Droht Notstand in den Kitas?

Gewerkschaft Verdi schlägt Alarm: Es fehlen Fachkräfte

Die Gewerkschaft Verdi schlägt Alarm: Immer mehr Stellen in Kindergärten seien unbesetzt, Fachkräfte zunehmend schwerer zu finden.

27.05.2017

Von Volker Rekittke

Wir brauchen dringend gut ausgebildete Fachkräfte in den Kitas“, sagte die Reutlinger Verdi-Sekretärin Özge Aygün gestern bei einer Pressekonferenz: „Viele Kolleginnen in der Region arbeiten am Anschlag.“ Die Kapazitäten seien ausgeschöpft. In Tübinger wie in Reutlinger Kitas mache sich der Fachkräftemangel immer mehr bemerkbar – aufgrund des in den vergangenen Jahren stetig ausgebauten Betreuungsangebots, aber auch wegen der in beiden Städten wachsenden Bevölkerung. Tübingens Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast bestätigte später auf TAGBLATT-Nachfrage: „Es werden nicht genügend pädagogische Fachkräfte ausgebildet.“

Die Folgen sind laut Aygün eine relativ hohe Fluktuation unter Erzieherinnen, vermehrte Krankmeldungen – und zunehmend Überlast- sowie Gefährdungsanzeigen. Mit letzteren müssten sich die Kita-Beschäftigten etwa bei Personalknappheit „aus Haftungsgründen“ absichern. „Es darf nicht krankmachen, mit Kindern zu arbeiten“, sagte Verdi-Bezirkssekretär Benjamin Stein. Und beim Thema Betreuungsschlüssel sei „Masse nicht gleich Klasse“, so Aygün.

Auch wenn Verdi in den Tarifrunden 2009 und 2015 für höhere Löhne und mehr Anerkennung stritt. Noch immer gelte, so Stein: „An Autos zu schrauben ist viel anerkannter, als Kinder zu betreuen.“ Besser bezahlt ist es meist auch. Noch immer ergreifen fast ausschließlich Frauen den Beruf.

Verdienst- und später Rentenprobleme bereitet laut Aygün die hohe Teilzeitquote von bundesweit etwa 60 Prozent. Die Gründe seien unterschiedlich: Manche Stellen sind nur so ausgeschrieben, manche Erzieher/innen versorgen eigene Kinder. „Es droht Altersarmut“, sagte Aygün und rechnete vor: Bei einem Vollzeit-Bruttogehalt von etwas über 3000 Euro (Tarif S8a, Stufe 3) kommen für eine Teilzeitbeschäftigte mit angenommenem Einkommen von 2500 Euro nach 40 Berufsjahren zwischen 800 und 900 Euro Rente im Monat heraus – das ist in etwa die Höhe der Grundsicherung („Mindestrente“).

Los gehen die Probleme laut Stein schon in der Ausbildung: „Die Auszubildenden laufen in den Kitas gleich voll mit und stopfen laufend Löcher.“ Das sei viel zu oft „Learning by doing unter erschwerten Bedingungen“ – und die Azubis würden voll mit in den Betreuungsschlüssel eingerechnet.

Was tun? Für Verdi geht es nach wie vor um mehr Stellen, bessere Bezahlung und mehr Anerkennung – aber auch um eine bessere Verzahnung von Schule und Kita bei der Ausbildung. Und die Fortbildung müsse bei ständig wachsenden Anforderungen – etwa Deutsch- und Englischunterricht – gesichert sein. Sinnvoll seien auch Programme wie PIA (siehe Kasten). Bilder: Rekittke

Benjamin Stein

Benjamin Stein

Özge Aygün

Özge Aygün

Auch in Tübingen sind Stellen unbesetzt

„Ja, wir spüren den Fachkräftemangel“, sagt Steffi Mühlhäuser von der städtischen Fachabteilung Kindertagesbetreuung. In Tübingen sind derzeit 10 von insgesamt 350 Erzieher/innen-Stellen in städtischen Kitas unbesetzt – mehr als je zuvor. Mühlhäuser hofft aber, dass sich die Situation nach den Sommerferien wieder etwas entspannt.

Nur etwa 10 jener 350 Stellen sind von Männern besetzt. Erst mit der Praxisintegrierten Ausbildung (PIA), bei der vom ersten Tag an Geld verdient wird, kamen einige Männer in städtischen Einrichtungen dazu.

Die Betreuungsquote für ein- bis dreijährige Kinder („U3“) liegt in Tübingen derzeit bei 74 Prozent – im Landesschnitt waren es vergangenes Jahr keine 30 Prozent.

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Erstellt:
27.05.2017, 01:30 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 31sec
zuletzt aktualisiert: 27.05.2017, 01:30 Uhr

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