„Das ist wie eine Droge“

Lars Eidinger über Euphorie auf der Bühne und die Lust an der Spannung

„Es ist wichtig, dass der Körper auf Adrenalin ist“, sagt Schauspieler Lars Eidinger, der diese Woche 40 Jahre alt wird. Das Arbeitstier bewundert Hollywoodkollegen: „Die kochen nicht mit Wasser, sondern mit Pepsi“.

19.01.2016

Von ELKE VOGEL, DPA

Wie kommen Sie nach einem Abend als Hamlet oder Richard III. runter?

LARS EIDINGER: Mir hilft das Duschen im Theater extrem. Das ist wie ein Ritual. Man muss natürlich duschen, weil man schwitzt und dreckig ist. Aber ich dusche dann viel länger, als man normalerweise duscht. Das hilft, um runterzukommen.

Und wenn Sie zu Hause sind, sind Sie wieder der private Lars Eidinger?

EIDINGER: Es ist nicht so einfach, dann wieder auf Alltag umzuschalten. Was man auf der Bühne erlebt, das ist eben nicht alltäglich. Das hat etwas Euphorisches und Rauschhaftes. Ich sträube mich dagegen, das zuzugeben, weil es so ein Künstlerklischee ist und ich nicht will, dass dem so ist - aber man wird so alltagsuntauglich.

Wie äußert sich das?

EIDINGER: Das hat auch etwas mit Hybris zu tun. Man steht auf der Bühne und hält sich für den Größten, und da sitzen Leute, die einen anhimmeln und nach der Vorstellung Autogramme wollen. Dann gehe ich voller Euphorie nach Hause - und da herrscht dann ein extremes Gefälle zwischen der Intensität, die man auf der Bühne erfährt, und der Normalität des Alltags. Ich will nicht so weit gehen und sagen, dass ich zu Depressionen neige, aber es gibt so eine diffuse Traurigkeit. Weil man das Gefühl, das man auf der Bühne hat - diese Euphorie und diese Intensität - nicht festhalten kann. Deshalb arbeite ich wahrscheinlich auch so viel. Das ist wie eine Droge.

Haben Sie noch Lampenfieber?

EIDINGER: Ja, zum Glück! Das ist ein wichtiges Gefühl - weil es einen überhaupt erst befähigt, gewisse Leistungen zu vollbringen. Weil man dadurch in einer ganz anderen Spannung ist. Wenn man jetzt aus einer Gelöstheit auf die Bühne gehen würde, dann würde das gar nicht funktionieren. Es ist wichtig, dass der Körper auf Adrenalin ist.

Sind Sie ein extrovertierter Mensch?

EIDINGER: Ich habe gemerkt, dass ich über die Expressivität auf der Bühne - so widersprüchlich das klingt - mehr bei mir ankomme und dann mehr ich selbst bin. Weil ich im Alltag viel mehr Zwängen unterworfen bin, was Scham und eine gewisse Unsicherheit angeht. Das kann ich tatsächlich auf der Bühne hinter mir lassen. Das hat damit zu tun, dass man in eine Rolle geht. Mir ist es zum Beispiel total peinlich, über einen roten Teppich zu laufen. Da merke ich dann, dass ich auf mich zurückgeworfen bin und privat über den roten Teppich laufe. Wenn ich mir die Fingernägel anmale oder eine Spange ins Haar klemme, dann schütze ich mich mit dieser Verwandlung. Dann habe ich das Gefühl: Das bin nicht mehr ich. Ich bin ja maskiert.

Wie besiegen Sie die Scham auf der Bühne?

EIDINGER: Das Aufregende auf der Bühne ist es, diese Hürden zu nehmen und die Widerstände zu bezwingen. Wenn der Zuschauer das Gefühl hat, da ist jemand, der ist völlig mit sich im Reinen, entspannt und selbstbewusst, dann guckt man den gar nicht so gerne an wie jemand, der sich an etwas abarbeitet. Ich glaube, das ist meine Qualität: Dass ich mich zur Disposition stelle und mich in Gefahr bringe.

Sie haben gerade mit Kristen Stewart „Personal Shopper“ gedreht - reizt Sie Hollywood?

EIDINGER: Wen würde das nicht reizen? Das ist immer der Sehnsuchtsort. Jeder Schauspieler träumt davon, in Hollywood zu spielen und einen Oscar zu gewinnen.

Dann müssen jetzt nur noch die richtigen Angebote kommen. . .

EIDINGER: Ja.

Was ist der Unterschied zum Filmemachen hier und in den USA?

EIDINGER: Wenn man Schauspielern wie Kristen Stewart begegnet, merkt man, dass die eben nicht „auch nur mit Wasser kochen“, sondern mit Pepsi. US-amerikanische Schauspieler sind viel disziplinierter, viel besser vorbereitet. Die kommen mit einer fertig erarbeiteten Figur ans Set. Sie sind mit einem Coach vorher jede Szene durchgegangen. Es gibt kaum Schauspieler in Deutschland, die sich coachen lassen. Die meisten Schauspieler, die ich kenne, lernen ihren Text gerade einmal im Auto auf dem Weg zum Drehort. Theater dagegen ist in Deutschland ziemlich fortschrittlich und avantgardistisch.

Was tun Sie, um zu entspannen?

EIDINGER: Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich kann mich am besten in der Spannung entspannen. Lemmy Kilmister hat einmal gesagt: „Um zu wissen, wie ein Kater sich anfühlt, muss man aufhören zu trinken.“

Was sagen Ihre Frau und Ihre Tochter zu Ihrem vollen Terminkalender?

EIDINGER: Das ist natürlich manchmal problematisch. Ich habe jetzt zwei Jahre hintereinander keinen Urlaub mit meiner Familie verbracht. Das will ich ändern. In diesem Jahr habe ich den August geblockt - da fahre ich dann mit meiner Familie weg. Egal was da kommt. Das sage ich jetzt . . . Aber meine Familie teilt meine Leidenschaft auch. Meine neunjährige Tochter hat jetzt mehrere Vorstellungen hinter der Bühne gesessen. Sie liebt das und will immer unbedingt mitkommen.

Zur Person

Theater und Kino Lars Eidinger wurde am 21. Januar 1976 in West-Berlin geboren. Er absolvierte die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. In seiner Schauspielklasse waren auch Nina Hoss, Devid Striesow und Fritzi Haberlandt. Seit 1999 ist Eidinger Ensemble-Mitglied an der Berliner Schaubühne, wo er unter anderem die großen Shakespeare-Figuren Hamlet und Richard III. verkörpert. Sein Durchbruch auf der Kinoleinwand gelang ihm mit Maren Ades Beziehungsdrama „Alle anderen“. Zuletzt überzeugte er unter anderem im Kinofilm „Familienfest“ und als Serienkiller im Kieler „Tatort“.

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Erstellt:
19.01.2016, 08:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 47sec
zuletzt aktualisiert: 19.01.2016, 08:30 Uhr

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