Ulrich Wickert

„Ich wünsche eine geruhsame Nacht“

Der legendäre Tagesthemen-Abschiedsgruß des ehemaligen Moderators durfte nicht fehlen nach seinem Tübinger Auftritt bei „Schoog im Dialog“.

22.10.2016

Von Wolfgang Albers

„Ich wünsche eine geruhsame Nacht“

Natürlich, dieser Abschiedsgruß musste sein: „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend und eine geruhsame Nacht.“ Ein Satz mit Ewigkeitswert, ein Stück Fernsehgeschichte – und eigentlich schon eine Weile her: Am 31. August 2006 sagte ihn Ulrich Wickert zum letzten Mal am Schluss der ARD-Tagesthemen.

Der einstige Star-Journalist ist am Donnerstag Morgen von Hamburg, seinem Wohnort, Richtung Tübingen geflogen – und da raunte ihm in der Flughafen-Warteschlange eine Frau zu: „Ich vermisse ihre geruhsame Nacht.“

Klar also, dass dieser Satz auch Thema war am Donnerstag Abend, als Wickert Gast bei „Schoog im Dialog“ im restlos vollen Sparkassen-Carré war. So einfach mal dahingesagt war er nicht, wie das Publikum erfuhr. Als er bei den Tagesthemen anfing, füllte die ARD die Nacht dahinter mit immer mehr Sendungen. Darauf erhielt Wickert einen Brief eines Zuschauers: Schade, jetzt werde am Ende der Tagesthemen keine gute Nacht mehr gewünscht. Die Leute sollten ja nicht vom Fernseher weg verabschiedet werden.

Wenn das einer schreibt, empfinden das wahrscheinlich noch viele mehr, dachte sich Wickert: „Aber einfach wieder ‚Gute Nacht‘ sagen, und danach kommt Beckmann – nein, das geht gar nicht.“ Aber was passt dann? Ulrich Wickert wälzte Wörterbücher, bis er auf „geruhsam“ stieß: „Ein Wort aus der Postkutschenzeit, aber
es steckt darin, dass man Ruhe findet – und das kann man ja wünschen nach einer manchmal aufwühlenden Sendung.“

Diese akribische Suche nach dem passenden Wort ist charakteristisch für Ulrich Wickert, der zwar einer der „Anchormen“ der ARD war, aber treffend auch mit einem französischen Wort bezeichnet werden kann: als homme de lettres. Er stammt aus einem Diplomatenhaus, im Lesen und Schreiben war schon der Vater Vorbild. Und ein Büchermensch ist Ulrich Wickert nicht nur, weil er 22 Bücher veröffentlicht hat.

Sondern weil Bücher für ihn zur Grundausstattung gehören – weshalb er sogar Umzügen, eigentlich ein arbeitsintensiver Horror, Gutes abgewinnen kann: „Das Schöne daran ist, dass Sie alle Ihre Bücher wieder in die Hand nehmen müssen.“

Manche Leute nutzen das zum Wurf auf den Altpapierstapel. Wickert aber staunt, was da alles wieder zutage kommt, vergisst die ganze Packerei und vertieft sich auf der Stelle – in dem Fall in ein mit vielen Anmerkungen markiertes Buch von Emile Durkheim. Ein Klassiker der Soziologie. Also: Ulrich Wickert ist belesen, und selbst wenn er Kriminalromane schreibt, orientiert er sich an den Übervätern des Genres wie Raymond Chandler, Eric Ambler oder Georges Simenon.

Wickert kennt sich aber auch mit dem Käsegang der Menüs im Elysee-Palast aus, hält Präsident Hollande für einen Langweiler, hat sich im Flugzeug gleich eine französische Zeitung geschnappt und frühstückt gerne im Café de Flore. Denn Frankreich und dem savoir vivre gilt seine Liebe, da geriet Wickert ins Schwärmen.

Wesentlich zugeknöpfter gab er sich bei einem anderem Liebes-Thema. Immerhin bildet Ulrich Wickert mit der Gruner-und-Jahr-Chefin Julia Jäkel ein Glamour-Paar der Publizistik, aber als Bernadette Schoog da vorsichtig einsteigt, lässt Wickert sie knallhart auflaufen: „Über die Familie spreche ich nicht. Das ist mein Privatleben.“ Oder höchstens, wenn es vergangen-unverfänglich ist wie der Beginn seiner Karriere.

Diplomat wie der Vater wollte er einst werden: „Der ging um neun Uhr ins Büro, kam bald zum Mittagsschlaf und ging abends in die besten Restaurants.“ Jura hat Ulrich Wickert deshalb studiert, aber dann wurde ihm klar: „Beamter will ich nicht werden.“ Seinem Examen fügte er an: „Hiermit werde ich meine juristische Karriere beenden.“ Das waren die 68er Jahre, sagt er: „Damals schrieb man so.“

Immerhin hat er nur deshalb bestanden, glaubt er: „Das Examen war eigentlich zu schlecht, aber dann haben die gesagt: Egal, den sehen wir ja nie wieder.“ Das stimmte, es gab bessere Möglichkeiten: „Wir waren eine Generation ohne Angst. Es gab keinen Numerus Clausus, die Abi-Noten waren egal, es gab Jobs genug.“ Da konnte sich Bernadette Schoog einen Kommentar nicht verkneifen: „Wenn das die heutigen Studenten hören, können sie nur noch weinen.“

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Erstellt:
22.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 22.10.2016, 01:00 Uhr

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