Du bist allzu schöne

Kaum Zuhörer, aber immer mehr mitmachende Kirchen: Am 6. Deutschen Orgeltag wurde in fünf Tübinger G

Um mehr Aufmerksamkeit für die Kirchenorgel zu wecken und sie auch als Konzertinstrument bekannter zu machen, hat die Vereinigung der Orgelsachverständigen 2010 den Deutschen Orgeltag ins Leben gerufen. Am Sonntag öffneten fünf Kirchen ihre Türen und teils auch die Orgelgehäuse, um den Besuchern umfassende Einblicke zu bieten.

13.09.2016

Von Achim Stricker

An oder vielmehr unter der mächtigen Orgel der Neuapostolischen Kirche in der Brunsstraße orgeln hier von links und sehr klein Markus Herr und Andreas Ostheimer. Bild Rippmann

An oder vielmehr unter der mächtigen Orgel der Neuapostolischen Kirche in der Brunsstraße orgeln hier von links und sehr klein Markus Herr und Andreas Ostheimer. Bild Rippmann

Tübingen. Im Vorfeld hatte Andreas Ostheimer, Organist an der Neuapostolischen Kirche und Orgelsachverständiger seiner Kirche für Süddeutschland, zahlreiche Tübinger Orgel-Kolleg(inn)en angeschrieben und die eingehenden Angebote koordiniert. Anders als im vergangenen Jahr sollten diesmal die Konzertprogramme in den fünf beteiligten Kirchen den Sonntagnachmittag über mehrmals gespielt werden, um den Besuchern die Möglichkeit zu einem Spaziergang von Kirche zu Kirche zu geben.

Pro Konzert waren es durchschnittlich zwölf bis 15 Zuhörer – ein konstanter, wenn auch nicht allzu großer Zuspruch, verständlich bei dem spätsommerlichen Freibadwetter. Zudem war am Sonntag auch Tag des Offenen Denkmals. Die Veranstalter des Deutschen Orgeltags hatten mit ihrer Entscheidung für diesen Termin auf den Synergie-Effekt von Kirchenbesichtigungen gehofft. Dennoch konstatiert Mitinitiator Ostheimer ein wachsendes Interesse am Orgeltag, was er „weniger an den Besucherzahlen“ festmacht als an der „steigenden Anzahl teilnehmender Kirchen und Institutionen“.

Die Katholische Kirche hatte überdies einen „Kinderorgeltag“ ausgerufen. So lud Reinhard Kluth um 15 Uhr mit Peter Chillas witzigem Dialog „Die Orgelmaus“ auf die Empore von St. Petrus in Lustnau ein. 13 Kinder kamen mit ihren Eltern und bald zeigt sich auch schon die Orgelmaus (Dorothea Stiehler), im schwarzen Kostüm mit Schnurrbart und Mausohren. Und sie interessiert sich sehr für die Ott-Orgel von 1973: „Was sind denn das für Blockflöten ohne Grifflöcher?“ Kluth montiert eine Pfeife aus der Windlade und zeigt, wie sie funktioniert. Die mäusepiepsig höchste Pfeife ist kurz und dünn wie ein IKEA-Bleistift. Die tiefste Pfeife ist fast fünf Meter lang, man spürt die Resonanz im Bauch vibrieren. Ob Kluth unter seinen „Klangfarben“ auch Rot im Angebot hat, will die Orgelmaus wissen: „Und sind die Pfeifen aus Silber, bist du ein reicher Mann?“ „Ach was!“, die Pfeifen werden aus Zinn-Blei-Blechen gerollt. Eine Kuriosität in St. Petrus: „Die Metallpfeifen sind behämmert“, also mit einem Hammer bearbeitet. Das eigenwillige Prägemuster findet die Orgelmaus „schon schick“. Und am Ende bekommt jedes Kind eine Teilnahme-Urkunde überreicht.

