Neues über Tübinger Konzertsaal-Varianten

King Size auf dem Neckarparkhaus

Tübingen bekommt einen supertollen 40-Millionen-Kulturbau direkt am Neckar, wenn es nach dem Architekten Werner King geht. Geht es aber nicht. Im Rathaus verbeißt man sich lieber in eine fragwürdige Machbarkeitsstudie.

18.02.2017

Von Wilhelm Triebold

HALT STOP! Das ist NICHT das von Werner King entworfene geheime Konzertgebäude, denn davon gelangen jetzt noch keine Pläne an die Öffentlichkeit. Und 1. April ist auch noch nicht. Es ist nur ein kleiner Fotoshop-Spaß von Verkehrsvereins-Mitarbeiterin Barbara Honner: die prächtige Neckarphilharmonie. Garantiert billiger. Bildmontage: Honner

HALT STOP! Das ist NICHT das von Werner King entworfene geheime Konzertgebäude, denn davon gelangen jetzt noch keine Pläne an die Öffentlichkeit. Und 1. April ist auch noch nicht. Es ist nur ein kleiner Fotoshop-Spaß von Verkehrsvereins-Mitarbeiterin Barbara Honner: die prächtige Neckarphilharmonie. Garantiert billiger. Bildmontage: Honner

Bert Brecht hat‘s gewusst. In seiner „Dreigroschenoper“ singt der weise Bettlerkönig Jonathan Peachum von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens:

„Ja mach nur einen Plan ...“

In Tübingen macht man gerne Pläne und nennt sie dann, logisch: Machbarkeitsstudien. Die haben den Vorteil, man zeigt, dass man was macht. Ob man‘s dann auch macht? Eine ganz andere Frage.

„... sei nur ein großes Licht ...“

Vor anderthalb Jahren gab es Licht am Tunnel-Ende auf dem Weg zum Tübinger Konzertsaal. Allerorten entstehen solche Bauten; oft nur zu diesem Zweck, manchmal aber auch als Mehrzweckgebäude, gerne gekoppelt mit Kongress-Angeboten. Viele Städte leisten sich längst einen zweiten, dritten oder gar vierten, Bedarf und Kundeninteresse sind vorhanden.

Im Juli 2015 wurde, als Tübinger Auftragsarbeit, eine erste Machbarkeitsstudie der Beratungsfirma ICG Culturplan vorgelegt. Eine solide Arbeit, die nicht nur einen Konzertsaal für notwendig erachtet, sondern auch gleich mehrere Standorte überprüft hat. Klarer Favorit danach: Der Europaplatz, den die Tübinger Musikschaffenden von Anfang an bevorzugten.

Was ist seither passiert? Nicht viel. Obwohl es hieß, weitere Standort-Alternativen außer denen in der Studie würden nicht weiter verfolgt, schaffte es einer doch noch: Der Vorschlag des Baubürgermeisters Cordt Soehlke, auch den (Kino-) Schillersaal im Museum als konzertsaaltauglich zu prüfen. Der ist gerade erst vertragsverlängert worden, wäre somit allerfrühestens im Jahr 2030 frei. Falls der derzeitige Kinobetreiber dann überhaupt raus will.

„... und mach dann noch ‚nen zweiten Plan ...“

So entstehen also Machbarkeitsstudien. Die Stadtverwaltung, bisher kein ausgewiesener Freund des Kultursaals, möchte das Beratungsunternehmen beauftragen, den Schillersaal und das umliegende Museumsgebäude zu untersuchen. Zwei Monate würde das dauern und 24 260 Euro kosten.

Tübinger Gemeinderäte neigen dazu, städtische Vorlagen erst einmal kräftig über den Klee zu loben. Am Donnerstag im Kulturausschuss war davon keine Rede. Selten wurde ein Papier aus der Verwaltung von den Fraktionen so zerpflückt wie diese Beschlussvorlage 45/2017. Dass sie die Sitzung überstand, grenzt an ein Wunder.

Doch der Reihe nach. Zuerst einmal zieht „Die Linke“ einen eigenen Antrag zurück. Er sollte das Parkhaus in der Wöhrdstraße auf die Tagesordnung setzen, was vorher, nur ganz anders, auch schon Ulf Siebert (Tübinger Liste) versucht hatte. Linken-Kollege Felix Schreiber raunte von einer „Gruppe von Stadt- und Projektplanern“, einem „führenden deutschen Büro“, das planerisch bereits „in der Mikro- und Makroanalyse“ zum Kultursaal-Standort Neckarparkhaus sei. Auch das schöne Wort „Facility Management“ fiel da.

Sitzungsleiterin und Bürgermeisterin Christine Arbogast gab sich überrascht: Weder sie noch der Kultursaal-Freundesverein hätten Kenntnis von dieser „Geheimgruppe“, die angeblich schon 2006 dem damaligen Neu-OB Boris Palmer eine Planungs-CD zukommen ließ. Die soll allerdings verschollen sein. Wie auch immer: „Wir harren der Dinge, die da kommen“, rief Arbogast fröhlich.

