Hannas schlafende Hunde

Hannas schlafende Hunde

Drama um ein Mädchen, das in den 1960-er Jahren in der österreichischen Provinz seine jüdische Identität entdeckt.

08.03.2016

Von Dieter Oßwald

Hannas schlafende Hunde

Die harmlos biedere Idylle im österreichischen Provinzstädtchen Wels erweist sich als trügerisch. Auch anno 1967 finden sich noch glühende Anhänger der Hitlerei unter den Bewohnern. „Der 8. Mai war für uns kein Tag der Befreiung“, überschreiben die Ewiggestrigen ihre Gedenkfeier, bei der inbrünstig das „Horst Wessel-Lied“ mit Posaunenklängen intoniert wird.

Die zugezogene Familie Berger hat sich längst mit den Umständen arrangiert: Wegsehen. Verdrängen. Unauffällig bleiben. Sonntags wird der katholische Gottesdienst besucht. Die zunehmend bedrohlicheren Übergriffe des betrunkenen Hausmeisters auf die neunjährige Hanna werden von der Mutter ebenso ignoriert wie das dubiose Verhalten jenes einstigen Bankdirektors aus der Nachbarschaft oder die Gewaltausfälle ihres Schwagers.

Diese unwürdige Charade findet ein abruptes Ende, als Johanna vom Pfarrer erfährt, dass sie aus einer jüdischen Familie stammt. Mit kindlicher Neugier erkundet das aufgeweckte Mädchen ihre Identität und findet in der resoluten Großmutter eine verlässliche Verbündete. „Es gibt viele hier, die uns immer noch vergasen würden“, erklärt die kluge Oma ihrer wissbegierigen Enkelin.

Nach Vorlage des gleichnamigen Romans von Elisabeth Escher inszeniert Andreas Gruber („Hasenjagd“) mit psychologischer Präzision ein stimmiges Sittengemälde über die bleierne Zeit im Österreich der 60-er Jahre, das auch in der Bundesrepublik ganz ähnlich ausfallen würde. Mit „Im Labyrinth des Schweigens“ oder „Der Staat gegen Fritz Bauer“ hat das aktuelle Kino erfolgreich gezeigt, wie man sich Aufarbeitung der Nazi-Zeit in der Nachkriegsgeschichte widmen kann.

Gruber nähert sich dem Thema denkbar klug, nämlich fast harmlos und dafür umso eindringlicher über den Mikrokosmos des Familienlebens. Die liebevoll ausgestattete, harmlose 1960-er Jahre Ausstattung, die bis zum authentischen Kassenbrillen-Gestell des ohnmächtigen Vaters reicht, gerät zur unheimlich wirkenden Kulisse einer beklemmenden Atmosphäre, in der sich wahre menschliche Abgründe auftun. Wenn der brutale Vergewaltigungsversuch des selbsternannten Herrenmenschen-Hausmeisters an einem wehrlosen Mädchen banal an dessen Betrunkenheit kläglich scheitert, wirkt diese Szene kaum weniger beklemmend wie die verlogene Galanterie jenes eitlen Bankdirektors, der seinen widerwärtigen Missbrauch wie selbstverständlich mit Macht und Geld zu rechtfertigen versucht.

Für ein heikles Thema wie dieses bedarf es eines exzellenten Ensembles. Das überzeugt hier bis in die Nebenrollen. Hannelore Elsner als charismatische Grande Dame des deutschen Kinos bedarf da eigentlich kaum noch der Erwähnung. Als Entdeckung erweist sich die junge Nike Seitz, die die sensible Titelheldin glaubhaft mit einer angenehmen Unaufdringlichkeit und Natürlichkeit jenseits der oft antrainiert wirkenden Kinderdarsteller gibt. dd

Schlafende Hunde soll man gelegentlich doch wecken. Diesem Film gelingt das.

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Erstellt:
08.03.2016, 17:58 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 08.03.2016, 17:58 Uhr

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