Tübinger Uni im Rennen um Forschungsgelder weiter

Fünf Cluster noch dabei – Hirnforscher scheitern überraschend mit Antrag

In der Vorauswahl zur nächsten Exzellenz-Runde schnitt Tübingens Universität glänzend ab. Nur die Hirnforscher sind schockiert.

30.09.2017

Von Ulrich Janßen

Erfolgsverwöhnte Neurowissenschaften auf dem Schnarrenberg: Links das CIN, rechts das Hertie Institut.Bild: Sommer

Erfolgsverwöhnte Neurowissenschaften auf dem Schnarrenberg: Links das CIN, rechts das Hertie Institut.Bild: Sommer

Hemmungslose Euphorie zählt nicht unbedingt zu den großen Charaktermerkmalen des Tübinger Uni-Rektors. Gestern aber ließ sich Bernd Engler immerhin zu einem „Ich will ein gewisses Glücksgefühl nicht leugnen“ hinreißen und deutete an, dass er beim nächsten Treffen des Vorbereitungsteams sogar ein Getränk springen lassen könnte: „Mindestens Sprudel wird es geben“, scherzte er am Telefon.

Immerhin kann die Tübinger Universität mit gleich fünf Kandidaten in die nächste Runde der Exzellenz-Initiative gehen. Gestern um 10 Uhr stellte das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Wissenschaftsrat zusammengestellte internationale Expertengremium jene 88 Projekte vor, die sich bis 21. Februar 2018 mit einem Vollantrag bewerben dürfen –für Tübingen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erhaltung des Exzellenzstatus. Gut die Hälfte davon werden am Ende tatsächlich exzellent gefördert. Den Forschungsverbünden („Cluster“ genannt), die am 27. September nächsten Jahres siegreich aus dem Rennen gehen, winken pro Jahr um die acht Millionen Euro. Hoffnungen können sich in Tübingen die Träger folgender Projekte machen:

Maschinelles Lernen: In diesem Forschungsverbund soll es unter anderem darum gehen, wie Computer Bilder erkennen können und wie man riesige Datenmengen automatisch auswerten kann.

Integrierte Bildungsforschung. Hier soll mit Hilfe empirischer Daten die Qualität von Bildung auf verschiedensten Ebenen erforscht und verbessert werden.

Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen. Tübinger Immunbiologen und Infektionsforscher wollen in diesem Verbundprojekt nach neuen Wegen zur Bekämpfung von Infektionserkrankungen suchen – jenseits der klassischen und zunehmend weniger effektiven Antibiotika-Therapien.

Individualisierung von Tumortherapien durch molekulare Bildgebung und funktionelle Identifizierung therapeutischer Zielstrukturen. Hier geht es um die sogenannte „personalisierte Medizin“, um den Versuch, Krebspatienten mit individuell auf sie zugeschnittenen Therapien zu behandeln.

Verstehen verstehen. Sprache und Text. In diesem zusammen mit der Universität Stuttgart konzipierten potenziellen Cluster wollen Sprach- und Computerwissenschaftler herausfinden, wie das Verstehen von Sprache und Texten eigentlich funktioniert.

Zwei von sieben eingeschickten Tübinger Projektskizzen kamen nicht zum Zuge. Zum einen das aus dem Sonderforschungsbereich „Bedrohte Ordnungen“ heraus entwickelte Thema „Dynamiken sozialer Differenzierung“, in dem unter anderem untersucht werden sollte, wie Gesellschaften auf Phänomene wie Terror oder Migration reagieren. Und zum anderen das vom Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) entwickelte Projekt „Das adaptive Gehirn“. In diesem potenziellen Cluster wollten Tübinger Neurowissenschaftler erforschen, wie das Gehirn körperliche Prozesse steuert.

Für die erfolgsverwöhnten CIN-Forscher bedeutet die Ablehnung ihrer Projektskizze einen herben Rückschlag. „Wir sind geschockt und alle sehr bestürzt“, räumte CIN-Geschäftsführer Florian Mayer offen ein. „Damit hat bei uns niemand gerechnet.“

Immerhin sorgte das Centrum im Jahr 2012 entscheidend dafür, dass Tübingen nach der ersten gescheiterten Bewerbung doch noch zum Exzellenzstatus kam. Die Neurowissenschaften bilden derzeit den einzigen Exzellenz-Cluster an der Tübinger Hochschule. Er galt als besonders aussichtsreicher Kandidat für die nächste Exzellenz-Runde.

