Trend

Hindernisse als Herausforderung

Erst die Basics, dann die Moves: Beim SV Nehren können Jugendliche die Sportart Parkour trainieren.

06.12.2016

Von Amancay Kappeller

„Parkour ist nur so gefährlich, wie man es sich macht“: Leon Spannagel (links) und Christopher Pinto. Bild: Rippmann

„Parkour ist nur so gefährlich, wie man es sich macht“: Leon Spannagel (links) und Christopher Pinto. Bild: Rippmann

Leon Spannagel steht in der Turnhalle der Nehrener Kirschenfeldschule auf einer in etwa zwei Metern Höhe befestigten Reckstange. Er konzentriert sich, dann springt der 16-Jährige los: vom Reck auf einen großen Kasten, von dort weiter auf den Bock, es folgt ein kleiner Kasten – und dann der Boden. Alles ohne Zwischenhüpfer und mit einer Leichtigkeit, die von jahrelanger Übung zeugt. Seit vier Jahren trainiert Spannagel die Trendsportart Parkour.

In Nehren assistiert er dem Wannweiler Christopher Pinto. Der 19-Jährige leitet das beim SV Nehren angesiedelte Parkour-Angebot seit April. Selber übt Pinto die noch relativ junge Sportart seit bald vier Jahren aus. Mit seinem besten Kumpel hat er damals an einem Parkour-Camp in der Schweiz teilgenommen. Und dabei nicht nur den Sport, sondern auch die Philosophie und den Lifestyle, der dahinter steckt, schätzen gelernt. Was Pinto gefällt, das ist die Freiheit, die jeder hat, der Parkour macht. „Man braucht nichts dafür und es gibt keinen zwanghaften Antrieb.“

„Parkour ist nur so gefährlich, wie man es sich macht“: So lautet ein wesentlicher Parkour-Grundsatz. Die eigenen Fähigkeiten sollte man stets im Blick haben. Immer wieder Grenzen zu überwinden, das gehört laut Pinto natürlich dazu. „Aber es bleibt jedem selbst überlassen, wie er die Sportart ausübt.“ Wer Parkour macht, der profitiert auch entscheidend von mentalem Training. „Parkour geht mehr auf den Kopf als auf den Körper“, weiß der 19-Jährige, der dieses Jahr in Reutlingen sein Abi gemacht hat. Nächstes Jahr möchte Pinto erst einmal reisen, anschließend studieren. „Durch Parkour kenne ich Leute aus aller Welt.“

Tom Schneider kam über seinen Cousin Simon Stauss zum Parkour. „Mir macht alles Spaß, das ist richtig cool“, findet Tom, der die in der Halle aufgebauten Hindernisse gekonnt überwindet. Julian Greb (13) und Robin Lutz (14), auch beide aus Nehren, feilen nebenan an ihrer Technik für das Überspringen eines großen Kastens. In Nehren wird aus versicherungstechnischen Gründen in der Halle trainiert – eigentlich aber ist Parkour als Fortbewegungsart im urbanen oder natürlichen Raum angesiedelt. Das heißt konkret: Hindernisse wie Mauern, Wände, Stufen, Geländer, Stangen oder Randsteine werden nicht umgangen, sondern auf möglichst direktem Weg effizient überwunden. Athletik ist dabei gefragt. Beweglichkeit, Gleichgewicht, Kraft, Ausdauer und Präzision: Das alles sind Fähigkeiten, die für Taceure unerlässlich sind – so nennt man Sportler, die Parkour praktizieren. Geeignete Örtlichkeiten zu finden, das ist laut Christopher Pinto aber gar nicht so einfach. Öffentliche Plätze eignen sich nicht immer. Ideal sind Mauern auf verschiedenen Ebenen, viele Kanten, eventuell noch Stangen, Baustellengerüste, zählt der 19-Jährige auf. Mit Freunden ist er meist in Reutlingen oder Tübingen unterwegs. In Dörfern, da gibt es nicht so viel, weiß Pinto.

Leon Ambacher, 12, gefällt am Parkour, „dass man sich seinen Weg aussuchen kann“. Gemeinsam mit dem Gomaringer Basti Fischer, 13, springt Leon von einem hohen Kasten auf einen am Hallenrand stehenden Schwebebalken.

Das Parkour-Angebot in Nehren lief am Anfang über „Blackout Germany“, eine Reutlinger Parkour- und Freerunning-Agentur. Später übernahm der SV Nehren den Kurs. Einen festen Aufbau gibt es nicht. Oberstes Ziel ist es, die Teenager „auf draußen“ vorzubereiten, erklärt Pinto. Denn da spielt schließlich das wahre Parkour-Leben. Erst einmal bekommen die Jugendlichen Basics beigebracht: Wie trainiert man sicher? Was ist wichtig beim Abspringen und Landen? Wenn das sitzt, können Übungen auch variiert und neue „Moves“, also Bewegungen, eingebaut werden – etwa Flips, also Salti. Umknicken gehört zu den häufigsten Verletzungen beim Parkour. Aufwärmen ist deshalb ein Muss.

Anfänger und Fortgeschrittene trainieren in Nehren zusammen. Noch ist Parkour als Sportart eher männlich geprägt, auch wenn Mädchen und Frauen „im Kommen“ sind, erzählt Pinto. „Wenn man gesund trainiert, dann kann man es bis zum Rentenalter machen“, sagt der 19-Jährige. Parkour-Fans, die Umsicht walten lassen, bleibt also jede Menge Zeit, Bewegungsabläufe zu perfektionieren.

Parkour und Freerunning

Am Anfang wurden die beiden Sportarten Parkour und Freerunning stark unterschieden, erklärt Christopher Pinto: Direkt und effizient von A nach B zu kommen, das war zu Beginn oberstes Parkour-Gebot. Als Begründer der Sportart gilt der Franzose David Belle. Dessen Vater Raymond, in Vietnam geboren, trainierte schon als Teenager effiziente Fluchttechniken mit Kameraden, um seine Überlebenschancen im Krieg zu steigern. Ende der 1980er Jahre übertrug der Sohn die Methode auf die urbane Stahl- und Beton-Landschaft eines Pariser Vororts. Alles, was dem Läufer im Weg ist, wird mit eingeübten Sprüngen, Rollen oder Drehungen überwunden. Salti oder kunstvoll-kreative Bewegungen gehörten ursprünglich nicht zum Parkour - sondern zum Freerunning. „Aber mittlerweile macht eigentlich jeder, der Parkour macht, auch Freerunning“, sagt Pinto.

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Erstellt:
06.12.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 37sec
zuletzt aktualisiert: 06.12.2016, 01:00 Uhr

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