Koalition hegen und pflegen

Künftige Partner Grüne und CDU sehen im Vertrag eine gute Basis für die Landespolitik

Die „bockelharten“ (CDU) oder „nervenaufreibenden“ (Grüne) Verhandlungen sind vorbei. Der Koalitionsvertrag steht. Wir fragten Tübinger Politiker der Grünen und der CDU, wie sie das Ergebnis einschätzen. Ihr Urteil gestern: gut bis sehr gut.

03.05.2016

Von Ute Kaiser

A. Widmann-Mauz

A. Widmann-Mauz

Tübingen. Sie haben sich nicht gesucht. Doch sie haben sich gefunden. So beschrieb CDU-Landeschef Thomas Strobl gestern in Stuttgart den Weg zum 140 Seiten dicken Koalitions-Kompromiss der bundesweit ersten grün-schwarzen Landesregierung. Für Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist er „mehr als der kleinste gemeinsame Nenner“. So ähnlich sehen es auch die Tübinger Landes- und Bundespolitiker, die mehr oder minder am Zustandekommen beteiligt waren.

Die Tübinger CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz atmete, unterwegs nach Berlin, am Telefon hörbar auf. „Die Anspannung ist vorbei“, sagte die Verhandlerin, die diesen Job nicht zum ersten Mal machte. Sie gehörte sowohl der großen Koalitionsrunde an, in der es eher um den Austausch ging, als auch der kleinen, in der die großen strittigen Themen – wie etwa die Finanzplanung – zur Diskussion standen. Die Verhandlungen der beiden „fast gleich starken Partner“, so Widmann-Mauz, seien fair verlaufen: „Beide kommen mit ihren Anliegen vor.“

Besonders glücklich ist sie über einen Akzent, den sie setzen konnte: den Kinderbildungspass. Er wird bei der Schuleingangsuntersuchung ausgegeben. Das Land schießt ein Jahr lang 75 Euro pro Monat für das letzte Kindergartenjahr zu. Das sei eine „echte Entlastung“ für die Familien, unterstütze die vorschulische Bildung und sei zudem ein Beitrag zu mehr Integration.

Ebenso sehr freut sie sich, dass das Wahlrecht geändert werden soll – mit dem Ziel, den Frauenanteil im Landtag von derzeit 25 Prozent zu erhöhen. „Dafür habe ich sehr lange gekämpft“, sagt Widmann-Mauz, die seit September 2015 Bundesvorsitzende der Frauen Union ist.

Der Parlamentarischen Staatssekretärin im Gesundheitsministerium lag auch am Herzen, dass an jeder medizinischen Hochschule im Land ein Lehrstuhl für Allgemeinmedizin eingerichtet wird. Reizt es sie nicht, beim bundesweit einmaligen Experiment mitzumischen? Sie habe „weit im Vorfeld entschieden“, dass sie ihre Zukunft in Berlin sehe – und „nicht auf Posten geschielt“. Die Grünen und die CDU werden je fünf Ministerposten bekommen. Namen nannte Kretschmann gestern auch in der außerordentlichen Fraktionssitzung der Grünen nicht.

Der wiedergewählte Tübinger Landtagsabgeordnete Daniel Lede Abal – „nach den Tönen im Wahlkampf nicht der größte Fan einer Regierung mit der CDU“ – findet den Koalitionsvertrag „überraschend gut“. Der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion kann auch damit leben, dass das Integrationsministerium aufgelöst und die Aufgaben auf das Innen- und das Sozialressort aufgeteilt werden. Das sei „eine klare Stärkung des Arbeitsbereichs“. Sein Fazit nach fünf Jahren Integrationsministerium: „Das Haus ist zu klein und es hatte zu wenig Bandbreite.“

Den Kompromiss bei den Gemeinschaftsschulen – es kann neue geben und an einigen Standorten Oberstufen – findet Lede Abal „ordentlich“. Die von den Grünen geforderte Kennzeichnungspflicht für Polizisten taucht im Koalitionsvertrag nicht auf. Lede Abal sieht es nüchtern: Bei Grün-Rot sei sie drin gewesen, „aber wir haben sie nicht bekommen“. Schmerzlich ist für ihn, dass das Landwirtschaftsministerium an die CDU fällt. Dafür ging das Finanzressort an die Grünen. Damit hatte Lede Abal nicht gerechnet.

Wie die hiesige Basis den Koalitionskompromiss bewertet, kann sie am morgigen Mittwoch, 4. Mai, von 19.30 Uhr an bei einer Kreismitgliederversammlung im „Hofstüble“ des Tübinger Bürgerheims diskutieren. Mit dabei ist der Grünen-Bundestagsabgeordnete Chris Kühn. Auch er war am Sonntag in der großen Runde der Grünen in Stuttgart. Ihm ist es wichtig, dass es „keine Rückabwicklung der Politik der letzten fünf Jahre gibt“. Den Kinderbildungspass hätte es, wäre es nach Kühn gegangen, „nicht gebraucht“. Den „Schulkonsens“ dagegen hält er für „entscheidend“. Bei der Verteilung der Ministerien sind die Grünen aus Sicht des Bundestagsabgeordneten besser weggekommen als bei der grün-roten Vorgängerregierung. Kühns Devise für die Zukunft: Beide Partner müssten die Koalition „hegen und pflegen, damit sie eine gute wird“.

Tübingens OB Boris Palmer war vor zehn Jahren noch Landtagsabgeordneter der Grünen. Es gab Sondierungsgespräche mit der CDU und Ministerpräsident Günther Oettinger. Damals wären das Aus für Atom- und Kohlekraftwerke sowie der weitere Ausbau der Gemeinschaftschulen nicht vorstellbar gewesen. Aber nicht nur deshalb bewertet Palmer das Ergebnis der aktuellen Verhandlungen als „sehr, sehr gut“.

Er begrüßt – im Gegensatz zur Grünen Jugend –, dass Kommunen künftig den Alkoholkonsum zeitlich und räumlich begrenzt verbieten können. Und er lobt unter anderem, dass die Stadtwerke Tübingen weiter in Windräder investieren und Mieter ein Solardach aufs Mietshaus setzen können, um von staatlicher Förderung zu profitieren. Archivbilder

Chris Kühn

Chris Kühn

Daniel Lede Abal

Daniel Lede Abal

Boris Palmer

Boris Palmer

Koalitionäre schweigen über Besetzung der Ministerposten

Diese und nächste Woche geht es Schlag auf Schlag: Am Freitag, 6. Mai, diskutiert die Landes-CDU auf einem Parteitag, einen Tag später debattieren die Grünen über den Koalitionsvertrag. Am Mittwoch, 11. Mai, soll der neue Landtag erstmals zusammenkommen. Am Tag darauf soll Winfried Kretschmann zum Regierungschef gewählt und die Liste der Minister bestätigt werden. Darauf könnte wieder der ehemalige Tübinger Bundestagsabgeordnete Winfried Hermann stehen. Bisher verraten die Koalitionäre darüber aber nichts.

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Erstellt:
03.05.2016, 09:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 27sec
zuletzt aktualisiert: 03.05.2016, 09:00 Uhr

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