„Geheimgruppe“? Kleines Intermezzo: Das TAGBLATT fragt sich zum Professor durch, der diese frühe Konzerthaus-Idee auf dem Neckarparkhaus-Gelände verfolgt haben soll. Es handelt sich um den Tübinger Architekten Werner King, der an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur einen Lehrauftrag für „Entwurfsorientiertes Projektmanagement“ und, aber ja doch, „Technisches Facility Management“ hat.

Der gebürtige Tübinger („ich bin mit der Stadt verbunden“) saß nicht nur für die SPD im hiesigen Rathaus, er hat hier sogar manches Bauprojekt gestemmt. Etwa den Bareselbau am Europaplatz. Das Majer-Areal. Das merkwürdige „Schneckenhaus“, wenn man durch den Schlossbergtunnel in die Hegelstraße biegt. Keine aufregende Architektur, keine städtebaulichen Paukenschläge oder Kontrapunkte, um im Musikbild zu bleiben. Keine Sternstunden. Aber auch keine Sternschnuppen wie jener Büroturm, der direkt vorm LTT-Eingang emporwachsen sollte, was er nie tat. Und an dem King auch mitbauen sollte.

Als Kulturhausplaner ist Werner King bislang nicht aufgefallen. Doch jetzt will er‘s wissen. Ja, bestätigt er auf TAGBLATT-Nachfrage , gemeinsam mit seinem Partner Wolfgang Söllner sitze er an Plänen, das Neckarparkhaus mit einem Konzertsaal zu überbauen. Ein 40 bis 50 Millionen Euro schweres Projekt, rein investoren-finanziert. Aber nicht grenzenlos: „Über 60 Millionen werden wir nicht kommen.“

Nur, wer soll sowas bezahlen? Kein Problem, signalisiert King. Er habe „relativ schnell gemerkt, dass ein enorm großes Interesse bei Investoren besteht. Es gibt immer noch steinreiche Leute.“ Und schon „einige Zusagen“ für den Fall, dass es wirklich was wird.

Werner King greift die weit zurückliegende Idee eines seiner Leipziger Studenten auf, der für seine Prüfungsarbeit vor 15 Jahren nicht nur beste Noten, sondern sogar einen Preis erhielt. Schon der Student überplante das Neckarparkhaus mit einem Kultursaal.

Er habe Mühe gehabt, den Studenten wieder aufzutreiben, sagt King. Der kramte sein Werk wieder hervor, „sie hat Hand und Fuß, ist exzellent und witzig, eine interessante Arbeit, aber natürlich nicht auf dem neuesten Stand“. Weshalb King und Partner nicht nur beim Brandschutz nachbessern müssen.

Im nächsten Jahr läuft der Pachtvertrag der Parkhausbetreiber aus. Eine gute Gelegenheit, sich rechtzeitig Gedanken über die Zukunft des Parkhauses zu machen, das viele einen „Schandfleck“ nennen.

Die Stadtverwaltung hat da offenbar eine klare vorgegebene Meinung, was dessen Konzertsaal-Tauglichkeit angeht: „Das Parkhaus erschien uns nicht zielführend und aus stadtplanerischer Sicht keine Option“, sagt in der Ausschusssitzung Kulturamts-Mitarbeiter Christopher Blum noch auf der Grundlage des Siebert-Vorschlags.

Werner King sieht das natürlich anders. Er ist stolz, nie die Kosten überzogen zu haben: „Wir sind in kurzer Zeit in der Lage, mit guten Leuten einen Konzertsaal zu realisieren, bis Ende des Jahres sollen Pläne vorliegen.“

Nach der Elbphilharmonie also jetzt die Neckarphilharmonie? „In Hamburg haben sie zehn Jahre gebaut. Wir müssen nicht wie die dort einen Japaner einfliegen lassen, sondern kriegen auch mit weit geringeren Kosten in Tübingen einen Konzertsaal hin.“ Die Uni sei „hochinteressiert“, weil sie dringend ein Kongresszentrum brauche, und auch angesichts der Hotels drumrum angetan.

Kings Konzertsaal hätte 2000 Plätze, wäre 13 bis 15 Meter hoch nach dem „Schuhkarton“-Modell, das sich neben dem „Weinberg“-Prinzip in der Konzertsaalszene etabliert hat. Die Casino-Gastronomie wird mit eingespeist und eingepreist. An der Außenwirkung der Konzerthaus-Fassade müsse man aber „noch heftig arbeiten“.

Sein sparsames Prinzip: „Finger weg von teuren Belägen und Fassaden!“ Das komplette Parkhaus würde abgerissen werden, doch drei bis vier Untergeschosse fürs Parken seien noch machbar.

