Vom Geschmack und dem Sexleben der Sechsfüßer

Mächtig viele Borkenkäfer werden in diesem Jahr in den Wäldern des Steinlachtals wüten

Nach dem milden Winter gibt es einen Käfer-Ansturm auf die Wälder der Umgebung: Das befürchten die Forstexperten Reinhold Gerster und Alexander Köberle. Jetzt nahmen sie Ofterdinger Lokalpolitiker mit zu einem spannenden Lehrstück in Sachen Käferkunde.

01.05.2016

Von Susanne Mutschler

Borkenkäfer sind sehr vermehrungsfreudig und schrecken vor der Gründung von Großfamilien nicht zurück, wie Reinhold Gerster (Mitte) an einem geschädigten Baum erklärt.

Borkenkäfer sind sehr vermehrungsfreudig und schrecken vor der Gründung von Großfamilien nicht zurück, wie Reinhold Gerster (Mitte) an einem geschädigten Baum erklärt.

Um das Allerwichtigste vorwegzunehmen: „Borkenkäfer schmecken wie Pinienkerne“ – das stellte Revierförster Reinhold Gerster bei einem Rundgang am vergangenen Freitag fest. Einen der zahlreichen noch lebenden „Buchdrucker“, die sich in einer Pheromonfalle im Ofterdinger Hardtwald angesammelt hatten, ließ sich Gerster da auf der Zunge zergehen. Unter den Teilnehmern am Rundgang fand seine mutige Verkostung keine Nachahmer. Ohnehin wäre der Verzehr als Bekämpfungsart der Baumschädlinge aussichtslos – denn die Insektenmännchen stehen auf Vielweiberei und ungeheuer zahlreichen Nachwuchs.

Vom regen Sexleben der Käfer erzählen die dekorativ in den Unterseiten der Fichtenrinden eingenagten Muster: Von der mittig gelegenen „Rammelkammer“ – so der Fachbegriff – zweigen die Wohngänge für die weiblichen Tiere ab. Die haben wiederum zarte Rinnen und Kämmerchen für ihre vielen Larven eingegraben. „Wenn ein im Frühling geschlüpfter Borkenkäfer im Herbst zu einem Verwandtschaftstreffen einlädt, hat er rund 100 000 Gäste“, erklärte Gerster seinen verblüfften Ofterdinger Waldrundgängern. Die Kurve der Vermehrung ist exponentiell. umgängern, wie die exponentielle Kurve der Vermehrung verläuft.

In den mittlerweile bis in den Herbst verlängerten Wärmeperioden gelingen den Borkenkäfern bis zu drei Generationen. „Sie profitieren von der Klimaerwärmung“, erklärte Gerster. Der vergangene milde Winter ließ zudem die meisten der unter der Baumrinde schlummernden Larven am Leben. Sie ernähren sich von den im Bast fließenden Zuckersäften. Das stoppt den Nährstoffstrom im Baum, was jenem über kurz oder lang den Garaus macht. Nur sehr vitale Fichten können sich mit viel Harz eine Zeitlang gegen die Eindringlinge wehren.

Die lange Trockenperiode im vergangenen Sommer allerdings habe die Ofterdinger Nadelbäume anfällig gemacht. Die Käfer können diese Schwäche „riechen“ und stürzen sich zuerst auf diese wenig widerstandsfähigen Exemplare. In Europa gibt es 154 verschiedene Borkenkäfer, viele davon haben sich auf einen einzelne Baumarten spezialisiert. Im Ofterdinger Wald sind vor allem der knapp fünf Millimeter große Buchdrucker und sein kleiner Bruder, der Kupferstecher, am Werk. Derzeit warten ihre geschlüpften Nachkommen auf die Frühlingswärme. „Bei 16 Grad fangen die Jungkäfer an zu fliegen“, macht sich der Revierförster auf eine schwere Attacke gefasst.

Es gibt nicht viele Strategien, sich der der unliebsamen und ziemlich hässlichen Krabbelwesen zu entledigen. Natürliche Feinde wie Specht oder Ameisenbuntkäfer kommen bei einer Massenvermehrung nicht mehr nach. Auch Pheromonfallen seien ungeeignet, um große Mengen des Ungeziefers „abzuschöpfen“. Rabiatmethoden mit viel Chemie lehnten die Förster als Eingriff in das natürliche Gleichgewicht des Waldes ab, so Gerster. Zudem sei es technisch fast unmöglich, Spritzmittel gezielt in die Kronen einzelner Bäume zu bringen. Am liebsten wäre ihnen ein kühler und verregneter Frühsommer, der die ganze Brut vom Schlüpfen abhält.

Weil das schwer zu steuern sei, setzt Gerster auf „Monitoring“, wie er die vermehrte Aufmerksamkeit auf erste Anzeichen nennt. Rieselndes Holzmehl, starker Harzfluss, emsig hämmernde Spechte, die ganze Rindenplatten ablösen, und sich verfärbende Nadeln sind für ihn Signale, um die einzelnen befallenen Bäume umgehend zu ernten und sofort dem Holzverkauf zuführen.

Auch was als Polder im Wald liegen bleibe, sei weiterhin Brutstätte, teilte er den mitwandernden Waldbesitzern mit. In der Sprache der Förster heißt diese Methode „saubere Waldwirtschaft“. Jetzt im Frühling kamen im Ofterdinger Gemeindewald bereits 160 Festmeter Käferholz zusammen. Die hungrigen Viecher haben weder vor den Jungbeständen noch vor den 110 Jahre alten Weißtannen im Bereich „Schliederich“ Respekt.

Für die Natur sei der Käferbefall ein verkraftbares Problem, so der Forstfachmann. Aber der Wald werde sich verändern: Der Bestand an Fichten werde stark zurückgehen und langfristig durch Laubholz ersetzt werden. Gerhard Bliestle, der frühere Ofterdinger Förster, erinnert sich, dass auch nach den heißen Sommern 1946, 1990 und 1995 riesige Mengen an Käferholz angefallen waren. „Ofterdingen hat ein lange Käfergeschichte“, sagte er.

Warum sich die Förster dennoch mit großem Aufwand gegen die Insekten zur Wehr setzen, hängt mit den Interessen der Holzwirtschaft zusammen: „Fichtenholz ist gefragt auf dem Holzmarkt“, sagte Alexander Köberle, der das Kreisforstamt leitet: „Das braucht man bei Hausbau“. Und nachheutiger Erkenntnis wird der Buchdrucker im Ofterdinger Wald immerhin noch so viele junge Fichten übrig lassen, dass man den Weihnachtsbaumverkauf davon bestreiten kann.

In solchen Gängen wohnen sie, die schädlichen Käfer. Bilder: Rippmann

In solchen Gängen wohnen sie, die schädlichen Käfer. Bilder: Rippmann

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Erstellt:
01.05.2016, 21:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 07sec
zuletzt aktualisiert: 01.05.2016, 21:30 Uhr

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