Weil Kredite kriminell wären

Frauen aus Bangladesch schildern, wie sie sich aus der extremen Armut befreiten

Von den 160 Millionen Einwohnern Bangladeschs lebt knapp die Hälfte in absoluter Armut. Um das zu ändern, unterstützen einige Hirschauer das Projekt „Ein Leben lang genug Reis“. Zwei Frauen, die sich mit dieser Hilfe eine kleine Landwirtschaft aufbauen konnten, besuchen derzeit Deutschland.

27.05.2016

Von Philipp Koebnik

Berichten heute im Gemeindehaus der Hirschauer Christuskirche über ihren Weg aus der absoluten Armut: Selestina Tirky (links) und Saima Begum. Privatbild

Berichten heute im Gemeindehaus der Hirschauer Christuskirche über ihren Weg aus der absoluten Armut: Selestina Tirky (links) und Saima Begum. Privatbild

Hirschau. „Es liegt mir sehr am Herzen, diesen armen Menschen zu helfen, die oft nicht einmal wissen, wie sie ihre Kinder ernähren sollen“, sagt Uta Ludwig. Die Hirschauerin hatte 2010 Bangladesch besucht. Seither engagiert sie sich in der ökumenischen Bangladesch-Gruppe Hirschau, die wiederum das Projekt „Ein Leben lang genug Reis“ des Vereins NETZ unterstützt. „Wir arbeiten eng mit den Einheimischen zusammen“, so Ludwig. „Das Prinzip lautet: Hilfe zur Selbsthilfe.“ Das TAGBLATT sprach mit zwei Frauen, die sich dank dieses Projekts aus extremer Armut befreien konnten. Die erste Station auf ihrer Deutschland-Reise: Hirschau.

Selestina Tirky gehört der indigenen Gruppe der Adivasi an, die – wie in Indien auch – unter Diskriminierung leiden. Sie habe nur ein paar Jahre die Schule besuchen können, bis sie verheiratet wurde – mit gerade einmal 16 Jahren. Tränen rinnen ihr über das Gesicht, als sie erzählt, wie ihr Mann sie verließ, als sie mit dem zweiten Kind schwanger war. Sie schlug sich als Haushaltshilfe durch, konnte davon aber kaum ihre Kinder ernähren. Bedrückt erzählt sie, wie sie ihren Kindern schwarzen Tee mit Salz gab, um das Hungergefühl zu unterdrücken.

Eines Tages kamen Mitarbeiter einer Partnerorganisation von NETZ in ihr Dorf, um, so Tirky, „die ärmsten Familien aus dem Dorf zu suchen“. Sie gehörte zu den Ärmsten. Und so bekam sie von dem Projekt ein „Startkapital“ im Wert von 150 Euro: eine Kuh, fünf Hühner und Samen für den Gemüseanbau. Außerdem, so erzählt sie, erhielt sie Schulungen in Tierhaltung und Gemüseanbau. Inzwischen kann sie sich und ihre Kinder selbst versorgen. Einen Teil der Eier und der Milch bringt sie auf den Markt, um zum Beispiel Kleidung zu kaufen. „Mein großer Traum ist, dass meine Kinder eine gute Bildung erhalten“, sagt sie. Ihr Sohn geht nun in die achte Klasse, ihre Tochter macht bald ihren Abschluss.

Ein ähnliches Startkapital bekam auch Saima Begum. Auch sie konnte sich dadurch aus der extremen Form der Armut befreien, berichtet sie. Schon als Kind musste sie arbeiten, um die Familie zu unterstützen. Heute ist sie die Vorsitzende einer Selbsthilfeorganisation, zu der sich 280 Frauen zusammengeschlossen haben. Es sind vor allem Frauen, die von dem Projekt profitieren, denn sie sind am stärksten von Armut betroffen. Dabei sei man auch untereinander solidarisch, berichtet Begum. Wenn es jemandem wirtschaftlich oder gesundheitlich besonders schlecht geht, geben die anderen Frauen, die Teil des Projekts sind, ihnen etwas ab.

Aufklärung über

soziale Rechte

Neben der materiellen Unterstützung werden die Frauen auch über ihre Rechte aufgeklärt. So hat jeder in Bangladesch das Recht auf eine medizinische Basisversorgung – aber viele Frauen wissen das nicht. Nach den Schulungen gehen die Frauen in andere Dörfer und informieren die Menschen dort, wie sie solche staatlichen Angebote in Anspruch nehmen können.

Das Startkapital, das das Projekt vergibt, ist ein Geschenk – im Unterschied zu sogenannten Mikrokrediten, die andere Organisationen an Menschen in Entwicklungsländern vergeben. „Leuten, die so arm sind, einen Kredit zu geben, wäre kriminell“, betont NETZ-Geschäftsführer Peter Dietzel. Über ihre persönlichen Erfahrungen und die Veränderungen in ihren Dörfern werden die beiden Frauen am heutigen Freitag ab 19 Uhr im Gemeindehaus der Christuskirche in Hirschau berichten.

Saima Begum und Selestina Tirky, derzeit auf einer Reise durch Deutschland, mit ihrer Hirschauer Gastgeberin Uta Ludwig. Bild: Koebnik

Saima Begum und Selestina Tirky, derzeit auf einer Reise durch Deutschland, mit ihrer Hirschauer Gastgeberin Uta Ludwig. Bild: Koebnik

Zum Artikel

Erstellt:
27.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 41sec
zuletzt aktualisiert: 27.05.2016, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!