Über den inneren Frühjahrsputz

Es ist an der Zeit, sich diese Zeit zu gönnen

Es sind die Tage, an denen sich die Krokusse breitmachen, von denen wir wissen: Sie gefallen uns!

30.03.2017

Von Winfried Gaus

Zeit, um auf einem Mäuerle zu sitzen und nichts als Zeit zu haben. Bild: Metz

Zeit, um auf einem Mäuerle zu sitzen und nichts als Zeit zu haben. Bild: Metz

Es ist die Zeit, in der die Menschen mit leichten Häutungen beginnen. Stück für Stück fällt eine Schicht Stoff den steigenden Temperaturen zum Opfer.

Es ist die Zeit, in der die Augen zu glänzen beginnen, weil man seine Umgebung wieder in anderem Licht sieht als noch vor fünf Wochen, als man zur Winteraustreibung maskiert durch Gassen hopste. Ja, das ist erst so lange her.

Es ist die Zeit, in der die Natur Zwiespältiges hervorrufen kann. Stichwort Weidenkätzchen. Nicht nur Kinder geraten in Verzückung, wenn sie mit ihren Fingerchen die samtweichen Härchen spüren dürfen. Allergiker nehmen vor der womöglich ersten Pollendosis des Jahres Reißaus.

Es ist die Zeit, in der unser Gehör wieder angefüttert wird mit dem Lebendigen von draußen. Mit Vogelgezwitscher schon um fünf in der Früh‘, in vielfältiger Tonlage; eine Wohltat im Vergleich zu den einfältigen Klingeltönen, mit denen wir ansonsten im Alltag gefoltert werden. Der Körper lässt sich davon gern wecken, nicht um sich brummelnd eben darüber zu beklagen, sondern erstaunt und aufmerksam zu lauschen. Nur nix verpassen!

Es ist die Zeit, die jedes Jahr zu kurz ist. Die von der Dämmerung, ja der Nacht des Winters hinführt zum gleißenden Licht des Sommers; unter dessen Regiment es dann auch wieder nicht recht ist, nur weil der Schweiß strömt und der Körper durch Hitzeapathie auf Zeitlupenfunktion umschaltet.

Jetzt, jetzt ist das Durchlüften der Seele angesagt, eine Art innerer Frühjahrsputz. Die Triebwerke werden hochgefahren, man streunt durch das Gärtle auf der Suche nach sinnvollem Tun – und findet garantiert an jeder Ecke etwas, das sich aufzuräumen, zu graben, zu rechen, zu schneiden, zu säubern lohnt.

Es ist die Zeit, die Goldfische wieder auszuwintern aus ihrer Bottichheimstatt in der Stube in den Teich im Freien – und es scheint, als freuten sie sich in all ihrer pulsierend schlängelnden Aufgeregtheit darüber auch.

Es ist die Zeit der kollektiven Mobilmachung; zu Fuß, auf zwei oder auf vier Rädern, mit Muskel- oder Motorkraft. Raus, nix wie raus heißt die Devise der Wochenenden. Rum ums Eck und rauf den Hügel, stehen und gehen, schnaufen und laufen.

Es ist leider auch die Zeit der nassforsch völlig überdrehten Grobmotoriker an Gaspedal oder Gasgriff mit ihrem unstillbaren Hang, die ohnehin begrenzte eigene Lebenszeit und die ihrer Gegenüber drastisch zu verkürzen.

Doch eigentlich ist es die Zeit, um auf einem Mäuerle zu sitzen oder auf einem Bänkle – und nichts als Zeit zu haben.

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Erstellt:
30.03.2017, 22:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 17sec
zuletzt aktualisiert: 30.03.2017, 22:00 Uhr

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