Es sei nicht zu erwarten, dass sich Stadt und Land finanziell beteiligen, weiß King. Und findet allerdings: „Der OB würde sich und der Stadt keinen Gefallen tun, wenn er das ablehnt. Er bekommt es bezahlt.“ Die Stadt solle das Angebot wenigstens prüfen: „Man vergeigt sonst eine Chance.“

„... gehn tun sie beide nicht.“

Zurück zum Kulturausschuss und zur Museums-Machbarkeitsstudie. Hier strickt man kleinere Karos. Doch im Sitzungsrund scheint einige dann doch das Gefühl zu beschleichen, mit der städtischen Vorlage für dumm verkauft zu werden. Denn die schlägt drei Varianten vor, um zwei von ihnen gleich wieder zu verwerfen. Die große Lösung von 1000 Zuschauern hält selbst Vorlagen-Präsentierer Blum für nicht machbar: „das funktioniert nicht“. Und Christine Arbogast räumt ein: „Ich halte den Kombibetrieb von Kino und Konzertsaal für ausgeschlossen.“

Blieb also höchstens (und ausschließlich) die bescheidene Variante mit 600 Plätzen – vorausgesetzt, wie gesagt, der Schillersaal wird irgendwann mal frei.

Entsprechend verdrießlich schauten die Stadträte, ebenso vernichtend fiel ihr Urteil aus. Susanne Bächer (Grüne) verspürte ein „gewisses Stirnrunzeln“ und fand es ärgerlich, wie überholt und veraltet damit die vorige Machbarkeitsstudie sei. Und, fragte sie, „sollen wir innerlich hoffen, dass der Kinobetrieb nicht läuft, oder den Konzertsaal für die nächsten 15 Jahre begraben?“

Ähnlich sah es Ingeborg Höhne-Mack von der SPD: „Das ist alles viel zu offen formuliert, wenn man ernsthaft an der Realisierung des Projekts interessiert ist.“ Sie sieht „die Gefahr, von einer Machbarkeitsstudie zur nächsten hangeln, um den Konzertsaal vor sich herzuschieben.“ Ingrid Fischer von der CDU verdammt die Vorlage in Bausch und Bogen. Es sei „nicht angebracht, das zu überlegen, der Standort kommt nicht infrage.“ Abwarten sollte man nicht, „sonst liegen andere Optionen brach.“

Man solle lieber prüfen, ob am Europaplatz nicht etwas mit dem Südwestrundfunk gehe, der dort offenbar Ambitionen hat hinzuziehen. SPD-Mann Martin Sökler grantelte, die Vorlage sei „absurd – warum schlagen Sie uns Varianten vor, die Sie selbst verwerfen?“

Am deutlichsten aber brachte es wohl vielleicht Ernst Gumrich von der Tübinger Liste auf den Punkt. Die neue Machbarkeitsstudie sei „völlig überflüssig. Bis dahin sind alle anderen Plätze vergeben.“ Jetzt zuzustimmen „wäre ein Bärendienst für den Verein. Wir werden kein bisschen schneller, wenn wir mit vereinten Kräften in die Sackgasse laufen.“

Kleine Posse zum Abschluss: Die FDP-Rätin Anne Kreim beantragte eine Vertagung und bekam sie auch mit einer Mehrheit von zehn zu sechs Stimmen (bei zwei Enthaltungen). Bis verdutzt festgestellt wurde, man hätte besser die Vorlage, bei dieser klaren Stimmungslage, doch lieber gleich kippen sollen. Bürgermeisterin Arbogast musste sich erst rechtskundig machen, ob bei solchen Beschlüssen auch zurückgerudert werden dürfe, und verkündete, die Vorlage komme bei nächster Gelegenheit wieder. So hatte sie doch noch ein Erfolgserlebnis an diesem Abend: Arbogast: „Eine Übung in Regularien, das hat man nicht oft.“

Konzertsaal-Varianten und ein Freundesverein

Für einen Tübinger Konzertsaal gibt es zwei Kapazitäts- und Größenvarianten: eine mit 650 (Kosten 13 bis 18 Millionen Euro) und eine mit 1000 Plätzen (Kosten zwischen 21 und 29 Millionen Euro). Neben dem Europaplatz-Baufenster beziehungsweise dem einstigen Gesundheitsamt kamen für die Berater als weitere Standorte die Kleine Molkerei in der Rappstraße oder das Areal „Schindelstube“ hinter dem Technischen Rathaus in der Brunnenstraße in Betracht.

Der Verein „Ein Saal für Tübingen“ vertritt über 30 Chöre, mehr als 12 Orchester, etwa 4000 aktiv musizierende Menschen, eine städtische und diverse private Musikschulen, eine Hochschule für Kirchenmusik, ein Musikwissenschaftliches Institut, Musikfestivals wie der Orgelsommer, die Jazz- und Klassiktage und das Vielklang-Festival. Die Initiatoren waren Musiker wie Ingo Bredenbach, Philipp Amelung und Christian Fischer, sie haben sich aus der vorderen Linie zurückgezogen und das Feld immer mehr einflussreichen Zuarbeitern wie Michael Lucke, Andreas Rothfuß und Albrecht Kühn überlassen.

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Erstellt:
18.02.2017, 00:30 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 05sec
zuletzt aktualisiert: 18.02.2017, 00:30 Uhr

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