Leichtathletik

Frau oder Mann? Die Macht der Hormone

Erhöhte Testosteron-Werte machen Caster Semenya aus Südafrika das Leben seit Jahren schwer. Dabei will die 26-Jährige doch nur laufen.

18.08.2017

Von JOHANNES IHLE

Männliche Gesichtszüge, Arme vollbepackt mit Muskeln: Wie eine zierliche Läuferin sieht die südafrikanische 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya wahrlich nicht aus. Nun wurden wieder Diskussionen um ihre Person und ihr Geschlecht laut. Foto: dpa/Jon Olav Nesvold

Männliche Gesichtszüge, Arme vollbepackt mit Muskeln: Wie eine zierliche Läuferin sieht die südafrikanische 800-Meter-Weltmeisterin Caster Semenya wahrlich nicht aus. Nun wurden wieder Diskussionen um ihre Person und ihr Geschlecht laut. Foto: dpa/Jon Olav Nesvold

Kapstadt. Eigentlich könnte Caster Semenya zu den glücklichsten Frauen der Welt gehören: Bei der Leichtathletik-WM in London gewann sie in ihrer Paradedisziplin 800 Meter der Frauen bereits zum dritten Mal Gold, wenige Tage zuvor sicherte sich die 26-jährige Südafrikanerin bei ihrem ersten Start über die Distanz von 1500 Metern gleich den dritten Rang.

Doch mit dem Erfolg und einer im Juli veröffentlichten Studie keimten wieder Diskussionen über ihr männliches Aussehen, ihre tiefe Stimme und ihre erhöhten Testosteron-Werte auf und dürften ihre Sieger-Laune trüben. Damit steht sie nicht alleine da: Auch die Silber- und Bronzemedaillen-Gewinnerinnen Francine Niyonsaba aus Burundi und Margaret Wambui aus Kenia fielen durch ihr maskulines Äußeres auf. In naher Zukunft könnte die Diskussion aber ein Ende finden, womöglich mit negativem Ausgang für Semenya und Co.

Geschlechtstest durchgeführt

Bereits vor acht Jahren wurde heftig diskutiert. Damals trat Semenya das erste Mal auf der internationalen Bühne bei der Weltmeisterschaft in Berlin auf, sicherte sich prompt die Goldmedaille über 800 Meter in 1:55,72 Minuten und war damit über zwei Sekunden schneller als die Konkurrenz. Die Folge: Der Leichtathletikverband IAAF ordnete einen Geschlechtstest bei der damals 18-Jährigen an. Das Ergebnis: „Es ist klar, dass sie eine Frau ist, aber vielleicht nicht zu 100 Prozent. Man muss prüfen, ob sie im Vergleich zu ihrer Konkurrenz aus einer möglichen Intersexualität einen Vorteil gehabt hat“, sagte der damalige Generalsekretär der IAAF, Pierre Weiss. Eine Diagnose wurde nie veröffentlicht.

2011 führte die IAAF dann Regelungen ein, die besagen, dass der Testosteron-Wert nicht über 10 Nanomol pro Liter Blut liegen darf. Betroffene Frauen mussten sich einer Hormontherapie unterziehen, um bei Wettkämpfen antreten zu dürfen. 2015 die Kehrtwende: Der Internationale Sportgerichtshof Cas setzte das Gesetz außer Kraft. Die indische Sprinterin Dutee Chand hatte geklagt. Der Cas sah es nicht als erwiesen an, dass Frauen mit einem Überschuss an Testosteron einen Wettbewerbsvorteil haben und gab der IAAF zwei Jahre Zeit, das zu beweisen.

Plötzlich wieder Bestzeiten

Nach einer angeblich langwierigen Knieverletzung und dem Verpassen der WM 2013 in Moskau tauchte Semenya 2015 wieder in der Weltspitze auf. Während sie bei der WM in Peking noch im Halbfinale scheiterte, lief die 1,78 Meter große Läuferin bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio nationalen Rekord (1:55,28) und holte sich die Goldmedaille. Alles Zufall?

Laut einer Studie, die die IAAF Anfang Juli veröffentlichte, nicht. „Über 400 und 800 Meter, 400 Meter Hürden sowie Hammerwurf und Stabhochsprung haben weibliche Athleten mit hohem Testosteronspiegel einen Wettbewerbsvorteil von 1,8 bis 4,5 Prozent gegenüber anderen weiblichen Konkurrenten mit normalem Androgenspiegel“, lautet das Fazit von Studienleiter Stéphane Bermon und seinem Co-Autor Pierre-Yves Garnier.

Für die Weltmeisterschaften in London hatten die Ergebnisse keine Konsequenzen. Alle Frauen, die mit erhöhten Werten zu kämpfen haben, durften ohne Therapie starten. Doch das kann sich bald ändern. Die Ergebnisse der Studie hat die IAAF nun dem höchsten Sportgericht vorgelegt. Eine Entscheidung soll in den kommenden Monaten fallen.

„Ich pinkle wie eine Frau“

Bei Caster Semenya stieß die Studie sauer auf. Dem südafrikanischen Sportsender Supersport TV sagte sie: „Ich verstehe nicht, dass man sagt, ich hätte einen Vorteil – weil ich eine Frau bin. Wenn ich pinkle, pinkle ich wie eine Frau. Ich verstehe nicht, wenn man sagt, ich sei ein Mann oder ich hätte eine tiefe Stimme. Ich weiß, dass ich eine Frau bin, das ist keine Frage für mich.“

Bleibt den Sportlerinnen zu wünschen, dass der Cas bald eine Entscheidung darüber fällt, ob für Frauen mit erhöhten Testosteron-Werten im Leistungssport, der geprägt ist von Menschen mit besonderen, nicht normalen Attributen, ein Platz ist. Nicht zuletzt auch um Semenya und ihre betroffenen Mitstreiterinnen vor peinlichen Äußerungen wie die der beiden ZDF-Kommentatoren Peter Leissl und Marc Windgassen zu schützen. Sie sehe nicht aus wie eine Frau, hieß es gleich mehrmals bei den Vorläufen über 800 Meter: „Sie sehen es ja selbst“.

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Erstellt:
18.08.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 18.08.2017, 06:00 Uhr

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