Gut 150 Mitarbeiter (in ganz unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen) zählt das CIN derzeit, hinzu kommen zahlreiche Mitarbeiter in kooperierenden Einrichtungen wie etwa dem benachbarten Hertie-Institut für klinische Hirnforschung. Bis Ende 2018 können sie noch mit jährlich sechs Millionen Euro aus der laufenden Exzellenz-Runde rechnen. Wie es danach weitergeht, ist offen.

„Baden-Württemberg hat zugesichert, dass Teile des CIN verstetigt werden“, macht sich der Geschäftsführer Mut. Dabei handelt es sich um den Landesanteil an der Exzellenz-Förderung, der bei 25 Prozent liegt. Er wird, bestätigte gestern auch Rektor Engler, auf jeden Fall weiterlaufen, das sind etwa 1,5 Millionen Euro pro Jahr. Weitere Mittel müssten über Drittmittel-Anträge beschafft werden. „Neue Stellen oder neue Geräte wird es aber erstmal nicht geben“, meinte Mayer. Mit Kündigungen rechnet der Geschäftsführer eher nicht, zumal viele Forscher sowieso nur auf befristeten Stellen sitzen.

Warum die erfahrenen Hirnforscher schon im Vorlauf ausschieden, darüber konnten die CIN-Leute gestern nur spekulieren. „Bei uns überwiegt die Ratlosigkeit“, meinte Paul Töbelmann, der Sprecher des Centrums. Eine Vermutung war, dass die Tübinger Uni „diesmal sehr starke Anträge gestellt habe, die uns auch Konkurrenz gemacht haben“. Außerdem sind die Neurowissenschaften nach Töbelmanns Eindruck in der neuen Exzellenz-Runde insgesamt nicht mehr so stark vertreten wie zuvor. Und: „Ich hatte auch den Eindruck, dass es diesmal einen großen Zwang zu Neuem gab, dass man unbedingt zeigen musste, wie wahnsinnig innovativ man ist“.

Ein Eindruck, den Rektor Bernd Engler bestätigt. „Ich hatte schon vorher ein kleines dumpfes Gefühl bei den Neurowissenschaftlern“, meinte er. Die Gutachter hätten „einen deutlichen Akzent auf Innovation gelegt“. Dennoch sei auch er betroffen gewesen und habe die beiden nicht erfolgreichen Projekte als erstes angerufen. Den Neurowissenschaften wolle die Uni „geeignete Unterstützungsformate anbieten“.

Für die Uni insgesamt gelte jetzt, „die Füße auf dem Boden zu lassen und die Ärmel hochzukrempeln“. Noch sei alles möglich, auch dass die Hochschule am Ende mit leeren Händen da stehe. „Für die Vollanträge brauchen wir noch ganz viel Präzision, Professionalität und Enthusiasmus“, sagte Engler.

Immerhin: Der Erfolg in der Vorrunde zeige, wie gut derzeit die Stimmung an der gesamten Uni sei. Gefallen hat dem Rektor insbesondere, wie kooperativ man sich auf sieben (von ursprünglich zehn) Projekten geeinigt habe: „Wie da die Prozesse abliefen, das macht mich besonders glücklich.“

Maschinelles Lernen: Wie erkennt ein Auto Objekte? Grafik: Bosch

Maschinelles Lernen: Wie erkennt ein Auto Objekte? Grafik: Bosch

Die nächste Phase der Exzellenz-Initiative beginnt im Jahr 2019

Für die im Jahr 2019 anlaufende nächste Runde der Exzellenz-Initiative bewarben sich 63 deutsche Hochschulen mit insgesamt 195 Projekten. Die jetzt ausgewählten 88 Skizzen von 41 Hochschulen stammen zu 31 Prozent aus den Naturwissenschaften, zu 26 Prozent aus den Ingenieurwissenschaften und zu 19 Prozent aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Bis Februar 2018 haben die Unis jetzt Zeit, ihre Skizzen zu förmlichen Förderanträgen auszuarbeiten. Am 27. September 2018 wird dann eine Expertenkommission entscheiden, welche Cluster ab Januar 2019 gefördert werden. Universitäten, die mindestens zwei Cluster bewilligt bekommen, können sich bis zum 10. Dezember 2018 um den Status der „Exzellenzuniversität“ bewerben. Nur elf Universitäten sollen künftig zu dieser Elite zählen, sie streichen zusätzlich zum Geld für die Cluster noch einmal bis zu 15 Millionen Euro jährlich ein. Wer zum Kreis der Exzellenz-Unis gehört, wird im Juli 2019 entschieden.

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Erstellt:
30.09.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 05sec
zuletzt aktualisiert: 30.09.2017, 01:00 Uhr

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