Happy End

Happy End

Porträt einer upperclass-Familie, in der viel Sprachlosigkeit, aber wenig Wahrheit, Leben, Liebe und Glauben an sich selbst existiert.

13.10.2017

Von Peter Ertle

Michael Haneke ist einerseits ein Lieblingskind aller Filmjurys, andererseits wird ihm gelegentlich vorgeworfen, seine Filme seien kalt, er sei ein Moralisierer und liebe seine Figuren nicht. Das ist ein bisschen so, als werfe man einem Komödienschreiber vor, sein Blick auf die Welt sei komisch, einem Tragödienschreiber, sein Blick auf die Welt sei tragisch. Ja, Hanekes Ästhetik hat etwas Kaltes, Sezierendes, sein Blick etwas Erbarmungsloses. Die Frage ist aber doch, was er daraus macht. In seinem neuen Film fallen einem ein paar Figuren ein, denen er Sympathie, ja Liebe entgegenbringt. Aber halt nicht nur. Und warum sollte er denn? Wer von uns wäre rein liebenswert?

Es geht um die Bauunternehmerfamilie Laurent, den Patriarchen, der nicht mehr leben will, seine Tochter (Isabelle Huppert), die die Firma nun leitet, ihren Sohn, der dort mitarbeitet und einen Bauunfall verursacht, ihren Bruder, der in zweiter Ehe verheiratet ist und seine erotischen Träume in Sexchats mit einer Cellistin auslebt, seine zwölfjährige Tochter Eve aus erster Ehe, die gerade ihre depressive Mutter verloren hat (eine Überdosis Schlaftabletten, der Zuschauer hat Grund anzunehmen, dass Eve sie ihr untergemischt hat) und nun familiär aufgenommen wird.

Aber was sieht der Zuschauer auf der Folie dieses filmischen Dreigenerationenromans? Er sieht eine reiche, großbürgerliche Welt der Etikette, die zu Ende geht, die Flüchtlinge lugen an allen Ecken und Enden herein, der neurotische Sohn ist schon ausgestiegen, entwickelt nur beim ausgelassenen Karaoketanzen richtungslos utopisch aufgeladene Energie. Und das sind die „Gewaltszenen“: Ein Hamster kippt um. Ein Finger wird umgebogen. Und der Sohn kriegt eins in die Fresse – aber da ist die Kamera weit weg. Haneke light.

Über der Gnadenlosigkeit dieses Films liegt ein so kühles wie sanftes Lächeln, selbstbezüglich und ironisch, schon im Titel hörbar: „Happy End“. Der Film ist auch eine Zitatensammlung aus anderen Haneke-Filmen. Sogar der Professor, der seine Frau in „Liebe“ erstickt hat, feiert ein Revival im großartigen Jean-Louis Trintignant. Der, Georges, ist die ernsteste Figur und doch ist ihm auch die Komödie hinter der nächsten Tür eingeschrieben: Der komische Alte, der dauernd versucht, sich umzubringen, und stets scheitert.

Wer nach Empathie und Liebe sucht, sollte sich einfach die Szene anschauen, in der die kleine Eve und der alte Georges ein tête-à-tête haben. Doch Vorsicht! Haneke lockt gerne auf vermeintliche Eindeutigkeiten. Zum Beispiel in der Szene, in der die kleine Eve ihrem Vater in eigentümlich alterskluger Kinderweisheit auf den Kopf zu sagt, er liebe doch in Wahrheit niemand. Alles im Zuschauer schreit da zunächst: Ja! Recht hat sie!

Möglicherweise hat sie recht, aus einer Perspektive sogar sicher. Aber von den Kompliziertheiten des Gefühlslebens und dem nie zu trennenden Januskopf aus Fraglosigkeit und Fragwürdigkeit dessen, was man Liebe nennt – weiß sie eben auch zu wenig.

Ob sie Georges am Ende aus Empathie suizidale Hilfestellung leistet oder aus der gleichen kindlich verstörten, voyeuristischen Bindungslosigkeit, mit der sie vorher schon ihrem Hamster, ihrer Mutter und einer ungeliebten Schulfreundin zu Leibe rückte – und ob ein Racheengel an der bösen Erwachsenenwelt darin steckt oder vielleicht nur die in uns lieben Menschen eben auch wohnende Bosheit – Haneke tut viel dafür, dass wir uns da nicht sicher sind. Das ist das Schöne, weil Realistische an seinem Kino. Das ist auch genau das, was manche ihm nicht verzeihen. Weil es ratlos lässt. (Museum ab 12).

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Erstellt:
13.10.2017, 20:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 47sec
zuletzt aktualisiert: 13.10.2017, 20:00 Uhr

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Elli Emann 24.10.201716:42 Uhr

Ein typischer Haneke ! Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Diesmal mit der wunderbaren Isabelle Huppert, sie spielt einfach cool. Ein Kritiker der ZEIT brachte es auf den Punkt: sie kann mit den Mundwinkeln ausdrücken, wozu andere den Mittelfinger brauchen.

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