Ist das Geschäft mit den Spielertransfers nicht krank?

Ingo Haspel, der Wendelsheimer Spielerberater von Andre Schürrle, über enorme Geldsummen und Neid

Mit seinem Wechsel zum Bundesligisten Borussia Dortmund ist Fußball-Nationalspieler Andre Schürrle der deutsche Spieler, für den insgesamt am meisten Geld ausgegeben wurde: insgesamt 92,5 Millionen Euro. Sein Wendelsheimer Spielerberater Ingo Haspel äußert sich im TAGBLATT-Interview zu diesen Summen, seinen Anteil und über Neid in seinem Umfeld.

06.08.2016

Von Tobias Zug

„Es erscheint einem vieles surreal“: der Wendelsheimer Fußball-Spielerberater Ingo Haspel. Bild: Ulmer

„Es erscheint einem vieles surreal“: der Wendelsheimer Fußball-Spielerberater Ingo Haspel. Bild: Ulmer

TAGBLATT: Herr Haspel, Ihr Spieler Andre Schürrle wechselt jetzt zum vierten Mal innerhalb von fünf Jahren den Verein. Warum?

Ingo Haspel: Im Profifußball gibt es immer wieder Situationen, bei denen man die aktuelle sportlichen Situation bei Spielern bewerten muss. Es ist ein Sport, der in in der Spitze hochintensiv ist, und bei dem es manchmal sportliche Gelegenheiten gibt, die wahrscheinlich nicht mehr wieder kommen. Eine solche Gelegenheit war aus unserer Sicht durch das große Interesse von Borussia Dortmund, insbesondere des Trainers Thomas Tuchel, gegeben. Thomas hat Andre in die Bundesliga gebracht und schon vorher in der Jugend geformt. Thomas hat ihn gefragt hat, ob er Lust habe, wieder unter ihm zu spielen. Da musste Andre nicht lange überlegen. Und wenn man die letzten anderthalb Jahre in Wolfsburg betrachtet, muss man auch sagen: Es war in Ordnung, aber unterm Strich auch nicht die top sportliche Symbiose.

Hätten Sie das nicht vorher wissen können? Viele Spieler fallen mir aus den vergangenen Jahren nicht ein, die nach einem Wechsel zum VfL Wolfsburg glücklich wurden…

Diese Glaskugel gibt es leider noch nicht, dass man im Fußball, oder auch im normalen Leben was vorher weiß und in die Zukunft schauen kann. Man muss einfach Entscheidungen treffen und dann damit leben! Wir entschieden uns für einen Wechsel nach Wolfsburg, weil uns dieser als sinnvoller und richtiger Schritt erschien, nach allem, was zu uns gesagt wurde und wie sich die Gesamtsituation bei Chelsea darstellte. Vieles traf dann leider nicht ganz so ein, das haben sich beide Seiten wohl etwas anders vorgestellt.

Für den 25-jährigen Schürrle haben die Klubs insgesamt 92,5 Millionen Euro an Ablösesummen bezahlt – so viel setzt die gesamte Volleyball-Bundesliga nicht um…

Tja, was soll ich sagen…?! Ich habe die Preise nicht gemacht und Andre Schürrle auch nicht. Es wäre sicher viel weniger Druck für Andre und uns viel lieber gewesen, wenn er ablösefrei hätte wechseln können.

Aber Sie profitieren doch auch gut von diesen Ablösesummen?

Nein, das ist falsch! Die Ablösesumme von Verein A zu Verein B wird bezahlt zur Auflösung eines bestehenden Arbeitsvertrages. Das Geld fließt zum abgebenden Verein, damit der bestehende Arbeitsvertrag aufgelöst wird.

