Notunterkunft statt Ersti-Bude

In Tübingen ist Wohnungsnot zu Semesterbeginn fast schon zur Normalität geworden

Bald fängt für viele das Studium an. Die Zahl der Erst- und Neueingeschriebenen zu Beginn dieses Wintersemesters ist ähnlich hoch wie in den Jahren zuvor: Um die 5000 neue Studierende wird die Uni Tübingen begrüßen. Sie alle brauchen ein Dach über dem Kopf – aber nur wenige bekommen einen der 689 begehrten freien Wohnheimplätze.

12.10.2017

Von Michael Schlegel und Ines Kunze

Wer nichts findet, darf hier schlafen: So sehen die Notunterkünfte des Studierendenwerks aus. Archivbild: Metz

Wer nichts findet, darf hier schlafen: So sehen die Notunterkünfte des Studierendenwerks aus. Archivbild: Metz

Bei 704 Personen auf der Warteliste spricht Nicole Lang vom Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim von einer Entspannung der Lage. Vorsichtshalber werden aber auch dieses Jahr wieder Notunterkünfte im Studentendorf WHO eingerichtet.

Wenn die Bewerbung beim Studierendenwerk erfolglos ist, bleibt noch die Suche auf dem privaten Wohnungsmarkt, doch die Zimmer sind begehrt und WG-Castings verlaufen selten nach Wunsch. So auch bei der 19-jährigen Vivienne. Sie wird in wenigen Tagen ihr Musikwissenschafts- und Anglistikstudium anfangen, sucht seit Wochen nach einem WG-Platz. Bis es klappt, schlägt sie sich mit Couchsurfing und Übernachtungen bei Verwandten durch. Auch der zukünftige International Economics-Student Malte aus dem Ruhrgebiet muss improvisieren. Er wohnt während der Orientierungswoche in der Jugendherberge und hofft, bald eine feste Bleibe zu finden.

Beide haben zahlreiche Bewerbungen an WGs mit freien Zimmern geschrieben, meistens kommt aber nicht einmal eine Antwort, weil die Nachfrage so groß ist.

Wer bei Internetportalen wie wg-gesucht.de nicht fündig wird, wendet sich meist an eine private Zimmervermittlung. Dort allerdings ist das Angebot beschränkt. Grund: Seit 2015 müssen Vermieter für die Maklerkosten aufkommen. Vereine wie die Mitwohnzentrale Tübingen bekommen deshalb nicht sehr viele Angebote.

Bei der Stadtverwaltung verweist man darauf, dass man bereits mit verschiedenen Mitteln versucht, der Wohnungsnot entgegenzuwirken. So wurden zwischen 2011 und 2015 über 1400 Wohnungen neu errichtet.

Auch zukünftig wird weitergebaut: Die neuen Wohnungen beim alten Güterbahnhof sollen 2018 bezugsfertig sein und für Entlastung sorgen. Weiterhin soll das sogenannte Zweckentfremdungsverbot bewirken, dass weniger Wohnungen und Häuser in der Stadt leer stehen.

Oft wird empfohlen, weiter außerhalb zu suchen oder nach Tübingen zu pendeln. Doch das ist für viele keine Option. „Ich möchte es mir nicht unbedingt antun, jeden Morgen um 5.30 Uhr aufstehen zu müssen, die Verbindung ist leider nicht besonders gut“, sagt die 19-jährige Stuttgarterin Nina U. „Außerdem würde ich gerne am Studentenleben teilnehmen, was wahrscheinlich nur beschränkt möglich wäre, wenn ich jeden Abend und jedes Wochenende wieder zurück nach Stuttgart fahren müsste.“ Beim Studierendenwerk rechnete sie sich aufgrund der geringen Entfernung ihres derzeitigen Wohnortes keine Chance auf einen Wohnheimplatz aus. Sie immerhin hatte Glück und ist inzwischen fündig geworden. Nach anfänglichem Pendeln kann sie jetzt ein privates WG-Zimmer beziehen.

Vivienne hofft derweil auf einen Platz in einem integrativen Wohnprojekt der Bruderhaus-Diakonie, wo Studenten mit leicht Behinderten den WG-Alltag meistern.

Die Hoffnung auf einen neuen Start im integrativen Wohnprojekt hat auch die 25-jährige Steff, die endlich von zu Hause weg will. Ein klassisches Wohnheimzimmer kommt für sie nicht in Frage, weil ihr Hund unbedingt mitkommen soll. Mindestens 100 WGs und 1-Zimmer-Wohnungen hat sie nach eigenen Angaben angeschrieben, bisher erfolglos. Wenn sich nichts findet, werde sie weiter suchen und bis dahin pendeln – so wie viele ihrer Kommilitonen auch.

Begehrte Wohnheimplätze

Aktuell sind rund 27000 Studierende an der Universität Tübingen eingeschrieben, für manche Studiengänge ist die Immatrikulationsfrist noch nicht abgelaufen. Das Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim verfügt über 5742 Bettplätze, wovon sich 3654 in Tübingen befinden. Bei weitem nicht jeder Erst- und Neuimmatrikulierte bekommt einen der begehrten Wohnheimplätze. Auf die ungefähr 5000 ,,Erstis“ dieses Wintersemesters werden nur 689 Wohnheimplätze neu vergeben. 704 Studierende hoffen noch, über die Warteliste einen Platz zu ergattern. Auch andere Träger betreiben Wohnheime. Eine Übersicht über diese findet sich unter www.my-stuwe.de/wohnen/wohnheime-anderer-traeger/.

Alternativ inserieren private Anbieter auf www.wg-gesucht.de/ oder im TAGBLATT.

Zum Artikel

Erstellt:
12.10.2017, 21:15 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 44sec
zuletzt aktualisiert: 12.10.2017, 21:15 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.
TÜWest 13.10.201709:03 Uhr

Es ist jedes Jahr das selbe Drama: Völlig überraschend kommen neue Studenten in die Stadt und jedes Jahr stehen wieder viele von ihnen auf der Straße. Als vor einiger Zeit die Flüchlings- und Asylantenflut überraschend auch Tübingen erreichte, konnte man ruckzuck Containeranlagen aus dem Boden stampfen (z.B. am Westbahnhof oder auf Waldhäuser) oder ganze Wohnblöcke (z.B. im Hagellocher Weg) in Windeseile renovieren und bezugsfertig machen. Der Verweis auf neue Wohnungen am Güterbahnhof oder das Zweckentfremdungsverbot ist ja wohl ein schlechter Witz der Sadtverwaltung. Glaubt man ernsthaft, das würde zur Entspannung beitragen? Studenten müssten uns mindestens genauso wichtig sein, wie Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge! Containerprojekte und renovierte Wohnblöcke sind sicher nicht die Ideallösung für Studenten, aber immer noch besser als stundenlanges Pendeln, Jugendherberge oder Kellerlöcher bei Bekannten, Verwandten und Miethaien.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!