Der andere Raum zwischen U und E(x)

Grenzüberschreiter, Klangforscher und E-Gitarrist Tübingens schlechthin: Thomas Maos

„Ich pendle immer zwischen populärer und experimenteller Musik und das wird wohl auch so bleiben“, sagt Thomas Maos. Einen Tag nach unserem Gespräch schickt er per Mail noch einen aktualisierten Nachtrag: „Tolle Nachrichten: Wir sind seit heute von 9 auf Platz 6 in der SWR-Liederbestenliste!“

01.10.2016

Von Peter Ertle

Grenzüberschreiter, Klangforscher und E-Gitarrist Tübingens schlechthin: Thomas Maos

Tübingen. Liederbestenliste klingt nach populärer Musik. Man könnte aber auch sagen, dass er in diesem Fall populäre Lieder raffinierter, vielschichtiger – oder eben: experimenteller gemacht hat. Für die Songs von Lucie Mackert, ehemals Zimmertheaterschauspielerin und seit Jahren als Liedermacherin unterwegs, hat Thomas Maos die Arrangements geschrieben, ihr eine Band besorgt, er selbst ist Teil von „Lucie M. und das Tribunal des escargots“. Ein paar Auftritte haben sie hinter sich, für Februar planen sie eine Tour. Das pusht: „Ich war ewig nicht mehr mit einer Band unterwegs.“

Lucie Mackert hat er als Theatermusiker kennengelernt, das ist er nämlich auch, seit Jahren. Die jüngste Theater-Zusammenarbeit „Die große Wanderung“ von „Patati Patata“ hat demnächst im Sudhaus Premiere, dann folgt wieder ein Stück im Zimmertheater, unter Simone Sterr am LTT hat er extrem viel gemacht, ob als musikalischer Meister im Hintergrund oder als live-Musiker. Thomas Maos liebt die Zusammenarbeit über die verschiedenen Künste hinweg.

Am Theater schätzt er außerdem die tarifliche Bezahlung. Für das Feld des Experimentellen, das Maos aus Gründen der Leidenschaft und Neugier beackert, gilt tendenziell das, was er über das Camp Festival sagt: „Da verdienen wir gar nichts.“

Camp, das er zusammen mit Fried Dähn, Stefan Hartmaier und Martin Mangold organisiert, ist ein experimentelles Festival für Klang und visuelle Künste, das nun schon zehn Mal stattfand, in Stuttgart, in Portugal, in Kroatien, demnächst in Bulgarien. Im Balkanraum jeweils auf Einladung des Baden-Württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst , das einen Topf für den Austausch mit dem Osten Europas hat.

Das Camp-Konzept: Sie laden Künstler verschiedener Länder ein, die spalten sich in kleine Gruppen auf, arbeiten eine Woche lang zusammen und zeigen ihr gemeinsames „Werk“ bei einer Abschlussperformance. Es ist das profilierteste avancierteste und internationalste seiner Projekte, entstanden übrigens im Club Voltaire als Nachfolger einer Experimetalwerkstatt, die Maos in den neunziger Jahren mit Jörg Honnegger, Ulrike Helmholtz und Ralf Meinz veranstaltete.

„Ich hab eigentlich immer was mit der deutschen Sprache gemacht“, sagt er, so richtig bewusst geworden ist ihm das erst vor ein paar Tagen, als er die Jahre im Vorfeld unseres Gesprächs nochmal Revue passieren ließ. Angefangen mit der deutschsprachigen Platte, die er in jungen Jahren mit den Dead Poets machte, mit denen er den ganz großen Banderfolg hätte haben können, über die Zusammenarbeit mit dem Lyriker und Gedichte-Sprecher Stephan Turowski, die Coproduktionen mit der Schauspielerin und Sängerin Silvia Pfändner, mit der er unter anderem deutsche Volkslieder neu interpretiert hat – bis hin zu Lucie Mackert.

Seine Dead Poets–Kollegen Jörg Honnegger und Ralf Wettemann haben dann auf ein anderes Pferd als die Band gesetzt und die Musikschule Jamclub gegründet, wo Thomas Maos als Gitarrenlehrer und Bandcoach arbeitet, sein finanzielles Standbein. „Neulich haben wir auf einer Party nochmal zusammen gespielt – einmal geprobt und alles hat gepasst, das verliert sich nicht.“

Die Popmusik sieht er derzeit in einer Verschulungsphase, „das Gesamtwerk von AC/DC wird genauso gepflegt und unterrichtet wie Beethovens Neunte.“ Er selbst war neulich beim Konzert von David Gilmour, ehemals Pink Floyd, es war grandios und: „Es war wie ein Museumsbesuch.“

Seine experimentellen Aktivitäten kann man – wie letztlich alles andere bei ihm – hier nur kurz streifen, es sind einfach zu viele (über die meisten haben wir ausführlich berichtet). Neben Camp gibt es da zum Beispiel die Reihe Sonic Visions mit Fried Dähn. Im Sommer haben sie Songs von Frank Zappa eingedeutscht, neu arrangiert, mit Rockband, einem Opernsänger und dem Schauspieler Endre Holéczy als Sprecher aufgeführt – der reine Wahnsinn.

