielt hat, war im letzten Jahr fein raus“, sagt Martin Reichart von den Vereinigten Lichtspielen (Museum, Blaue Brücke). Fünf Filme – „Star Wars“, „Spectre“, „Fack ju Göhte 2“, „Honig im Kopf“ und „Minions“ – erreichten deutschlandweit an die oder mehr als sieben Millionen Zuschauer. Eine solche Erfolgssträhne gab es seit Beginn der Statistik in den 1960er Jahren noch nicht. Entsprechend verzeichnet die Blaue Brücke, wo die meisten dieser Blockbuster gezeigt wurden (und noch werden), ein sattes Besucherplus von 15 Prozent. In Tübingen liegt mit weitem Abstand der neue James-Bond-Film „Spectre“ an der Spitze der Charts. Bis Silvester haben ihn mehr als 15 000 Zuschauer gesehen, und auch im neuen Jahr ist er noch für manche ausverkaufte Vorstellung gut.

Die Kehrseite des Aufschwungs: Der in Tübingen im Museum, Arsenal und Atelier beheimatete Arthaus-Sektor brach 2015 komplett ein. Einen Nachfolger für „Monsieur Claude“, den französischen Vier-Millionen-Hit von 2014, oder die „Ziemlich besten Freunde“ (9 Millionen Besucher im Jahr 2012) gab es nicht einmal im Ansatz. Lediglich die im Grenzbereich zum Mainstream angesiedelten deutschen Produktionen „Er ist wieder da“ und „Frau Müller muss weg“ knackten die Zuschauermillion. Ansonsten reihte sich Flop an Flop: „Steve Jobs“, „Königin der Wüste“, der Oscar-Winner „Birdman“ – Martin Reichart kann mit dem Aufzählen der kommerziellen Enttäuschungen im Bereich des anspruchsvollen Films gar nicht mehr aufhören.

Rang 13 für:

„Heute bin ich Samba“

Selbst im akademisch geprägten Tübingen findet sich im oberen Bereich der Jahrescharts somit kein einziger Arthaus-Titel – der kassenstärkste war die französische Komödie „Heute bin ich Samba“ mit bescheidenen 3500 Zuschauern auf Rang 13. Die hiesigen Top Ten des Jahres 2015 bilden leicht durchgeschüttelt die Nationalcharts ab – ein absolutes Novum für die bisher für ihre eigensinnigen Kinovorlieben berüchtigte Unistadt.

Bei Zuwächsen im Umsatz – vor allem wegen der deutlich öfter gelösten 3D-Tickets – steht bei den Vereinigten Lichtspielen daher unterm Strich sogar ein leichtes Besucherminus. Noch mehr Federn lassen mussten die ganz auf den künstlerisch wertvollen Film spezialisierten Kleinkinos Arsenal und Atelier. Dort gingen die Zuschauerzahlen laut Programm-Macher Dieter Betz um rund 6 Prozent auf ein „existenzbedrohendes Niveau“ von 43 000 zurück. „Es ist schon frustrierend, dass unser sehr attraktives Programm nicht besser honoriert wird“, hadert Betz. Ein „cineastisch interessiertes Publikum, das neugierig auf Entdeckungen ist“, sei in Tübingen so gut wie nicht mehr existent. Andererseits darf man die wenigen Kassenschlager im Arsenal – an der Spitze „Taxi Teheran“ aus dem Iran mit erstaunlichen 2900 Zuschauern, dahinter „Wild Tales“ und „Victoria“ – durchaus zu den formal und inhaltlich ambitionierteren Filmen des Jahres zählen. Eine vermeintlich sichere Bank wie das jüngste Woody-Allen-Opus „Irrational Man“ liegt dagegen weit abgeschlagen.

Völlig unbeeindruckt von der Arthaus-Krise zieht das Rottenburger Waldhorn-Kino seine Kreise. Obwohl Hollywood-Blockbuster nur spärlich im Programm vertreten waren (50 Prozent der Waldhorn-Filme sind deutschen und 80 Prozent europäischen Ursprungs), vermeldet Betreiber Elmar Bux mit mehr als 39 000 Zuschauern einen neuen Besucherrekord; gegenüber 2014 ging es um 7,4 Prozent aufwärts. Topfilme waren mit um die 2000 Besuchern „Honig im Kopf“ und „Fack ju Göhte 2“.

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ins Kino

Wichtige Gründe für den Erfolg sind für Bux die häufige Kooperation mit lokalen Institutionen und die oft von Diskussionen begleiteten Filmvorführungen. Bestes Beispiel: Die mehrmals vom Regisseur, dem Tübinger Bernhard Koch, persönlich präsentierte Meditations-Doku „Stopping“ schaffte es in den Rottenburger Kinocharts sensationell auf Platz acht.

Lichtspiele werden in Lamms Sinn weitergeführt

Traurigstes Ereignis des abgelaufenen Tübinger Kinojahres war im Oktober der Tod von Volker Lamm, des langjährigen Chefs der Kinos Museum und Blaue Brücke. Das Unternehmen, die Vereinigten Lichtspiele, soll nun in seinem Sinn weitergeführt werden. Nach Auskunft des alten und neuen Geschäftsführers Martin Reichart ist und bleibt das Unternehmen im Besitz der Familie Lamm. Die Filmfestivals Französische Filmtage, Cine Latino und Frauenwelten werden im Museum weiterhin ein Obdach bekommen. Sogar die berüchtigtste Marotte von Volker Lamm, aus Prinzip keine Horrorfilme zu zeigen, will Reichart weiter pflegen. Thematisch oder filmhistorisch ausgerichtete Reihen wird es in Zukunft aber wohl noch seltener geben. „Das interessiert einfach keinen mehr“, so Reichart.

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Erstellt:
10.01.2016, 09:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 10.01.2016, 09:00 Uhr

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