Die Albert-Schweitzer-Kirche liegt in glühender Hitze mit Grillenzirpen im verbrannten Gras da wie in der Provence. 15 Zuhörer wissen den angenehm kühlen Kirchenraum zu schätzen. Die Rensch-Orgel von 1988 ist vor allem für die Gemeindelied-Begleitung ausgelegt und hat nur 16 Register, dafür aber drei Manuale und damit zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten. So lassen sich auf ihr auch anspruchsvoll komplexe Werke spielen wie Bachs Präludium und Fuge C-Dur BWV 547 oder Buxtehudes d-moll-Passacaglia. Die Orgel steht ebenerdig im Gottesdienstraum, so dass die Zuhörer Kantorin Katrin Seeger beim Spielen auf Hände und Füße schauen können. Das ist besonders eindrucksvoll bei Michels „Tango für Pedalsolo“: Im Wiegeschritt, mit Schleifern und zackigen Volten mit den Füßen auf den Pedalen getanzt. Zuletzt werden komplette Akkorde getreten – mit Hacke und Spitze auf mehreren Pedalen gleichzeitig.

16 Uhr an der Bonhoeffer-Kirche. Eine sanfte Brise kommt auf, Cumulus-Wolken ziehen über den Himmel. Auch die Garnier-Orgel von 1993 hat nur 16 Register und ist wohltemperiert gestimmt, die einzelnen Tonarten klingen auf ihr sehr unterschiedlich. Ein Schmuckstück: Der Orgelprospekt ist künstlerisch in den modernen Kirchenraum eingepasst, ein auf der Spitze stehendes Quadrat rahmt die Prospektpfeifen. Kantorin Elisabeth Fröschle hat auf dem Programmblatt alle Registrierungen angegeben, so dass die zehn Zuhörer dem roten Klangfaden folgen können: bei Sweelincks „More Palatino“-Variationen, Bachs dorischer Toccata und Fuge BWV 538 und Georg Böhms Variationen über „Jesu, du bist allzu schöne“.

Auf die Martinskirche fällt um 17 Uhr ein schon fast herbstliches Abendlicht. Olaf Pache präsentiert den zwölf Zuhörern auf der Weigle-Orgel von 1957 ein knapp einstündiges Programm. Eindringlich das pedalschwer bombastische „Ostinato c-moll“ des erst 14-jährigen Mendelssohn, nach dem Vorbild von Bachs c-moll-Passacaglia. Die 16 variierten Durchläufe in der Ciaconna B-Dur des Bach-Cousins Johann Bernhard ziehen sich ein wenig, auch haben sich manche der rund 2000 Pfeifen in der Sommerhitze leicht verstimmt. Kurzweilig dagegen fünf Haydn-Stücke, geschrieben für ein Uhrwerk mit Orgelmechanik, das etwa zum „Kaffeeklatsch“ die passende Melodie spielte. Der krönende Abschluss Bachs großangelegte „Pièce d’Orgue“ BWV 572.

Finale in der Neuapostolischen Kirche. Den Nachmittag über haben Markus Herr und Andreas Ostheimer ganze drei Mal auf der monumentalen Mühleisen-Orgel von 2004 konzertiert. Um 18 Uhr sind Ostheimer „zum vierhändigen Spiel zwei Hände abhanden gekommen“, so musiziert er Druckenmüller und Sweelinck, gewährt den zwölf Zuhörern auch einen Einblick ins Innere, einen Gang in diesen Wald aus 1320 Pfeifen. Bei ausgeschaltetem Motor darf ein Freiwilliger den Blasebalg treten. Eine Seltenheit: Die Orgel verfügt auch noch über eine ältere Schöpfanlage zum Selbertreten von 1932. Zuletzt wählt Ostheimer aus den 25 Registern „typisch englische Klangfarben“ aus und lässt mit Edmund Hart Turpins Andante con moto den Abend ausklingen.

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Erstellt:
13.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 13.09.2016, 01:00 Uhr

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