Ist das Fußballgeschäft nicht krank, wenn solche Summen für Spieler bezahlt werden? Thomas Tuchel sagt ebenfalls: „Da ist kein Bezug mehr zu den Leuten, die ins Stadion kommen.“

Ja, das sind schon astronomische Summen, und es erscheint einem vieles surreal. Der Profifußballsport hat sich eben in diese Richtung entwickelt. Ich habe erst kürzlich einen alten Artikel gelesen, da haben sie schon vor 40, 50 Jahren gesagt: So geht die Bundesliga kaputt – weil einer damals 50 000 D-Mark gekostet hat. Heute sind die Summen eben um ein Vielfaches höher.

Zu hoch?

Ja, ich denke, es ist oft zu hoch. Aber wenn die Vereine am Ende des Tages nichts verdienen würden, können sie es ja nicht machen. Das ist ja meistens kein fiktives Geld, das ist ja tatsächlich vorhanden und unterwegs – zumindest in den Top-Ligen in Europa. Letztendlich machen aber die Vereine und der Markt die Preise. Da kann ich zwar sagen, es ist mir alles viel zu hoch – aber wenn ich in dem Markt arbeiten will, muss ich mich dem einfach stellen und damit auseinander setzen.

Der Spieler und alle am Geschäft Beteiligten bekommen aber auch ein großes Stück von diesen hohen Summen. Besteht da nicht auch die Gefahr, dass der Bezug zum realen Leben verloren geht?

Hmm… auch schwierige Frage! Man muss schon schauen, dass man das alles immer wieder richtig einsortiert und den Bezug nicht verliert, das stimmt schon! Es sind schon unglaubliche Summen, die dort bewegt werden. Es gibt ja aber viele Sportarten, in denen viel Geld unterwegs ist, und es gibt viele Sportarten, wo viel zu wenig Geld unterwegs ist und sportliche Leistungen auch grandios sind; das ist oft nicht zu erklären. Wenn eben ein wirtschaflicher Markt da ist, dann ist er halt da. Ein Formel 1-Fahrer verdient viel Geld, ein Golfer verdient viel Geld, Basketballer in den USA in der Spitze, ein Top-Tennisspieler …

Kann das aber auch eine Blase sein, die irgendwann platzt wie bei der „New Economy“ vor 16 Jahren?

Nein, das glaube ich zumindest im Fußball in Deutschland kurzfristig nicht. Weil die Lizenzierungsauflagen bei einem Verein dafür sorgen, dass das Geld auch faktisch da sein muss. Sonst gibt es ja keine Lizenz. Insgesamt befürchte ich aber schon, dass der Markt überhitzt und sich vielleicht selbst in eine andere Richtung wieder etwas beruhigt.

Spüren Sie in Ihrem Umfeld Neid, weil Sie in diesem Millionengeschäft arbeiten und mitverdienen?

Ja, das spüre ich das ein oder andere mal schon, meistens aber vor allem bei Fremden, die mich kaum kennen. Aber bis jetzt ist es trotzdem eigentlich ganz okay. Wichtig ist es mir schon immer gewesen, wie meine Freunde mit mir umgehen und mich wahrnehmen. Da spüre ich schon deutlich, dass sie sich mitfreuen, dass ich es geschafft habe, in diesem harten Business erfolgreich zu sein. Die mich gut kennen, wissen ja auch, dass ich nichts geschenkt bekommen und viel dafür investiert und viele Jahre hart dafür gearbeitet habe – und es immer noch tue. Da spüre ich überhaupt keinen Neid.

Max Besuschkow im Kader des VfB Stuttgart

Ingo Haspel berät auch den Rottenburger U19-Nationalspieler Max Besuschkow, der bei der jüngsten U19-Europameisterschaft mit der deutschen Nationalmannschaft Fünfter wurde. „Ich finde, Max hat dort sehr ordentliche Spiele gemacht“, sagt Haspel. Der 19-jährige Besuschkow ist diese Saison in den Profikader des Zweitligisten VfB Stuttgart aufgerückt. „Da gilt es für ihn, sich zu behaupten, an die Tür zu klopfen – und wenn es geht, auch zu spielen“, sagt Haspel, „ich traue ihm das zu.“

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Erstellt:
06.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 00sec
zuletzt aktualisiert: 06.08.2016, 01:00 Uhr

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