Kabarett

Freud und Leid eines „Nafris“

Abdelkarim, Deutsch-Marokkaner und selbsternannter „Staatsfreund Nr. 1“, über Terrorangst, den deutschen Pass und migrantische Martinssänger.

11.03.2017

Von Philipp Koebnik

Glatze, Vollbart, schwarze Lederjacke und immer einen frechen Spruch auf Lager: der Kabarettist Abdelkarim 2015 im Sudhaus. Archivbild: Metz

Glatze, Vollbart, schwarze Lederjacke und immer einen frechen Spruch auf Lager: der Kabarettist Abdelkarim 2015 im Sudhaus. Archivbild: Metz

Zu Beginn checkt er, ob er hier auch richtig ist: „Dieser Stadtteil heißt Derendingen, oder? Deren-Dingen. Ist das Verarsche?“ Später lässt er sich vom Publikum noch erklären, wie man „Leberkäsweckle“ richtig ausspricht – „Das ist heute wie ein Integrationskurs für mich.“ Im ausverkauften Saal des Tübinger Sudhauses unternahm Abdelkarim am Donnerstag einen assoziativen, selbstironischen Streifzug durch migrantische Lebenswelten. „Aus der Bielefelder Bronx“ ist er gekommen: „der Marokkaner deines Vertrauens“ – oder auch: der „Staatsfreund Nr. 1“, wie der Titel seines aktuellen Programms lautet.

Der deutsch-marokkanische Kabarettist Abdelkarim, bekannt aus der „Heute-Show“ und der „Anstalt“, erzählt aus dem Alltag von Migranten in Deutschland, vom nicht immer einfachen, aber humorträchtigen Verhältnis zwischen abgehärteten „Kanaken“ und seriösen, sich allzu ernst nehmenden Deutschen. Und freilich darf auch die große Politik nicht fehlen.

„Ich bin Deutscher, aber manchmal merkt man die Unterschiede.“ Nach wie vor habe er keinen deutschen Pass – immerhin 300 bis 400 Euro müsse man dafür löhnen. „Das seh’ ich gar nicht ein – ich bin ja hier geboren –, zumal mein Kumpel die viel billiger macht.“

In Deutschland spüren Migranten oft, dass sie nicht richtig dazugehören. So wie neulich, als er seinem Kumpel Ali beim Umzug half. „Wenn bei uns einer umzieht, helfen alle mit – und danach gibt’s ein großes Essen.“ Doch was nutzen all die arbeitswilligen Hände, wenn das arabische Umzugsteam auf grundsätzliche Schwierigkeiten trifft? „Als Moslem ist es zurzeit sehr schwer, einen LKW zu bekommen“, sagt er, auf Anschläge wie in Nizza und Berlin anspielend.

Während der Kölner Polizei nach der Silvesternacht 2015/16 vorgeworfen worden war, zu wenig gegen Grapscher unternommen zu haben, hat sie diesmal arabisch aussehende Männer vorab am Hauptbahnhof abgefangen. „Das ist eine neue Qualität. Dass wir nicht in die Disco reinkommen, wussten wir. Dass wir sogar draußen nicht mehr reinkommen, ist neu.“ Immerhin hat es auch manche Vorteile, dunkelhäutig zu sein: „An Bahnhöfen halten alle ihre Tasche fest, damit sie keiner klaut – nur ich weiß: Meine Tasche will niemand.“

Als eine „gute Nachricht“ gelte nach all den Berichten über straffällige „Nafris“ schon eine Meldung wie jene vom Frühjahr 2016: „Ehrlicher Marokkaner findet 50 Euro und gibt sie zurück.“ Abdelkarims Kommentar dazu: „Das ist genauso, als würde man sagen: Deutscher geht an Flüchtlingsheim vorbei und zündet es nicht an.“ Es war einer der Momente, in denen nur wenige Besucher laut lachten.

Immer wieder flicht der 35-Jährige Erlebnisse aus seiner Kindheit ein. Wie er etwa beim Martinssingen mitmachte, obwohl er und die anderen „Kanaken“ keine Laterne dabei hatten und neidisch auf die deutschen Kinder blickten, die mit kunstvollen Lampions ausgerüstet daherkamen. Doch damit nicht genug. Nachdem er und seine Freunde bei einem alten Mann geklingelt und „ein bisschen gefreestylet“ haben – denn selbstverständlich hatte keiner von ihnen die deutschen Lieder auswendig gelernt – erwartete sie eine Enttäuschung. Der Mann griff hinter sich und gab den Jungen Mandarinen. Dafür also der ganze Aufwand? „Die Seele aus dem Leib gesungen mit Ungläubigen-Musik und was gibt‘s dafür? Mandarinen!“ Da verstehe einer die Deutschen und ihre Bräuche. . .

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Erstellt:
11.03.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 38sec
zuletzt aktualisiert: 11.03.2017, 01:00 Uhr

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