Video-Überwachung: Der große Bluff ist vorüber

In der Ammertalbahn gab es Hinweisschilder auf die Kameras, doch es tat sich nichts.

Nun laufen die Kameras in einigen Wagen auch wirklich. Aber nicht mehr lange. Sie kommen nach Ulm.

31.12.2016

Von Manfred Hantke

Ein Zug der Ammertalbahn kommt aus dem Tunnel vom Westbahnhof her und fährt Richtung Hauptbahnhof auf den Bahnübergang am Fuß- und Radweg hinter dem Wildermuth-Gymnasium in Tübingen. Bild: Schweizer

Ein Zug der Ammertalbahn kommt aus dem Tunnel vom Westbahnhof her und fährt Richtung Hauptbahnhof auf den Bahnübergang am Fuß- und Radweg hinter dem Wildermuth-Gymnasium in Tübingen. Bild: Schweizer

Nach dem Anschlag in Berlin diskutieren Politiker wieder über verstärkte Video-Überwachung im öffentlichen Raum. Zur Argumentation ziehen sie die Videos heran, durch die jene jungen Männer ermittelt wurden, die einen Obdachlosen – ebenfalls in Berlin – angezündet hatten. Eine Video-Kamera filmte auch die brutale Attacke auf eine junge Frau in der Münchener U-Bahn: drei junge Leute wurden festgenommen.

In der Ammertalbahn notierte die Polizei in den vergangenen Monaten zwei Straftaten, die öffentlich wurden: im Mai bedrängte und beraubte eine größere Gruppe einen 21-Jährigen, und im Juni belästigte ein Mann einen Elfjährigen während der Zugfahrt.

Der Vater eines der Opfer (Name ist der Redaktion bekannt) wandte sich an die Bahn. Es gebe doch Aufkleber in der Ammertalbahn, die auf die Video-Überwachung hinweisen. Da müsse es doch Aufnahmen geben, die zur Aufklärung beitragen können. Denkste. Hinweisschilder, so genannte Piktogramme, gebe es schon, erhielt er von der RAB zur Antwort. Und die Video-Kameras seien auch in einigen Dieseltriebwagen installiert, die derzeit auch auf der Ammertalbahnlinie eingesetzt würden, aber: sie laufen nicht. Gründe seien „rechtliche und vertragliche Rahmenbedingungen“.

Alles nur ein Bluff? Da weisen die Piktogramme monatelang auf die Video-Überwachung in RAB-Fahrzeugen auf der Ammertalbahnlinie hin, doch die Kameras laufen gar nicht?

Wagen werden „umbeheimatet“

Aufklärung leistet Alexander Bleher von der RAB. „Rechtliche Rahmenbedingungen“ betreffen den Datenschutz, „vertragliche“ die Vereinbarungen mit dem „Aufgabenträger“, das ist der Zweckverband Ammertalbahn. Im Kreis Tübingen seien 40 Fahrzeuge der DB unterwegs, die auch ins Ammertal fahren, so Bleher. Davon seien zwölf mit Video-Überwachung ausgerüstet, bei einem Wagen gebe es derzeit technische Probleme.

Die Kameras würden laufen, so Bleher. Wo also ein Piktogramm auf die Video-Überwachung hinweist, funktioniert auch die Kamera. Das gilt allerdings erst seit Anfang Oktober. Da erhielt er die Nachricht aus der Werkstatt, dass die Anlagen in Betrieb gehen. Vor dem 6. Oktober waren Piktogramme und Kameras zwar da, aber die Kameras nahmen nichts auf. Jetzt speichern sie im Endlosformat alles, was sich in den Wagen tut – 48 Stunden lang, dann wird überschrieben.

Doch die Freude bei den Freunden der Video-Überwachung wird gleich wieder getrübt. Ob auch die restlichen 28 Wagen der 40-Wagen-Flotte im Kreis Tübingen auf Video-Überwachung umgerüstet werden, wusste Bleher nicht. Und auch die bereits zwölf umgebauten Fahrzeuge bleiben nicht auf Dauer im Kreis, sie gehen im kommenden Jahr nach Ulm, wie Dieter Braun, Geschäftsführer vom Zweckverband Ammertalbahn erfahren hat. Im Dezember 2017 soll das „Aulendorfer Kreuz“ in Betrieb gehen. Die Dieseltriebwagen werden also „umbeheimatet“, wie der Fachjargon lautet. Die RAB habe dort die Ausschreibung gewonnen.

Das bestätigt auch ein Bahnsprecher aus Stuttgart. Die Wagen, so genannte 650er VTS, seien für das „Aulendorfer Kreuz“ gedacht. Vom Zweckverband Ammertalbahn sei der Wunsch nach Video-Überwachung noch nicht an die DB herangetragen worden, im Vertrag stehe bislang auch keine Video-Überwachung drin.

Kein Kriminalitätsschwerpunkt

Ob auch in der Ammertalbahn per Vertrag die Kameras laufen sollen, davon ist Dieter Braun vom Zweckverband „nicht ganz überzeugt“. Die Ammertalbahn sei „kein Kriminalitätsschwerpunkt“, gibt er zu bedenken. Datenschutzbelange müssten berücksichtigt werden, denn so eine Kamera greife auch in die Rechte der Fahrgäste ein. Braun will „gut darüber nachdenken“.

Bei der Hohenzollerschen Landesbahn (HzL) hingegen laufen die Kameras seit den 1990er Jahren – mit alter Technik, also mit Bändern, sagt René Dera, dort zuständig für den Vertrieb Eisenbahn: „Sie funktionieren auch tadellos.“ Derzeit hat die HzL sechs Wagen an die RAB vermietet, die auch auf der Ammertalbahnlinie eingesetzt würden. Nur Berechtigte dürfen die Kameras öffnen. 24 Stunden lang zeichnen sie auf, dann werde alles wieder überschrieben. Würden die Videos benötigt, müsste „relativ zügig ausgelesen werden“.

„Regelmäßig“, so Dera, würden Videos gebraucht, etwa, wenn die Polizei fahndet oder nachfragt. In einem Fall sei einem Fahrgast die Tasche gestohlen worden. Das Videomaterial wurde vorsorglich gesichert, aber nicht angeschaut. Dera: „Erst, wenn die Polizei kommt.“ Auch als kürzlich ein Zugbegleiter angegriffen wurde, sei das Video-Material hilfreich gewesen. Dera jedenfalls ist sich sicher, dass funktionierende Video-Kameras nicht nur zur Aufklärung von Straftaten beitragen, sondern auch die subjektive Sicherheit der Fahrgäste und Mitarbeiter erhöhen.

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Erstellt:
31.12.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 31.12.2016, 01:00 Uhr

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