Die E-Sport-Szene wächst: Schalke 04 baut seine Gaming-Abteilung aus

Helden an der Maus

Killerspiele, Suchtpotenzial, Zeitverschwendung: Computerspiele haben keinen guten Ruf. Doch bei jungen Leuten ist E-Sport der ultimative Trend.

28.09.2016

Von LORENZO ZIMMER

An der LCS, der Vorrunde zur Weltmeisterschaft in „League of Legends“, nahmen 2016 auch die Königsblauen teil. Foto: Schalke 04

An der LCS, der Vorrunde zur Weltmeisterschaft in „League of Legends“, nahmen 2016 auch die Königsblauen teil. Foto: Schalke 04

Gelsenkirchen. Tim Schwartmann hat geschafft, wovon viele Jugendliche träumen. Der 18-jährige Westfale kommt aus der Nähe von Gelsenkirchen, und er liebt den Fußball. In der C-Jugend kickte er als Innenverteidiger in der westfälischen Leistungsklasse. Doch seit er sechs Jahre alt ist, frönt er mit tausenden Gleichaltrigen einer virtuellen Passion: Schwartmann zockt „Fifa“. Und das so gut, dass er jetzt bei Schalke 04 unter Vertrag steht. Als Pro-Gamer.

Die übergeordnete Disziplin heißt E-Sport und ist ein wachsender Markt. Die Vielfalt ist groß, die als Killerspiele in Verruf geratenen First-Person-Shooter (FPS) wie „Counter-Strike“ sind nur ein kleiner Teil der Spielewelt. Während andere Zocker Elfen und Zwerge in den virtuellen Krieg schicken oder in Tourenwagen durch die enge Innenstadt von Monaco jagen, lässt Schwartmann die Helden des Fußballs per Knopfdruck über den Ball steigen oder hämmert die Pille gezielt per Joystick ins Pixel-Lattenkreuz.

Sechs bis acht Stunden trainiert er dafür täglich. Seine Erfahrungen als Fußballer helfen ihm auch bei Fifa: „Du musst schon wissen, wie der Fußball funktioniert“, sagt Schwartmann. Seine ganze Jugend widmete er dem Ballsport – auf dem Platz und am Bildschirm. Ein Freund riet ihm schließlich, sich mal bei der Electronic Sports League (ESL) anzumelden. Die größte europäische Liga für Videospiele bietet Wettbewerbe in über 50 Disziplinen verschiedener Genres an. Schwartmann war erfolgreich, strich Preisgelder ein. In welcher Gesamthöhe, will er nicht verraten: „Darüber spreche ich nicht.“

Dann kam der diesjährige Knappen-Cup von Schalke. Schwartmann, in der Szene bekannt als Tim Latka, gewann ihn und damit eine Verpflichtung im E-Sport-Team der Königsblauen. Anfang September wurde er offiziell vorgestellt. Ein Traum wurde für ihn wahr: „Ich bin seit ich denken kann Schalke-Fan.“ Es folgte ein richtiger Profi-Alltag. Jeden Tag trainiert er sechs bis acht Stunden, misst sich mit seinen beiden Teamkollegen, geht mit seinem Manager Taktiken durch, bespricht Videoanalysen. Das Wichtigste ist für Schwartmann immer die Konzentration: „Man muss einen Ausgleich finden, genügend schlafen, sich gesund ernähren.“ Ganz wie bei einem richtigen Athleten also. Studieren will Schwartmann trotzdem, das Abitur hat er in der Tasche: „Morgens Uni, abends zocken. Das geht schon.“

Das große Geld steckt beim E-Sport jedoch in den Spielen, für die sich der asiatische Markt begeistert. Das sind vor allem Teamspiele wie Mobas – also „Multiplayer Online Battle Arena“. Hier steht im Gegensatz zur Einzeldisziplin Fifa das Team im Vordergrund. Zu fünft tritt man in Spielen wie „Dota2“ oder „League of Legends“ gegen ein gegnerisches Team gleicher Stärke an. Auf einem virtuellen Schlachtfeld bekriegt man sich mit Zaubersprüchen, magischen Geschossen, Pfeil und Bogen. Es geht um Handlungsschnelligkeit, Strategie, Teamwork, Präzision. Tim Reichert, Leiter der Abteilung E-Sport bei Schalke 04: „Diese Teamdisziplinen lösen eine unglaubliche Begeisterung in der jungen Generation aus.“ Damit bezieht er sich auf jüngste Zuschauerzahlen, etwa beim Counterstrike-Finale des Events ESL One: Das Finale zwischen Team EnVyUs und fnatic verfolgten rund 1,4 Millionen Zuschauer per Videostream. Und Riot Games, Hersteller des sehr beliebten „League of Legends“, belächelt solche Zahlen: Nach Angaben des Spieleherstellers verfolgten weltweit rund 36 Millionen Zuschauer am eigenen PC, bei Public Viewings und auf Mobilgeräten das Weltmeisterschaftsfinale zwischen SKT und den Koo Tigers in der Berliner Mercedes-Benz-Arena.

Die digitale Spielewelt musste sich mit Streaming-Plattformen, Telefonie-Programmen und Webforen eigene Vertriebskanäle schaffen. Sie findet im etablierten TV-Alltag nicht statt. Dennoch steigen die Zuschauerzahlen: „Der Digitalisierung kann sich keiner verschließen“, so Reichert. Der 35-Jährige studierte Sport- und Eventmanager sieht den Markt wachsen: „Bei den 10- bis 30-Jährigen ist Gaming längst im Mainstream angekommen. Sobald diejenigen, die mit Gaming aufgewachsen sind, die Älteren sind, wird es noch viel normaler sein, sich für E-Sport zu interessieren“, prophezeit er.

Reichert stammt selbst aus einer Familie, die seit jeher oben in der deutschen Gaming-Szene mitmischt. Sein Bruder Benjamin war Profi-Fußballer in Oberhausen und unter den Namen „Kane“ einer der erfolgreichsten „Quake“-Spieler der Geschichte. Er hat in der Szene bis heute Legendenstatus. Der dritte Bruder Ralf ist Inhaber der E-Sports-Firma Turtle Entertainment und Gründer der Liga ESL.

Aus eigener Erfahrung rät Reichert Eltern von Zockern, sich nicht zu viele Sorgen zu machen: „Natürlich sollte man zu exzessiven Konsum einschränken.“ Doch Gamen bedeute schon lange keine soziale Isolation mehr: „Gaming ist sehr sozial und dynamisch geworden.“ Reichert sieht auch einen positiven Bildungseffekt: „Das Englisch der Jugendlichen wird auch durch das Gaming immer besser. Und das geht beiläufig und spielend leicht.“

Tim „Latka“ Schwartmann schießt Tore für Schalke 04: am Controller. Foto: Schalke 04

Tim „Latka“ Schwartmann schießt Tore für Schalke 04: am Controller. Foto: Schalke 04

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Erstellt:
28.09.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 20sec
zuletzt aktualisiert: 28.09.2016, 06:00 Uhr

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