Erst mit der Transsib nach Peking, dann mit der DB nach Reutlingen

Hier herrschen die Frauen – und tropische Temperaturen

Seit Donnerstag arbeite ich in der Reutlinger TAGBLATT-Redaktion und bin jetzt also auch in der Heimat zur Zugfahrerin geworden. Wobei die tägliche 15-Minuten-Fahrt von Tübingen ein deutlich kleines Abenteuer ist, als meine letzte…

21.11.2017

Von Kathrin Kammerer

Warten am Omsker Bahnhof. Bild: Kammerer

Warten am Omsker Bahnhof. Bild: Kammerer

Denn die ging von Moskau nach Peking – die transmongolische Strecke, eine Zugreise durch drei Länder und sechs Zeitzonen. 14 Tage war ich unterwegs, sechs davon im Zug. Für die einen mag das wie eins der letzten großen Abenteuer klingen, das man unbedingt erleben muss. Für die anderen schlichtweg nach einer Schnapsidee.

Während wir Deutschen ja meist böse über unsere Bahn(-Gesellschaft) und die regelmäßigen Verspätungen und Zugausfälle schimpfen, sind die Russen ihrer Eisenbahn wohlgesonnt. Denn sie ermöglicht es auch den einfachen Leuten, billig durch dieses unglaublich große Land zu reisen. Außerdem hängen tausende Arbeitsplätze an den Schienen: von den Zugführern und dem Bahnhofspersonal über die Techniker und die Schaffnerinnen bis zu den unzähligen Babuschkas, die an den Bahnsteigen russischen Spezialitäten an die Reisenden verkaufen.

7882 Kilometer misst die transmongolische Strecke zwischen Moskau und Peking. 9288 Kilometer liegen zwischen Moskau und Wladiwostok, also der klassischen transsibirischen Strecke. In reine Fahrzeit umgerechnet sind das 145 bis 175 Stunden. Und trotzdem gibt es keine Verspätungen. Was zum Großteil am strengen Regiment der russischen Schaffnerinnen liegt: Denn in den Transsib-Zügen herrschen fast ausnahmslos Frauen.

Viele dieser Züge sind einen ganzen Kilometer lang. Wer seinen Waggon gefunden hat, muss zunächst die zuständige Schaffnerin passieren. Kritisch werden Zugticket und Ausweis geprüft, bei Ausländern wird noch eine Spur schärfer das Visum unter die Lupe genommen. Schwarzfahren? Keine Chance. Das Ticket einer anderen Person verwenden? Ich würde es keinem raten.

In die Waggons der dritten Klasse, mit denen ich fahre, passen 54 Menschen. Es gibt keine Türen, man liegt förmlich Pritsche an Pritsche. Die Schaffnerin verteilt frische Bettbezüge und erzählt meinen Mitreisenden irgendwas über Deutschland. Glaube ich zumindest, denn die schauen mich verdutzt an und scheinen sich zu fragen, warum man sich freiwillig tagelang in diesen Zug setzt.

Privatsphäre? Ist hier unmöglich. Aber eigentlich auch egal, wie ich schnell merke. Denn die Russen – und ich reise in diesen Waggons ausnahmslos mit Einheimischen – sind das Zugfahren gewohnt. An ihren 53 Mitreisenden scheinen sie sich nicht zu stören: So ziehen sie sofort ihre Schuhe aus, zaubern Geschirr und Unmengen an Brot, Frikadellen und Tütensuppen aus ihren Taschen. Manche schauen Filme, andere trinken Wodka und Bier, wieder andere schlafen und schnarchen rekordverdächtig.

In der Eisenbahn scheint die Zeit still zu stehen. Man verpasst ja auch nichts, außer dem ständigen Kommen und Gehen der Mitreisenden. Die Einzige, die ohne Pause arbeitet, ist die Schaffnerin: Sie fegt, putzt Boden und Fenster, sammelt Müll ein, heizt den Heißwasser-Boiler, den Samowar.

Und sie behält den Überblick über alle Passagiere im Waggon. Wer bei einem der Zwischenstopps aussteigt und nicht pünktlich wieder an Bord kommt, wird gerügt. Und wer eine Stunde vor seinem Zielort noch schläft, der wird unsanft geweckt. So pünktlich wie die Bahn abfährt, so sicher kann man auch sein, dass man den Ausstieg nicht verpasst.

Ja, die Eisenbahn in Russland ist eine Welt für sich. Spätestens bei der ersten Verspätung auf meinem neuen Arbeitsweg werde ich mir wahrscheinlich sehnsüchtig das strenge Regiment der russischen Schaffnerinnen zurück wünschen.

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Erstellt:
21.11.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 37sec
zuletzt aktualisiert: 21.11.2017, 01:00 Uhr

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