Wange an Wange durch eine Woge Melancholie

Finnischer Tango mit der Gruppe Uusikuu in der Tanzetage in Gomaringen und ein Einblick in die finni

In der Gomaringer Tanzetage mischten sich Tanztee und Konzert: Die Band Uusikuu spielte Tango und andere in Finnland beliebte Tanzstile. Manches Paar der rund 50 Gäste legte eine flotte Sohle aufs Parkett.

28.09.2016

Von Michael Sturm

Tango von und mit Uusikuu. Von links: Norbert Bremes, Mikko Kuisma, Sebastian Schuster, Christoph Neuhaus und Laura Ryhänen. Bild: Sturm

Tango von und mit Uusikuu. Von links: Norbert Bremes, Mikko Kuisma, Sebastian Schuster, Christoph Neuhaus und Laura Ryhänen. Bild: Sturm

Gomaringen. In den meisten Tanzschulen kommt die Musik vom Band. Eine Live-Kapelle mitten im Ballsaal – oder zumindest so platziert, dass genügend Platz zum Tanzen bleibt – ist heute eher selten. „Wir machen das zum ersten Mal – eine herrliche Kombination!“, freute sich Eva Wied, Leiterin der Tanzetage in Gomaringen.

Am Sonntagabend spielte Uusikuu, vor zehn Jahren von der finnischen Sängerin Laura Ryhänen in Tübingen mit deutschen Musikern zusammen gegründet. Sie spielten in Finnland beliebte Tanzstile, unter anderem den Volkstanz Jenkka. Im Mittelpunkt stand aber der Tango, der in Finnland beliebter zu sein scheint, als in jedem anderen europäischen Land.

Das ist seltsam, wenn man bedenkt, wie feurig die Argentinier, die Erfinder des Tango, ihren Tanz interpretieren. Feurig ist so ziemlich das letzte Attribut, mit dem man die Finnen belegen würde – man muss ja seine Stereotype wahren. Also: Irgendwie muss es damit zu tun haben, dass die Finnen an sich zur Melancholie neigen.

Egal ob Argentinien oder Finnland – Hauptsache Tango, dachten sich am Sonntag bald die ersten Paare. Heike Geiger aus Nehren gehörte dazu. Sie war zwar ohne Partner gekommen, hatte jedoch Eva Wied dezent darauf hingewiesen, dass sie gerne tanzen würde. Die Leiterin der Tanzebene vermittelte einen Partner. „Ich finde es spannend, mich auf das Gegenüber einzulassen, zu sehen, ob es gut geht und harmoniert“, sagte die Nehrenerin. Das stelle man bereits während des ersten Tanzes fest. Die Augen geschlossen, Wange an Wange mit einem Fremden: „Menschen, die man nicht kennt, sprechen die Sprache des Tangos.“ Faszinierend am Tango sei, die Musik eindringen zu lassen und deren Melancholie in Bewegung umzusetzen. Ihren ersten Tango-Argentino-Kurs belegte Heike Geiger in Tübingen. Mit einem Arbeitskollegen, ihr Mann tanzt nicht.

Wie bei einem klassischen Tanztee ging am Sonntag nicht einfach ein Stück ins andere über. Zwischen den Liedern erklärte Laura Ryhänen die Texte und holte schon mal etwas weiter aus. Um 1913 habe erstmals ein Paar – aus Dänemark, man bedenke! – in Helsinki den Tango getanzt. Die Finnen seien zunächst empört gewesen: So eng zusammen! Und die Texte! Aber sie fanden schnell heraus, dass sich über das melancholische Geschiebe ein Partner für die gerade aktuelle Jahreszeit (in Finnland eigentlich immer der Winter) finden lasse. Stilistisch sei man in ihren Heimatland recht frei, betonte Laura Ryhänen und ergänzte unter dem Gekicher der Besucher: „Wir schauen auch nicht zu.“

In Finnland gebe es viele Tanzböden im ländlichen Raum. Da höre die Band manchmal das Schleichen der Tänzer hinter ihnen. Die Nähe beim Tanz, auch das ein Stereotyp, helfe den finnischen Frauen, ihre schüchternen Landsmänner zu verstehen, die ja nicht über Gefühle sprächen. Wer bei einer Damenrunde nicht aufgefordert werde, verliere leicht an Selbstbewusstsein: „Meine Brüder gehen nicht mehr tanzen“, so Laura Ryhänen.

So käme es, dass doch eine Menge Finnen ihr Glück im Ausland suchten. Wie sie selbst: „Ich suchte Palmen und Leidenschaft. Ich kam nach Tübingen“, bilanzierte Laura Ryhänen vor ihrem amüsierten Publikum. Wie die anderen Auslandsfinnen fehle ihnen ständig etwas. Eine Freundin von ihr gehe stets mit einem leeren Koffer auf Heimatbesuch und fülle diesen dann mit Preiselbeeren. Die wohl berühmteste Auslandsfinnin sei Armi Kuusela. Sie wurde 1952, als in Helsinki Olympische Spiele ausgetragen wurden, beim allerersten Miss-Universe-Wettbewerb überhaupt, zur schönsten Frau der Welt gekürt. Ihr zu Ehren spielten Uusikuu ein Lied, das stets bei Schönheitswettbewerben gespielt werde. Es zu spielen, zu erleben, wie das Publikum die Musik aufsauge, transportiere sie zurück, sagte Laura Ryhänen: „An so einem Abend vergisst man die Entfernung.“

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Erstellt:
28.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 53sec
zuletzt aktualisiert: 28.09.2016, 01:00 Uhr

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