Filmmusik live im Kino

Eule Hedwig und ihre Celesta

„Harry Potter“, „Herr der Ringe“ und Disney-Musicals: Immer mehr Kino-Hits werden im Konzertsaal gezeigt – mit live gespieltem Soundtrack.

25.02.2017

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Große Leinwand, großes Orchester: Film und Musik einmal anders erlebt. Foto: Alegria

Große Leinwand, großes Orchester: Film und Musik einmal anders erlebt. Foto: Alegria

Stuttgart. Töne, die beflügeln: Ohne Celesta kann Hedwig nicht fliegen. Jedesmal wenn die Eule heranschwebt, hebt die berühmte Melodie an. Doch so raumfüllend erklingt der Soundtrack von „Harry Potter und der Stein der Weisen“ sonst nicht: Der Film wird in der Stuttgarter Liederhalle gezeigt, das Radiosymphonieorchester Pilsen spielt John Williams? Filmmusik live zur Vorführung des Kinohits von 2001.

Puristen sagen: Kino ist Kino, Konzert ist Konzert. Doch das Hybrid-Format hat immer mehr Anhänger: Filmfans können ihre Lieblingsstreifen so mal wieder auf der großen Leinwand sehen – und das mit höherer Intensität.

Einschmeichelnde Melodien für die Jungmagier, Fanfaren für Hogwarts, ein Harfensolo für den dreiköpfigen Riesenhund Fluffy, Paukenterror für den Troll: Der fast 100-köpfige tschechische Klangkörper, dirigiert vom sichtlich engagierten Filmkomponisten John Jesensky, spielt sich bravourös durch die knifflige Partitur. Toneffekte und Dialoge sind dafür leiser, es gibt aber Untertitel. Manchmal nimmt der Zuschauer und Zuhörer die Wucht und Klangvielfalt der Musik bewusst wahr, dann zieht ihn der Film wieder ganz in seinen Bann.

Einst war es das Normalste der Welt, dass Filme mit Live-Musik gezeigt wurden: in der Stummfilmzeit. Aber dass der Soundtrack von Tonfilmen live musiziert wird, ist eine Erscheinung der Event-Kultur seit 2000. Es begann in den USA mit „E.T.“, weil Bilder und Musik nur selten derart perfekt und hochemotional verschmelzen wie in Steven Spielbergs Meisterwerk. Und mit „The Matrix“, weil dieser Film akustisch-visuelles Überwältungungskino par excellence ist. Es folgte „Der Herr der Ringe“, Howard Shores Musik begann ohnehin schon, mit der „Lord of the Rings Symphony“ ein Eigenleben in Konzertsälen zu führen.

Panther und Eiskönigin

Seitdem finden immer mehr ältere und neuere Kinoklassiker den Weg in Konzerthäuser. „Casablanca“ und „Titanic“, Charlie- Chaplin-Stummfilme wie „Der Goldrausch“ und Eisensteins „Alexander Nevsky“ mit der grandiosen Musik Sergej Prokofjews. Oder auch „Der rosarote Panther“ mit Henry Mancinis jazzig-charmanten Ohrwürmern und „Der Pate“, Animationsstreifen wie „Ratatouille“ und „Die Eiskönigin“. Vor Weihnachten bescherte „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ die Märchen-Freunde live, in Frankreich sind für dieses Jahr die Hitchcock-Thriller „Psycho“ und „Vertigo“ geplant.

Fantastische Filme eignen sich für das Format besonders. Sie haben oft einnehmend farbig instrumentierte Soundtracks und sind nahezu durchgängig tönend untermalt, „wall to wall“ heißt das. Denn nicht nur durch visuelle Effekte, sondern auch durch die emotionale Komponente Musik erscheint das Magische oder Futuristische glaubwürdig und real – wie bei „Harry Potter“. Kino-Mogul Jack Warner sagte schon in den 30ern: „Fantasy needs music!“

Und wenn ein Kultfilm wie „Zurück in die Zukunft“ vergleichsweise sparsam vertont ist, dann schreibt ein Komponist wie Alan Silvestri eben für die Welt-Premiere in Luzern ein paar Extra-Minuten hinzu.

Der sage und schreibe 50 Mal für den Oscar nominierte Altmeister der sinfonischen Filmmusik, John Williams, ist auch in diesem neuen Marktsegment Nummer eins. Kein Wunder, hat er doch etliche der größten und populärsten Blockbuster vertont. Zudem ist seine Musik prägnant, süffig und kraftvoll – und selbst ohne Bilder oft für den Konzertsaal geeignet. In den USA sind bereits die von Williams vertonten Kinohits „Der weiße Hai“, „Home Alone“, „Jurassic Park“ sowie die Indiana Jones-Abenteuer auf Live-Tour, ebenso die von Williams vertonten Teile zwei und drei der Potter-Reihe.

In Deutschland kann man dieses Jahr alle drei „Herr der Ringe“-Epen auf diese Art erleben, aber auch Disneys „Dschungelbuch“ mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg samt Chor und Musical-Solisten oder „Amadeus“ mit Mozarts Soundtrack (was der alles schon gemacht hat!) mit den Münchner Symphonikern und dem Motettenchor.

Da fehlt doch was? Genau, „Star Wars“. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die – nicht zuletzt durch ihre Musik – beliebteste Leinwand-Saga überhaupt als Live-Film-Konzert zu erleben sein würde. Am 15.?September wird das erste aller Star-Wars- Abenteuer aus dem Jahr 1977 in der 2700 Plätze fassenden David Geffen Hall im New Yorker Lincoln Center in konzertanter Kino-Form Premiere feiern.

Und jetzt kommt „Star Wars“

Nicht kleckern, klotzen: Die stilprägende Musik John Williams? spielen dann die weltberühmten New Yorker Philharmoniker. Von der klassischen Star-Wars-Trilogie und dem jüngsten Teil, „Das Erwachen der Macht“, sind in New York zunächst neun Termine geplant, aber bald darauf lassen die Organisatoren – maßgeblich Disney Concerts – die Weltraum-Oper auf US-Tour gehen. Termine in Europa sind wohl nur eine Frage der Zeit.

Harry Potter hat derweil nach drei Stunden (inklusive Pause) in der Stuttgarter Liederhalle sein erstes Abenteuer bewältigt. Während der Abspann läuft, geben die Pilsener Musiker mit einer Suite von Williams' Themen noch einmal alles. Standing Ovations – und im Januar 2018 geht es mit „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ weiter.

Live-Termine in Deutschland

Film in Concert Im Frühjahr kann man in Deutschland alle drei „Herr der Ringe“-Epen mit Live-Begleitung durch das Radiosymphonieorchester Pilsen, den Chor der Karls-Universität und den Philharmonischen Kinderchor Prag erleben: Im Münchner Gasteig gibt es acht Termine (9. bis 17. April), in der Stuttgarter Liederhalle sind die drei Filme je zweimal zu erleben (15. bis 20. April).

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Erstellt:
25.02.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 38sec
zuletzt aktualisiert: 25.02.2017, 06:00 Uhr

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