Beendet den Angriffskrieg!

Es ist wieder diese Zeit. Frühling. Die Zeit des wilden Gestikulierens. Und der verständnislosen Bli

21.05.2016

Es ist wieder diese Zeit. Frühling. Die Zeit des wilden Gestikulierens. Und der verständnislosen Blicke meiner Mitmenschen. Zuweilen werde ich sogar belächelt, für ängstlich und kindisch erklärt. So auch jetzt wieder. Ich saß auf der Tübinger Platanenallee und plötzlich: Fliegeralarm. Eine Wespe, der Eurofighter der Insektenspezies – ihr Standard-Aufklärer – griff mich an. Es war bei weitem nicht die erste Kampfhandlung, sodass ich inzwischen von einem Angriffskrieg sprechen würde. Ich glaube nicht länger an Zufall.

Meine Begleitung ließ die üblichen Sprüche vom Stapel: „Die macht doch nichts!“ Und besser noch: „Die hat mehr Angst vor dir als du vor ihr.“ Angst? Darum geht es nicht. Es geht um schlechte Erfahrungen. Und davon habe ich eine Menge. Nicht nur mit Wespen, mit Insekten generell. Natürlich habe auch ich als Grundschüler gelernt: Ameisen räumen den Wald auf, Bienen bestäuben die Pflanzen, zahlreiche Insektenarten dienen als Futtertiere und sind elementare Teile diverser Nahrungsketten. Ich möchte deshalb keineswegs grundsätzlich die Existenz der seltsamen Tierchen mit sechs Beinen in Frage stellen.

Aber ich kann es nicht mehr ertragen. Bald schalte ich die Nato ein oder rufe die Vereinten Nationen an. Denn wer mit mir zelten geht, wünscht mich in seine Behausung. Nicht, weil ich reinlicher bin als andere oder besonders ruhig schlafe – ganz im Gegenteil: Ich bin ein leidenschaftlicher Schnarcher. Dafür ziehe ich Mücken magisch an. Ich wache mit dreißig Stichen auf, meine Mitbewohner bleiben unversehrt.

Sitze ich im Frühling bei einem Stück Erdbeerkuchen an einer Tafel mit 30 anderen Leuten: Bienen, Hornissen, Hummeln und Wespen finden den Weg zu mir. Und wollen unbedingt ein Stück von meinem Kuchen. Es muss meiner sein. Schmeckt er besser als der meines Nachbarn? Oder meines Gegenübers am anderen Ende des Tischs? Schon das Brummen reicht, um mich in Alarmbereitschaft zu versetzen. Ich stecke die Gabel in den Kuchen: Summsumm. Ich verlasse mit Waffel die Eisdiele: Brummbrumm. Ich will abends die Augen zumachen: Bssssssssss.

Neben seiner Luftwaffe setzt der Feind in jüngerer Vergangenheit immer öfter Infanterie ein. Am Ostseestrand belagern mich Käfer. Eine Ameisenkolonie hat eine Versorgungsstraße durch mein Badezimmer gezogen. An der Fensterfuge rein, durch den Riss in einer Fliese wieder raus. Territoriale Invasion nennt man das im Diktatorenjargon. Sie wollen mich zermürben, müde machen.

Lieber Zentralrat der Insekten, ihr habt es geschafft. Ich bin müde, bin es leid, Netze zu installieren, Gift zu streuen, mich mit stinkenden Flüssigkeiten einzusprühen. Ich werfe die sprichwörtliche Flinte ins Korn. Ich bitte euch um Frieden. Nein, ich flehe sogar. Zieht doch bitte in Erwägung, eine friedliche Koexistenz mit mir zu führen. Ich habe euch nichts getan. Verdammt, ich esse nicht einmal Honig. Geschweige denn eure Artgenossen, die für viele Menschen gar Delikatessen sind. Warum schlagt ihr eure Schlachten nicht gegen deren Köche?Lorenzo Zimmer

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Erstellt:
21.05.2016, 00:22 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 29sec
zuletzt aktualisiert: 21.05.2016, 00:22 Uhr

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