Überschreitung der Stickstoffdioxid-Werte

Fahrverbote wegen Schadstoffen in der Luft auch in Tübingen?

Das Regierungspräsidium präsentiert bald den verschärften Luftreinhalteplan für Tübingen – es drohen Strafen durch die EU-Kommission.

25.02.2017

Von Volker Rekittke

Beim alltäglichen Stau auf der Stuttgarter Straße (B27) sind die Tübinger hohen Schadstoffbelastungen ausgesetzt.Archivbild: Metz

Beim alltäglichen Stau auf der Stuttgarter Straße (B 27) sind die Tübinger hohen Schadstoffbelastungen ausgesetzt.Archivbild: Metz

Ältere Dieselautos dürfen ab 2018 an Tagen mit hohen Schadstoffwerten nicht mehr in der Stuttgarter Innenstadt fahren. Land und Stadt reagieren damit auf eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) – und auf ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland wegen Überschreitung der Stickstoffdioxid-Werte (NO2). Auch Tübingen ist von dem Verfahren betroffen, wie das Regierungspräsidium (RP) bestätigt: In der Stadt liegt die NO2-Konzentration über den erlaubten Grenzwerten (siehe unten).

Wird es nun auch in Tübingen Fahrverbote für Dieselautos geben, die nicht der Euro-6-Norm entsprechen? Das ist nicht auszuschließen. Zwar gibt es – anders als in Stuttgart und Reutlingen – bislang noch keine Klage wegen permanenter Überschreitung der Grenzwerte. Doch der „Blaue Brief“ aus Brüssel gilt auch für den Regierungsbezirk Tübingen.

Seit einem Jahr arbeitet das Regierungspräsidium nun schon an der 3. Fortschreibung des Tübinger Luftreinhalteplans. Die bisherigen Maßnahmen wie Umweltzone oder Tempo 30 und Tempo 40 auf dem Innenstadtring haben kaum etwas gebracht. Ziel sei „die schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte für die Luftreinhaltung in Tübingen“, so Daniel Hahn vom RP. Ein Ingenieurbüro erstellt derzeit ein Fachgutachten, dessen Ergebnisse für März erwartet werden. Untersucht wird darin:

· die Sperrung von Eberhardsbrücke/Mühlstraße für motorisierten Individualverkehr: Verschiedene Varianten werden auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Verkehrsfluss geprüft.

· eine Verbesserung der Busflotte

· die Einführung einer „Blauen Umweltzone“: freie Fahrt nur für Diesel-Kfz mit Euro-6-Plakette und Benziner ab Euro 3.

Jürgen Resch würde ein weitgehendes Diesel-Fahrverbot für Tübingen, ähnlich dem in Stuttgart, sehr begrüßen. „Wenn der Bund seine Hausaufgaben nicht macht, müssen Land und Kommune tätig werden“, sagt der Bundesgeschäftsführer der DUH. Der EU gehe es um den Gesundheitsschutz der Bürger/innen. Laut Europäischer Umweltagentur gibt es allein in Deutschland jedes Jahr mehr als 10.000 vorzeitige Todesfälle und starke gesundheitliche Einschränkungen durch Stickstoffdioxid, das vor allem aus dem Auspuff von Dieselfahrzeugen stammt. „Das sind drei Mal so viele Menschen, wie durch Verkehrsunfälle sterben“, so Resch. Und: „Der EU ist es egal, welche staatliche Ebene in Deutschland tätig wird.“

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hält die Einführung einer blauen Plakette für richtig – dann dürften nur noch Euro-6-Diesel in Städte mit Blauen Umweltzonen hineinfahren. Das Problem: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist gegen diese Pläne, wie auch die Mehrheit der Landesverkehrsminister.

Ein weitgehendes Diesel-Fahrverbot wie in Stuttgart lehnt Palmer für Tübingen ab: „Dass die Stickoxid-Emissionen anders als erwartet nicht zurückgehen, ist wohl ganz wesentlich den Manipulationen der Fahrzeughersteller zuzuschreiben. Dafür kann man nicht unschuldige Käufer bestrafen. Die Politik muss das Problem am Auspuff lösen“, argumentiert der grüne OB. Deshalb sei es „weiterhin falsch, das mit Fahrverboten auf Kosten des Innenstadthandels zu regeln“. Palmer befürchtet starke Umsatzeinbußen für die Tübinger Händler, wenn ein großer Teil der Autos nicht mehr nach Tübingen darf.

DUH-Geschäftsführer Resch widerspricht: „Wenn Fahrverbote kommen, wird es Klagen wegen arglistiger Täuschung gegen die Autohersteller geben.“ Mit einiger Aussicht auf Erfolg, ist Resch sicher: Denn ein Auto, mit dem man an manchen Tagen nicht mehr fahren darf, verliert beträchtlich an Wert. Schuld an dem Schlamassel seien schließlich die Hersteller mit ihren Manipulationen, so der DUH-Geschäftsführer. Selbst modernste Euro-6-Diesel würden die NO2-Grenzwerte um bis zu 700 Prozent überschreiten. Manche Euro-6-Modelle seien sogar noch schädlicher als jene mit Euro-4-Plakette. Dabei könnte die Autoindustrie das Problem sofort lösen. Die grenzwertkonforme Umrüstung eines Euro-6-Diesel kostet laut Resch etwa 500 Euro. Bei genügend Prozessen würden die Hersteller abwägen, was sie teurer zu stehen kommt: die Schadenersatzklagen der Diesel-Eigentümer – oder die serienmäßige Verbesserung der NO2-Filterung.

Zu hohe Stickstoffdioxid-Werte auch in Tübingen

Im März 2016 hatte Greenpeace an sieben Stellen im Tübinger Stadtgebiet die Konzentration von Stickstoffdioxid gemessen: Am Lustnauer Tor, wo viele Busse vorbeifahren, waren es in der Spitze mehr als 400 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (der Grenzwert liegt bei 200 Mikrogramm pro Stunde). Der Jahresmittelwert an der Messstation in der Mühlstraße lag 2016 laut Umweltbundesamt mit 48 Mikrogramm ebenfalls über dem EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm.

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Erstellt:
25.02.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 04sec
zuletzt aktualisiert: 25.02.2017, 01:00 Uhr

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RabeHugo 26.02.201722:39 Uhr

Die BaWü-Grünen haben den Bosch-Chef Fehrenbach zur Bundesversammlung (Wahl Bundespräsident) geschickt: Gibt es einen größeren Diesel-Lobbyisten, den man dort hätte hinschicken können?

Hr. Kretschmann behauptet immer noch, dass seine Diesel-Hybrid-S-Klasse weniger CO2/NOx ausstößt als ein Dreiliterauto und verkündet, dass nur mit dem Diesel das CO2-Problem angegangen werden kann. Leider kann man ihm als Chemielehrer diese falschen Äußerungen nicht aufgrund von technischen Unwissen verzeihen...

Hr. Oetzdemir lädt dann auch noch den Daimler-Chef zum Parteitag ein.

Und Hr. Palmer macht sich in Sachen Diesel nur Sorgen um die lokale Wirtschaft.
In Tübingen sind übrigens nicht nur die NOx-Werte sondern auch die Feinstaubwerte zu hoch. Übrigens gibt es ein privates Feinstaubsensor-Netzwerk (luftdaten.info) mit Tübinger Messstellen: Wie hier jeder nachschauen kann, ist es nicht nur die Mühlstraße (wie Palmer behauptet) ein Feinstaub-Hotspot.

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