Jüngst ist Thomas Maos gemeinsam mit dem Ulmer Uniorchester aufgetreten, eine Komposition, die extra für ihn und Orchester geschrieben wurde. Thomas Maos klangexperimentiert während der Kulturnacht im Rathauskeller, wird für einen Auftritt im Natursteinepark Rongen angefragt, lässt sich mit Elke Voltz auf ein „Liegekonzert“ ein. Mal klopft die befreundete Band Las Lanzas nachbarschaftlich im Franzviertel an seine Tür, weil sie für ein Lied einen Gitarristen brauchen und zwar nicht irgendeinen, sondern ihn. Thomas Maos sagt gerne ja.

„Ich habe irgendwann gelernt, mich zeitlich zu organisieren“, sagt er und dass sowohl die Musikschule als auch die Schülereltern viel Verständnis hätten, wenn er etwas flexibel sein muss. „Die Schüler profitieren ja auch davon, wenn ihr Lehrer musikalisch viel unternimmt.“ Was er bedauert: Dass immer weniger junge Menschen den Weg des Musikers einschlagen, den er gegangen ist. Auch er musste damals mit sich ringen, für oder gegen das Psychologiestudium, die Musik.

Er würde ihnen gerne Mut machen, er selbst habe immer wieder Dinge angepackt, von denen er nicht wusste, ob er sie kann. Zum Beispiel für das Projekt „100 Jahre Dada“ kürzlich Texte geschrieben, „das habe ich noch nie vorher gemacht“. Oder Filmmusik für Werbefilme. Und nach jedem Projekt ging irgendwo wieder unvermutet eine Tür auf, kamen Anfragen, meldete sich zum Beispiel die Tänzerin Christine Chu, mit der er nun ein Musik-Tanzprogramm auf die Beine gestellt hat.

Andererseits gibt es sie schon, die jungen Leute, die unter den Fittichen eines Jamclub-Bandcoachs angefangen und den Weg der Musik eingeschlagen haben, das müssen wir ihm jetzt mal entgegenhalten. Die Zappler, allesamt, und Johnny König, begnadeter Drummer, der vor Jahren mit einer Stoiber-Flughafenrede-Verschlagzeugung Schlageilen machte. „Stimmt“, sagt Thomas Maos, „als ich den das erste Mal im Jamclub sah, dachte ich: Wenn aus dem nichts wird, fress ich einen Besen.“

Einen Besen muss er also nicht fressen. Er muss nur weiterhin auf seine innere Uhr hören. Die führt ihn verlässlich in den Proberaum, allein, um Gitarre zu spielen. Das sei, als ginge man in einen anderen Raum, sagt er, er brauche das für sein Seelenwohl, das ganze Zeitempfinden würde da ein anderes. Danach ginge es ihm gut. „Schwimmen“ sagt der ehemalige DLRGler noch, genau, bisweilen trifft man sich im Hallenbad Nord, und Qigong, das seien die anderen beiden Kraftquellen.

Neuestes Projekt – und damit zu einer weiteren Kraftquelle: Eine Band namens Die drei Maori. Da spielen Thomas Maos und seine beiden Söhne, bei den kommenden Jazz- und Klassiktagen sind sie auch dabei. Wir haben die drei Maori bei der Premiere neulich im Wannweiler Musenstall anlässlich einer Ausstellungseröffnung seiner Frau Birgit Riegger gehört – und können sie an dieser Stelle wärmstens empfehlen.

Wenn er dann noch zwei, drei Wochen pro Jahr am Meer sein darf, im Süden – ja, es muss schon der Süden sein, Nordsee gilt nicht, möglicherweise der zypriotische Vater in seinen Genen – das ist Tiefenentspannung. „Mehr Ansprüche habe ich nicht“, sagt er und: „Ich habe das Privileg, immer mit supercoolen Leuten zu tun haben zu dürfen.“

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Erstellt:
01.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 29sec
zuletzt aktualisiert: 01.10.2016, 01:00 Uhr

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