Schadstoffe

„Lüften, lüften, lüften“

Ungemütliche Debatte über PCB- und Trinkwasser-Probleme mit 200 Interessierten im Hörsaal auf der Morgenstelle.

21.01.2017

Von Moritz Hagemann

Im D-Bau auf der Morgenstelle wurde im vergangenen Sommer in einigen Räumen eine erhöhte Belastung mit Polychlorierten Biphenylen (PCB) gemessen (wir berichteten). Gestern informierte die Universität über die weiteren Maßnahmen – und über erhöhte Eisen- und Bleiwerte sowie Legionellen im Trinkwasser.

Chemiker Dieter Zöltzer von der Materialprüfungsanstalt der Uni Stuttgart präsentierte die Ergebnisse der PCB-Messungen. Dabei stellte er fest: „Für den D-Bau müssen wir ein eigenes Bewertungsverfahren beachten.“ Die „Wilhelmi-Platten“ an der Decke dort enthalten PCB, die sich nur schwer verflüchtigen. Bei leichtflüchtigen PCB, wie sie im PN-Bau auf der Morgenstelle in Fugen austreten, gilt ein Richtwert von 3000 Nanogramm pro Kubikmeter Luft. Bei den schwerflüchtigen Schadstoffen liege der Wert, so Zöltzer, etwa bei der Hälfte. „Die Platten müssen jetzt raus“, sagte Zöltzer.

Bernd Selbmann, Leiter des Amtes für Vermögen und Bau, peilt den Baubeginn Anfang 2018 an. „Wir benötigen eine ordentliche Planung und dafür auch Zeit“, sagte er. Besonders die Physiker (sie sind im D-Bau untergebracht) wollen jedoch kein weiteres Jahr in den belasteten Räumen arbeiten. „Es wird fahrlässig mit unserer Gesundheit umgegangen“, sagte Prof. Werner Vogelsang gestern. Vereinzelt erledigen Mitarbeiter die Arbeit bereits von zuhause aus. „Das ist nicht gut für die Uni und wird Schule machen, aber ich werde ihnen das nicht verbieten“, sagte Vogelsang.

Auch die lange Zeit, die zwischen der Überprüfung im Jahr 2006/07 und der jüngsten im vergangenen Sommer verging, wurde Selbmann angekreidet. „Es drängen sich Zweifel auf, ob man das nicht hätte schneller voranbringen können“, sagte Thomas Hierl, Mitarbeiter des Gesundheitsamtes. Selbmann sagte: „Die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Die neuen Grenzwerte zwingen uns zum Einschreiten.“ PCB sind krebserregend und werden laut Hierl zu 50 bis 70 Prozent über die Nahrung aufgenommen.

Die rund 200 Interessierten im gut besuchten Hörsaal forderten auch weitere Messungen in den Gebäuden – zehn Stichproben hatte es im D-Bau unter „Worst-case-Bedingungen“ (Zöltzer) gegeben. Also nach acht Stunden ohne Frischluftzufuhr und bei einer Raumtemperatur von 25 bis 29 Grad.

Auch das Trinkwasser wurde untersucht. Auf der Morgenstelle 22 waren 0,247 Milligramm Blei pro Liter enthalten – der Grenzwert liegt bei 0,010. Mitarbeiter, die das Wasser jahrelang getrunken haben, forderten deshalb Blutuntersuchungen für sich. Die stellte Dagmar Korn (Leiterin Betriebsärztliche Dienst) in Aussicht. In zwei weiteren Gebäuden wurde der Grenzwert bei den Stichproben überschritten. Auch die Eisenwerte lagen teils darüber. Der Rat: Die Wasserhähne vor der Nutzung lange laufen lassen. Nachmessungen ergaben, dass die Werte dann sinken. „Irgendwann wird man sanieren müssen“, sagte Susanne Grenz-Single, die Leiterin für Arbeitssicherheit an der Uni.

Auch die Werte für Legionellen (Zielwert: 100 Kolonie bildende Einheiten pro 100 Milliliter Wasser) lagen in den Gebäuden 3 und 28 deutlich über den Grenzwerten. So wurden 7200 (3) und 6800 KBE (28) gemessen. Weil die Bakterien gefährlich werden, wenn sie mit heißem Wasserdampf eingeatmet werden, habe man einige Duschen in den Gebäuden stillgelegt, sagte Grenz-Single: „Aber erst ab dem Wert von 10 000 ist eine echte Gesundheitsgefahr gegeben.“

Zu den Problematiken sagte Uni-Kanzler Andreas Rothfuß abschließend: „Wer werden dranbleiben und weitere Messungen durchführen.“ Vereinzelt hat die Uni ihren Mitarbeitern schon Trinkwasser in Flaschen oder Containern zur Verfügung gestellt. Und gegen PCB, so Rothfuß, helfe momentan vor allem: „Lüften, lüften, lüften!“ – trotz der aktuellen Temperaturen.

„Die Mühlen für die Mitarbeiter laufen langsam“

Miriam Feckerist Vorstandsmitglied im Personalrat der Tübinger Universität. Sie sagte zur PCB-Problematik: „Uns bleibt nichts anderes übrig als noch ein Jahr zu warten.“ 2000 Deckenplatten wurden im D-Bau bereits getauscht, „aber nicht in den schwer belasteten Räumen“, sagte Fecker. „An der Uni laufen die Mühlen für die Mitarbeiter langsam“, kritisierte sie. Das Legionellen-Problem sei in den Griff zu bekommen. Um dem Blei im Trinkwasser auszuweichen, fordert der Personalrat Wasserzapfstellen mit gefiltertem Wasser in den Gebäuden. „Das Wasser aus dem Hahn ist eklig, es ist nicht trinkbar“, sagte Fecker: „Ich verspreche, wir lassen nicht locker!“

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Erstellt:
21.01.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 21.01.2017, 01:00 Uhr

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matbrueck 05.02.201712:16 Uhr

Wo steht eigentlich geschrieben, dass erst ab einem Legionellenwert > 10.000 KBE/100 ml "ernsthafte Gesundheitsgefahr" besteht? - in der Trinkwasserverordnung (TrinkwV) sicherlich nicht ... Eine solche Aussage ist ungefähr genauso sinnvoll wie die Aussage, von einer Kalaschnikow AK-47 gehe weniger Gefahr aus, wenn nur 10 Patronen statt 80 im Magazin sind ... - ein Treffer genügt doch!

In solchen Fällen nützt es auch wenig, "einige Duschen in dem Gebäude" stillzulegen - welche denn? - die weniger schönen / weniger alten? Ungünstigerweise wandern die Legionellen in einer Trinkwasserinstallation nicht immer zu den stillgelegten Duschen ...

Eine Legionellenprüfung ist immer eine räumliche und zeitliche "Momentaufnahme"; findet man dabei Legionellen, dann sind mit Sicherheit in der gesamten Trinkwasserinstallation weitere Befälle zu erwarten und es besteht Handlungsbedarf.

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